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Braucht es wieder eine Wehrpflicht?„Ich könnte keinen siegreichen Krieg führen“

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Braucht Deutschland die Wehrpflicht wieder?

  1. Der Krieg in der Ukraine hat die Diskussion über eine Wiedereinführung der Wehrpflicht entfacht.
  2. Unser Autor Gerhard Voogt sagt: Ohne eine große Zahl an Reservisten gibt es keine glaubhafte Abschreckung.
  3. Thorsten Breitkopf argumentiert dagegen: Wer unter Zwang kämpfen muss, tut das schlechter als derjenige, der gut dafür bezahlt wird.

Köln – Um es vorwegzunehmen: Die Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht im Jahr 2011 war richtig. Ein Land, das sich nicht von Feinden bedroht sieht, sollte mit dem Steuergeld besseres anfangen, als es in teure Verteidigungssysteme zu investieren, die in Depots herumstehen. Allein ein Exemplar des neuen Schützenpanzers Puma kostet 25 Millionen Euro. Eine Mondsumme, mit der man viele neue Schulen bauen könnte, die dringend benötigt werden.

Der Einmarsch von Putins Truppen in der Ukraine stellt aber eine Zeitenwende dar. Nur zwei Flugstunden von Köln entfernt herrscht Krieg. Viele Menschen stellen sich jetzt die bange Frage, wie es eigentlich um die Abwehrbereitschaft der Bundeswehr bestellt ist.

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Gerhard Voogt ist Landtagskorrespondent NRW

Die Antwort ist ernüchternd. Im Falle eines Angriffs könnte die Truppe einem Aggressor nur wenig Widerstand entgegensetzen. Um NRW zu schützen, stehen in der Panzerbrigade 21 in Augustdorf (Lipperland) gerade mal 44 einsatzbereite Leopard-2-Kampfpanzer zur Verfügung. Die Heeresflugabwehr wurde 2012 ganz abgeschafft. In NRW sind 20.000 Soldaten verblieben, von denen die meisten ihren Dienst allerdings in Stäben, und nicht in Gefechtseinheiten verrichten.

Wir wären ein schwach aufgestellter Gegner

Über einen derart schwach aufgestellten Gegner wird ein Mann wie Putin nur lachen können. Deswegen ist es wichtig, die Bundeswehr besser auszurüsten. Dazu müssen nicht nur neue Waffen nachgerüstet werden. Auch die personelle Ausstattung spielt eine zentrale Rolle. Ohne die Fähigkeit, die Streitkraft im Ernstfall auf doppelte Stärke zu bringen, gibt es keine glaubhafte Abschreckung. Dies ist aber nur mit einer allgemeinen Dienstpflicht möglich, bei der auch der Wehrdienst eine Option darstellt.

Im Ernstfall stünden gerade mal 12.000 Reservisten zur Verfügung

In den 80er Jahren verfügte die Bundeswehr über 495.000 Soldaten und rund 800.000 Alarmreservisten, von denen viele olivgrüne Seesäcke im Keller stehen hatten. Heute ist die Zahl der Aktiven auf 180.000 geschrumpft. Für Wehrübende gibt es lediglich 60.000 Stellen, von denen aber nur die Hälfte namentlich besetzt ist. Experten schätzen, dass in einem Ernstfall ad hoc nur 12.000 Reservisten zur Verfügung stünden.

Diese enorme Personallücke lässt ich weder durch den Einsatz modernster Technik noch durch die angebliche Überlegenheit einer vermeintlich gut ausgebildeten Berufsarmee ausgleichen, in der viele Soldaten nicht zu den Klassenbesten gehörten. Mit der Dienstpflicht könnte es gelingen, den Querschnitt der Gesellschaft in die Bundeswehr zurückzubringen. Eine Berufsarmee ist zudem abgeschottet - und somit für Extremismus anfälliger, wie in den vergangenen Jahren schmerzhaft deutlich wurde.

Jungen und Mädchen könnte ein Dienst wichtiger Erfahrungsanker sein

Die Wehrpflicht steht für die Bereitschaft der Bürger, persönlich Mitverantwortung für den Schutz ihres Gemeinwesens zu übernehmen. Viele, die heute Offiziere sind, wären nie zur Truppe gekommen, wenn es die Wehrpflicht nicht gegeben hätte. Jetzt wächst die „Generation Z“ heran. Die „Digital Natives“ haben das Privileg, über ihren Lebensentwurf so frei entscheiden zu können wie wohl keine Generation zuvor. Für die Jungen und Mädchen könnte die Dienstpflicht ein wichtiger Erfahrungsanker sein.

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Fazit: Es wäre gut, wenn die jungen Leute künftig wählen könnten, wo sie einen Dienst für die Gesellschaft leisten wollen - ob im Altenheim oder bei den Panzergrenadieren. Wenn es diese Auswahl gibt, muss die Bundeswehr sich wieder anstrengen, nicht nur auf Werbetafeln attraktiv zu sein. Diese Chance sollten wir ihr geben.

Gerhard Voogt, berichtet als NRW-Korrespondent über Landespolitik. Er hat 15 Monate Grundwehrdienst geleistet.

Deutschland braucht eine Armee aus Profis

Vor zwei Wochen hat sich von einem Tag auf den anderen die Sicherheitslage in Europa gewandelt. Ein diktatorischer Aggressor mit einer der größten Armeen der Welt hat sein Nachbarland überfallen, und dieses Land ist gar nicht weit von uns entfernt. Es herrscht Krieg in Europa.

Deutschland fühlte sich seit mindestens zehn Jahren als Friedensnation. Die Bundeswehr sollte sich von der Armee für die Landesverteidigung in eine Art Spezialeinsatzkommando verwandeln, das asymmetrische Konflikte in fernen Ländern bekämpft.

Thorsten_Breitkopf

Thorsten Breitkopf ist Ressortleiter Wirtschaft beim Kölner Stadt-Anzeiger.

Jetzt steuern wir auf einen neuen Kalten Krieg zu. Damals, bevor der Eiserne Vorhang fiel, setzte Deutschland auf eine bis zu 800.000 Mann starke Truppe mit Wehrpflichtigen. Brauchen wir die jetzt wieder? Sollen Männer oder womöglich auch Frauen wieder zum Dienst an der Waffe oder einem Ersatzdienst gezwungen werden?

Ich könnte keinen siegreichen Krieg führen

Ich sage entschieden Nein! Dabei war ich selbst ein knappes Jahr als Wehrpflichtiger bei der Bundeswehr und habe wenige Jahre später noch eine Wehrübung in Wahn absolviert. Aber bin ich in der Zeit ernsthaft dazu in die Lage versetzt worden, einen siegreichen Krieg zu führen? Ich glaube nein. Und viele männliche Leser mit einer ähnlichen Geschichte werden diese Frage wohl auch so beantworten.

Für die Konflikte der Gegenwart braucht Deutschland eine Armee aus Profis, aus Menschen, die intensiv gelernt haben, ihre jeweiligen Waffensysteme zu bedienen. Binnen eines Jahres oder gar weniger Monate ist das nicht zu schaffen. Außerdem müsste es doch weitläufig bekannt sein, dass Menschen, die zu einer Aufgabe gezwungen werden (es heißt ja Wehr-Pflicht) diese mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht mit dem gleichen Ehrgeiz verfolgen, wie solche, die diesen Job freiwillig und gegen gute Bezahlung erledigen.

Wehrpflicht kostet die Wirtschaft Geld, sie spart nicht

Bezahlung ist auch der zweite Punkt. Manche argumentieren, eine Wehrpflichtigen-Armee sei günstiger als ein Berufsheer. Das mag auf die Armee betrachtet stimmen. Volkswirtschaftlich stimmt das sicher nicht. Denn in Zeiten des Fachkräftemangels wird dem Arbeitsmarkt ein kompletter Jahrgang an Männern entzogen. Diese übrigens zahlen ein Jahr weniger in Rentenversicherung und Krankenkasse ein – und Steuern zahlen sie auch keine – im Gegenteil.

Viele Befürworter einer Dienstpflicht vergessen dieser Tage auch, warum die Wehrpflicht vor gut zehn Jahren überhaupt ausgesetzt wurde. Der Grund war nicht der fehlende Feind, sondern ein Problem mit der Gerechtigkeit. Denn nur ein Teil musste wirklich zum Barras, Viele wurden wegen Lappalien ausgemustert. Und für Frauen galt die Wehrpflicht schon mal gar nicht. Ist das gerecht?

Außerdem gäbe es für Wehrpflichtige gar keinen Platz

Blicken wir doch mal auf andere Nato-Staaten, die schon in „echte Kriege“ verwickelt waren: Die USA, Frankreich, Großbritannien – alle haben die Wehrpflicht teils schon vor Jahrzehnten abgeschafft. Grade mal fünf von 30 Nato-Ländern rekrutieren noch Wehrpflichtige. Darunter die Türkei und Griechenland (weil sie sich mit ihren Armeen gegenseitig bedrohen) und die kleineren Staaten Estland, Litauen und Norwegen.

Ganz nebenbei stellt sich die Frage; Wo sollen die ganzen Wehrpflichtigen denn hin? So viele Kasernen gibt es gar nicht mehr. Und deren Ausbildung würde viel Geld kosten und enorme Kräfte binden. Beides können wir gerade an anderen Stellen besser gebrauchen.

Thorsten Breitkopf ist Ressortleiter Wirtschaft und war 1997/98 als Wehrpflichtiger in Goslar und Köln und wurde in einer Wehrübung später zum Hauptgefreiten befördert. Eine Armee aus Wehrpflichtigen hält er für heute nicht mehr einsatzfähig.