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Leserbriefe zur DienstpflichtWin-Win-Situation für Jugendliche und Gesellschaft

Lesezeit 10 Minuten
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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat mit seinem Vorschlag zur Einführung einer Dienstpflicht für Jugendliche eine bundesweite Diskussion ausgelöst. 

Drastischer Freiheitseingriff – Eine Dienstpflicht ist weder für junge Menschen noch für die Gesellschaft eine gute Idee – Leitartikel von Tobias Peter (14.6.)

Atempause zwischen Schule und Ausbildung oder Studium

Ich bin für eine Dienstpflicht. Für die jungen Menschen bedeutet sie eine Atempause zwischen Schule und Ausbildung oder Studium und schützt sicher den einen oder anderen vor einer überhasteten Berufs- oder Studienwahl. Sie hilft bei der Durchmischung unserer sich sozial immer weiter stratifizierenden Gesellschaft. Sie könnte helfen, manche personellen Engpässe in der Pflege, bei der Feuerwehr und beim Technischen Hilfswerk und gerne auch bei der Bundeswehr abzumildern.

Man muss es aber richtig machen. Dienstleistende sollen nicht die vorhandenen qualifizierten Kräfte – billig – ersetzen, sondern ihnen zuarbeiten. Zivis gehören weder auf die Intensivstation noch an die Waffe. Und natürlich muss dieser Dienst junger Menschen an der Gemeinschaft angemessen kompensiert werden. Vor dem Dienst hat man das Recht auf eine qualitativ hochwertige Schulbildung mit entsprechender personeller und materieller Ausstattung. Während des Dienstes muss man angemessen versorgt werden.

Danach geht es in Berufsausbildung oder an der Uni weiter, und auch da gibt es einiges zu verbessern, Stichwort Bafög. Ohne eine solche Kompensation wäre eine Dienstpflicht wirklich ein Ausnutzen der Jugendlichen. Und schließlich wird es Jahre dauern, das alles inklusive Kompensation zu organisieren. Das Argument, die Corona-geschädigten Jugendlichen ein weiteres Mal zu bedrängen, zählt dann hoffentlich nicht mehr. Die Betroffenen entwachsen wahrscheinlich gerade der Grundschule.Claus Göbelsmann Köln

Dienstpflicht fördert gesellschaftlichen Zusammenhalt

Die soziale Dienstpflichtempfehlung von Bundespräsident Steinmeier ist sicherlich das Beste, was seit Frau Merkels populistischem und falschem Streichen des Zivildienstes angeregt wird! Dies würde sicher wieder mehr Anerkennung und Verständnis für unser Land und seine Werte und Leistungen bringen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern! Nun kommen wieder die typischen Bedenkenträger. Die Geschichte zeigt, dass nur eine starke Bindung und Einsatz wie in der Ukraine neben Wehrhaftigkeit das Überleben eines Landes sichert.Dr. Joachim Schimmelpfennig Frechen

Dienstpflicht-Debatte zeigt geringe Wertschätzung des Gemeinwohls

Es gibt sicherlich Gründe, die der Einführung eines allgemeinen sozialen Pflichtdienstes entgegen stehen. In der Sache liegende Gründe, die entsprechend eine sachliche, differenzierte Diskussion verdienen. Die gerade begonnene Debatte hierüber wird jedoch bereits nach wenigen Tagen vielstimmig mit einer Flut von Contra-Argumenten „erstickt“. Warum, ist prima vista nicht erkennbar, man kann spekulieren. Wie auch immer, dies wirft ein bezeichnendes Schlaglicht auf unsere Gesellschaft hinsichtlich ihrer mentalen, emotionalen und psychischen Verfasstheit.

Gemeinsinn, soziales Engagement, Dienst für das Gemeinwohl scheinen nach wie vor nicht hoch im Kurs zu stehen, die Wertschätzung des Gemeinwesens hält sich in Grenzen. Trotz der gegenwärtig – und zukünftig? – außergewöhnlichen Gesamtsituation, die als Zeitenwende bezeichnet wird und mehr denn je gesellschaftlichen Zusammenhalt erfordert. Da besteht in der offenen, pluralen, zunehmend partikularisierten postmodernen Gesellschaft anscheinend ein latentes Spannungsverhältnis. Dazu kommen verstärkend spezifische Befindlichkeiten, die in der deutschen Vergangenheit gründen dürften.Roland Schweizer Leverkusen

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Pflichtdienst vermittelt Lebenserfahrung

Sehen Sie den sozialen Pflichtdienst doch einmal als Teil eines großen Ganzen, als Teil eines nationalen pädagogischen Gesamtkonzeptes mit Kindertagesstätten, Kindergärten, Grundschulen, Haupt-, Real- und Gesamtschulen, Gymnasien, Berufsschulen, Dualer Ausbildung, Fachhochschulen, Hochschulen, Universitäten. Zwischendurch oder zum Schluss ein Jahr sozialer Dienst oder wahlweise Wehrdienst. Sozialdienst in Krankenhäusern, Altenheimen, in Schulen mit Hausaufgabenbetreuung, in den städtischen Bauhöfen mit der Pflege naturnaher Parkanlagen, Behindertenwerkstätten, Integration, Inklusion, städtische Müllabfuhr auf den Kölner Ringen, Rotes Kreuz.

Zu lernen, in einem wichtigen gesellschaftlichen Bereich eine Zeit lang ernsthaft Verantwortung zu übernehmen, eine Stütze der Gesellschaft zu sein und das gegen ein selbst verdientes Gehalt – diese Erfahrung ist doch in diesem Lebensstadium unbezahlbar. Die jungen Leute profitieren, die Gesellschaft profitiert, eine echte Win-Win-Situation. Pflicht muss aber sein. Sonst gibt es wie meistens in solchen Fällen zu viele Luschen, die sich drücken.Günter Grießbach Bedburg

Dienstpflicht zum Erhalt von Freiheit und Wohlstand

Tobias Peter verweist darauf, dass für den drastischen Freiheitseingriff einer Dienstpflicht ein unabweisbarer Grund vorliegen muss. Richtig. Für mich ist dieser bei uns gegeben: Es ist das Glück, zur Minderheit auf dieser Erde zu gehören, die in einer Demokratie mit weitestgehender Freiheit und im allgemeinem Wohlstand leben kann. Wenn Herr Peter meint, die jungen Menschen hätten es verdient, selbst über diesen Dienst zu entscheiden, frage ich mich: warum? Freiheit und Wohlstand wurden ihnen in die Wiege gelegt.

Doch beides wird einer Gesellschaft nicht geschenkt. Es muss geleistet werden. Gerade vor der Berufswahl ist der richtige Zeitpunkt, um durch das Kennenlernen eines neuen Umfelds zu einer besseren Selbstfindung zu gelangen. Wer es schafft, von der Dienstpflicht befreit zu werden, kann das später freiwillig nachholen. Juristische Begründungen sind für mich nachrangig. Sie haben der Sache zu folgen, denn alle Gesetze sind von gestern. Erstaunlich, dass Vorsitzende von Organisationen mit der derzeitigen Situation argumentieren. Eine Dienstpflicht würde erst in Jahren zu realisieren sein. Manfred Schinner Brühl

Reglement aus der politischen Mottenkiste

Da wird das Vehikel der Dienstpflicht aus der Mottenkiste der Geschichte hervorgekramt, um angeblich den sozialen Zusammenhalt dieses Staates wiederherzustellen. Dabei wird übersehen, dass die Bevölkerungszusammensetzung inzwischen eine völlig andere ist als noch vor einigen Jahrzehnten. Der Begriff der Nation, der für Schicksalsgemeinschaft, gemeinsame Sprache, Werte, Kultur, Geschichte und sozialen Zusammenhalt stand, rückte inzwischen immer mehr in den Hintergrund oder wurde bewusst verdrängt. Es hat sich eine Gesellschaft etabliert, die sich durch ihre wirtschaftlichen Interessen definiert und, wenn überhaupt, nur ihrer eigenen Gruppe verpflichtet ist. Gegen diese Entwicklung hilft auch keine wie immer geartete Dienstpflicht!Ulrich-Werner Martinsdorf Köln

Mit einer Dienstpflicht die Solidargemeinschaft fördern

Es kann eigentlich keinen Zweifel daran geben, dass die jungen Menschen in unserer immer vielfältigeren Gesellschaft sehr von einer für alle gemeinsam zu leistenden Dienstpflicht nach der Schule profitieren würden – und umgekehrt die Gesellschaft von ihnen. Und diesmal wären es nicht nur die Jungen, sondern alle Geschlechter – auch das prägt und verbindet! Es muss ja nicht nur in Deutschland sein! Vielleicht ja auch in Europa, in der Geflüchtetenhilfe, als Unterstützung in Wissenschaftsprojekten?

Ist es nicht auch offenkundig, dass etwa der Mangel an Dienst- und Pflegekräften allerorten ebenso wie am anderen Ende der augenfälligen Entwicklungen die zunehmende Feindseligkeit und Arroganz gerader junger Menschen gegen Hilfs- und Rettungskräfte im Einsatz, ein gemeinsames Gegensteuern unserer demokratischen Gesellschaft erfordern? Damit wir nicht noch weiter sozial auseinander driften, sondern unsere Solidarkultur wieder besser und mal ganz aktiv schätzen lernen? Gleiches gilt übrigens auch für unsere Armee. Der Hinweis von Tobias Peter, unsere Armee brauche – gerade angesichts fehlender Unterhosen – „Profis“, klingt wirklich einfach nur absurd aus dem Mund eines Demokraten.

„Mit dem Rucksack durch Lateinamerika“ ziehen leistet sich noch gleich wer? Das Gleiche gilt meiner Vermutung nach für das Freiwilligenjahr. Junge Erwachsene aus einkommensschwächeren Familien dürften diese Angebote kaum nutzen. Und wohl ebenso wenig junge Menschen aus relativ frisch zugewanderten Familien, die solche intransparenten, in ihrer jetzigen Form eher selbstgefällig wirkenden Jugend-Beschäftigungsprogramme deutscher Wohlstandsbürgerhäuser wenig kennen, geschweige denn schätzen dürften. Christoph Tillmanns Köln

Zustimmung für Steinmeiers Vorschlag

Auch meine Generation hat einen „drastischen Freiheitseingriff“ erlitten, als sie ungewollt Anfang 1980 zur Bundeswehr musste. Wir sprechen über damals 15 Monate Wehrpflichtzeit. Man erhielt einen Einberufungsbescheid zu einem Standort, der auch weit über 450 Kilometer entfernt liegen konnte, und musste damit klar kommen. Nun wird beklagt, dass die heutige Generation ein Jahr später in Beruf oder Studium starten könne. Der willkürlich festgelegte Einberufungsbescheid konnte damals zu einem Zeitverlust von zwei bis zweieinhalb Jahren führen.

Auch nicht vergessen werden sollte, dass es damals sehr schwer war für Wehrdiensttaugliche, sich als Zivildienstleister anerkennen zu lassen. Wenn Tobias Peter schreibt, dass Jugendliche entscheiden sollen, „ob sie reisend und arbeitend mit dem Rucksack durch Lateinamerika ziehen möchten“, denke ich, dass sie doch besser ein soziales Jahr in Deutschland ableisten – verpflichtend für Männer und Frauen und somit ganz im Sinne der Gleichberechtigung. Der Bedarf ist ganz sicher vorhanden! Somit kann ich mich dem Vorschlag des Bundespräsidenten nur anschließen. Klaus Bongartz Euskirchen

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Im Rahmen einer Dienstpflicht könnten Jugendliche sich in der Betreuung älterer Menschen engagieren. 

Wenig Anerkennung für Solidarität und soziales Engagement in der Gesellschaft

Ich bin für ein soziales Jahr nicht in Altenheimen, sondern in den großen Wirtschaftsunternehmen. Denn Wirtschaftsbosse sollen jungen Menschen erklären, wie man fair und sozial mit anderen umgeht. Warum sollen junge Menschen sozial sein und anderen helfen, wenn sie hinterher in ein Haifischbecken kommen, wo nur der Stärkste und Skrupelloseste gewinnt und viele unter Preis arbeiten, wie in Zeitarbeitsfirmen.

Im Altenheim lernt man eher, wie man sich für andere aufopfert und selber gerade so mit seinem Verdienst über die Runden kommt und bei der eigenen Familie Abstriche machen muss. Da lernt man dann, wie wenig Solidarität und soziales Engagement innerhalb der Gesellschaft wert ist, im Gegensatz zu anderen Berufsbranchen. Unternehmen, in denen mehr Geld zur Verfügung steht, sollten sich stärker sozial engagieren, dann bekommen sie vielleicht auch mehr Fachpersonal.Rainer Prosik Hattenhofen

Zum Gemeinwohl beizutragen heißt auch, Nachteile in für sich Kauf zu nehmen

Die Diskussion über eine Dienstpflicht für junge Menschen ist zu engstirnig und wird von „Freiheits-Individualisten“ als inakzeptabler Eingriff in die persönliche Lebensplanung sofort vom Tisch gewischt. Dabei geht es generationsübergreifend um die Frage, wie groß die Bereitschaft des Einzelnen ist, einen Beitrag für das Gemeinwohl zu leisten und dabei auch individuelle Nachteile in Kauf zu nehmen oder sogar Verzicht zu üben, etwa beim Klimaschutz durch Tempolimit, geringeren Fleischverzehr, niedrigere Heizungstemperatur, weniger Flugreisen und „Schweröl-Kreuzfahrten“. Oder im Gesundheitswesen die eigene Impfung auch als Schutz der Gemeinschaft verstehen. Für Sicherheit und Katastrophenschutz: Dienst bei Bundeswehr, Freiwilliger Feuerwehr, Technischem Hilfswerk, Rotem Kreuz. Eine hohe Gemeinwohl-Wertschätzung dieser Bereiche ist für uns überlebensnotwendig – dieser Diskurs müsste schon längst geführt werden.Helmut Rosenau Weilerswist

Gegenpol zur Individualisierung nötig

Der Leitartikel weist in seinen Aussagen auf die erheblichen Einschränkungen der jungen Menschen in Zeiten der Pandemie hin und zieht den Schluss, dass eine solche Dienstpflicht zur Unzeit käme. Die Hinweise des Bundespräsidenten sind sicher gut gemeint und sprechen aus meiner Sicht ein durchaus relevantes Problem unserer Gesellschaft an. Die Pflege des Individualismus, der Selbstoptimierung bis zur Selbstverherrlichung führt nach meiner Beobachtung zu einer verstellten Sicht Einzelner, auch rüstiger Rentner, auf das, was die Gesellschaft zusammen zu halten vermag.

Um diesem Phänomen, das übrigens allgemein akzeptiert scheint, entgegenzuwirken, braucht es vermutlich keine so bezeichnete Dienstpflicht, die jedem einmal Verpflichteten ein Graus war. Vielmehr scheinen mir Schulen und Vereine Orte des sozialen Lernens zu sein, von denen das Individuum, aber auch die Gesellschaft profitieren kann. Vielleicht hätte der Bundespräsident die Förderung dieser Bereiche, etwa mit einem Sondervermögen, in den Vordergrund stellen sollen, statt ein altes Rezept aus der Mottenkiste staatlicher Reglementierungskunst zu holen.Alfons Schön Bergisch Gladbach

Dienstpflicht als Entlastung für Sozialberufe

Schon die Überschrift zum Leitartikel irritiert. „Pflichten“ sind in unserem Staat neben vielen guten Rechten verankert und kein Freiheitseingriff. Es gibt eine Schulpflicht und auch eine Steuerpflicht, um nur zwei zu nennen. Und auch eine Wehrpflicht und damit verbunden einen Zivildienst gab es vor gar nicht langer Zeit. Im Zusammenhang mit dem Zivildienst widerspreche ich im Übrigen der Argumentation des Lohndumpings. Der Arbeitskräftemangel im sozialen Bereich ist heutzutage so enorm, dass ziviler Dienst absolut notwendig ist und mitnichten zu schlechteren Löhnen führen würde. Vielmehr würden junge Menschen eventuell an solche Berufe herangeführt und es käme so zu einer Entlastung. Eine Chance, die unsere Gesellschaft ergreifen könnte.

Die provokante Frage von Herrn Peter nach einer Dienstpflicht für Rentner ist alleine schon deswegen überflüssig, da diese Personengruppe bereits geliefert hat – in Form von Wehrpflicht oder alternativ Zivildienst. Nebenher sei erwähnt, dass Rentner eventuell nicht mehr ganz so leistungsfähig sind. Vielleicht ist der Satz vom „Arbeiten“ und Reisen mit Rucksack in Lateinamerika ja entlarvend: Ist doch viel schöner als einen Dienst für die Gesellschaft zu leisten daheim, bei Regen und niedrigen Temperaturen.Bernd Meyer Köln