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Leserbriefe zur VerteidigungspolitikKann Abschreckung funktionieren?

Lesezeit 8 Minuten
Das Foto zeigt Teilnehmer der Demonstration gegen die Stationierung atomarer amerikanischer Mittelstreckenraketen in Westeuropa am 22.10.1983 im Bonner Hofgarten. Im Vordergrund tragen uniformierte Bundeswehrsoldaten ein Transparent mit der Aufschrift „Nato-Soldaten sagen ‚No!‘ zu Cruise Missiles und Pershing zwo!“ sowie eine Pershing-II-Attrappe. Im Hintergrund sind Massen von Demonstranten mit weiteren, nicht lesbaren Transparenten zu sehen.

Demonstration gegen die Stationierung atomarer US-Mittelstreckenraketen in Westeuropa im Herbst 1983 im Bonner Hofgarten

Die geplante Stationierung von US-Raketen in Deutschland löst Kontroversen aus. Leser erinnern an die Friedensbewegung der 1980er Jahre.

Die Rückkehr des Wettrüstens? – In Deutschland sollen ab 2026 wieder US-Marschflugkörper stationiert werden (1.8.)

Aufrüstung wirksamer als naiver Friedensglaube

Ich war 1981 bei der großen Friedensdemonstration im Bonner Hofgarten gegen die Stationierung der Pershing-Kurzstreckenraketen dabei. Diese Demonstration hat sicher dazu beigetragen, in der UdSSR das Bild eines aggressiven Westens zu demontieren. Andererseits hat Helmut Schmidt im Nachhinein wohl recht gehabt, als Antwort auf die russischen SS-20-Raketen Pershings zu stationieren. Nur wenige Jahre später haben Reagan und Gorbatschow dann gemeinsam die Demontage aller Mittelstreckenraketen in Europa beschlossen. Die UdSSR musste einsehen, dass ihr das Wettrüsten nicht nutzt.

Manchmal bedarf es des Einsatzes von harten Machtmitteln, um das Gegenüber zur Vernunft zu bringen
Roger Peltzer

Bei der Kuba-Krise war es übrigens, mit umgekehrten Vorzeichen, ähnlich. Die Stationierung von Raketen auf Kuba durch Chruschtschow war die Antwort auf die Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen in der Türkei. Die zwischen Kennedy und Chruschtschow erzielte Verhandlungslösung beinhaltete, dass die Amerikaner sechs Monate später klammheimlich ihre Mittelstreckenraketen aus der Türkei abgezogen haben.

Beide Beispiele zeigen, dass ein naiver Friedensglaube die Welt noch nicht unbedingt zum Besseren wendet. Manchmal bedarf es des Einsatzes von harten Machtmitteln, um das Gegenüber zur Vernunft zu bringen. Und so verhält es sich jetzt auch mit den amerikanischen Mittelstreckenraketen, die in Deutschland stationiert werden. Sie sind die Antwort auf Putin, der ohne Not in Kaliningrad Raketen stationiert hat, die in drei Minuten Berlin zerstören können. Roger Peltzer Kerpen

Wettrüsten: „Wollen wir wirklich glauben, dass das nochmal gut geht?“

Kürzlich erfuhr ich von dem Beschluss der Bundesregierung, dem Wunsch der USA stattzugeben, Marschflugkörper in Deutschland zu stationieren, die bis nach Russland reichen und nuklear bestückt werden können – als Abschreckung! Ich empfinde es als ungeheuerlich, dass die Regierung eine solche Entscheidung über die Köpfe der Bevölkerung hinweg trifft.

Ich bin Jahrgang 1954. Meine Generation hat die Installation von Cruise-Missiles und Pershing-II-Raketen zu Beginn der 1980er Jahre noch sehr gut in Erinnerung. Was für ein Irrsinn! Damals stand die Erhaltung der Welt, wie wir sie kennen, auf der Kippe, zum zweiten Mal nach der Kuba-Krise. Es war ohne Übertreibung die Zeit von „No Future“, eine Zeit wie ein Alptraum. Damals war es allein Gorbatschow zu verdanken, dass dies nicht in einer Katastrophe endete. Wollen wir wirklich glauben und hoffen, dass das noch einmal gut geht? Yörk Löffler Köln

Aufrüstung: „Nicht am Parlament vorbei entscheiden“

Zunehmend stellen viele Menschen die Frage, ob diese Erklärung „am Rande“ eines Nato-Gipfels, das heißt außerhalb der Nato-Strategie, Bestand haben darf. Sollen, bilateral zwischen den USA und Deutschland verabredet, mobil einsetzbare Waffen von ungeheurer und schnellster Wirksamkeit nur im dicht besiedelten Deutschland aufgestellt werden? Ist Eskalation ohne den Versuch einer Deeskalation gewollt? Da sollte Nachdenken vor das Handeln gesetzt werden. Vorbei am Parlament darf dies nicht geschehen. Anke Brunn Köln Ministerin a. D.

Wettrüsten: Perspektive auf Abrüstung fehlt

Die Sorge vor der geplanten Stationierung der amerikanischen Mittelstreckenraketen müsste eigentlich noch viel größer sein als Anfang der 1980er Jahre, als massenhaft Friedensdemonstrationen gegen die Stationierung von Pershing-II-Raketen in Deutschland stattfanden. Die Hyperschall-Raketen der USA, die hier stationiert werden sollen, sind nämlich weitreichender, zielgenauer, zerstörerischer und kaum abzuwehren und vor allem sind sie fünfmal so schnell wie die Pershings von damals. Die Gefahr, dass solche bedrohlichen Waffen durch Russland präventiv ausgeschaltet werden könnten, ist also um ein Vielfaches höher.

Und woher sollte Putin wissen, dass diese Waffen nicht nuklear bestückt sind? Ist es nicht eher so, dass Deutschland durch die geplante Stationierung „unweigerlich ins Zentrum“ möglicher Attacken Putins rückt, gerade weil diese Raketen ausschließlich in Deutschland und nicht, wie die Pershings damals, auch in anderen Staaten Europas stationiert werden sollen? Wenn die Bedrohung durch angeblich schon jetzt in Russland und Weißrussland stationierte Mittelstreckenraketen so groß ist, dass man dagegen mit noch gefährlicheren Waffen abschrecken muss, dann fragt man sich, warum Putin diese Raketen nicht im Krieg gegen die Ukraine einsetzt?

Ist es nicht eher so, dass Deutschland durch die geplante Stationierung „unweigerlich ins Zentrum“ möglicher Attacken Putins rückt?
Dr. Wolfgang Lieb

Warum dringt die Bundesregierung nicht, wie damals Helmut Schmidt, darauf, dass mit einem „Doppelbeschluss“ wenigstens eine Abrüstungsperspektive eingenommen und mit der Drohung einer Stationierung auf den Abzug russischer Mittelstreckenraketen gedrängt wird? „Selbstmörderisch“, wie Markus Decker meint, ist nicht etwa, einem möglichen künftigen Präsidenten Trump den Eindruck zu vermitteln, wir wollten die Raketen gar nicht, sondern umgekehrt läuft man Gefahr, mit dieser Rüstungseskalation Selbstmord aus Angst vor dem Tod zu begehen. Dr. Wolfgang Lieb Köln

Wettrüsten: Stabilisierung der Weltlage zweifelhaft

Mehr Stärke verspricht mehr Abschreckung, verspricht mehr Sicherheit. Selbstverständlich ist das eine vertretbare Position. Aber wir sollten „Eskalation“, genauer Eskalationsgefahr, besser nicht in den Mund nehmen. Zumal die just angekündigte Aufrüstung nur eine – erst durch vorherige Aggression der Gegenseite entstandene – Lücke schlösse, mehr nicht.

Für die Stabilisierung der Weltlage scheint mir aber der Versuch viel wichtiger zu sein, sich in das Gegenüber hineinzuversetzen: Das kollektive und sehr vitale Gedächtnis Russlands umfasst mehrere großangelegte Invasionen von Westen, mit jeweils Millionen Opfern, ein ungebrochenes Heranwachsen des Nato-Territoriums deutlich unter die Mittelstreckendistanz, ferner mehrere destabilisierende Expeditionen von Nato-Staaten „out of area“ in jüngerer Vergangenheit. Und es würde etwa einen Nato-Hafen auf der Krim als Alptraum, aber als heute partout nicht mehr unwahrscheinlich qualifizieren.

Kann die angekündigte Aufstellung von Mittelstreckenwaffen die wechselseitigen Besorgnisse eher dämpfen oder weiter aktualisieren?
Dr. Karl Ulrich Voss

In dieser Situation sollten wir ergebnisoffen debattieren und demokratisch entscheiden dürfen: Kann die angekündigte Aufstellung von besonders zielgenauen und schwer abfangbaren Mittelstreckenwaffen die wechselseitigen Besorgnisse eher dämpfen oder weiter aktualisieren? Ist die Nato oder wären nicht vielmehr die Vereinten Nationen oder die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa die am wenigsten parteiischen Akteure? Dr. Karl Ulrich Voss Burscheid

Rüstungskontrolle statt Aufrüstung

Es ist nur konsequent, wenn die Partei, mit der wir „mehr Demokratie wagen“ wollten, nun eine umfassende Debatte in Deutschland über die Frage der Stationierung von Mittelstreckenwaffen wie Tomahawk, Hyperschallraketen und SM-6 durch externe Mächte einfordert. Verwunderlich ist allenfalls, dass Parteigranden wie Olaf Scholz und Boris Pistorius meinen, eine derartige Entscheidung ginge Parlament und Volk mangels Zuständigkeit nichts an!

1983 hatte eine von Union und FDP geführte Bundestagsmehrheit gegen den erbitterten Protest der Mehrheit der deutschen Bevölkerung der ehemaligen Besatzungsmacht USA gestattet, im Rahmen des sogenannten Nato-Doppelbeschlusses mit den Pershing II in Deutschland landgestützte Mittelstreckenraketen gegen die damalige Sowjetunion mit enormer Absenkung der Vorwarnzeiten aufzustellen. Aufrüstungsgegner argumentierten, dass gerade durch die verkürzten Vorwarnzeiten die sogenannte Erstschlagwahrscheinlichkeit gegen Abschussbasen auf dicht besiedeltem deutschen Boden signifikant erhöht würde.

Zumindest in der SPD gingen die Scharfmacher auf dem Kölner SPD-Parteitag 1983 sang- und klanglos unter. Schon 1987 war mit dem Rüstungszauber Schluss. Die USA und die Sowjetunion unterzeichneten den Mittelstrecken-Nuklearstreitkräfte (INF)-Vertrag, demzufolge die atomaren Mittelstreckenwaffen beiderseitig Zug um Zug aus dem Verkehr gezogen wurden. Ein Rüstungskontrollabkommen, das immerhin bis 2019 gehalten hat. Dann wurde es von Trump gekündigt. Felix Thurow Köln

Rolf Mützenich, SPD-Fraktionsvorsitzender, spricht in ein Mikrofon. Im Bildhintergrund ist eine rote Wand mit unscharfem weißem SPD-Schriftzug zu erkennen.

Rolf Mützenich, SPD-Fraktionsvorsitzender, warnt vor einer militärischen Eskalation als Folge der geplanten Stationierung von US-Waffen in Deutschland.

Wettrüsten: Mützenichs Warnung vor Eskalation ernst nehmen

Sagen wir es einmal zugespitzt: Der Fraktionsvorsitzende der SPD, Dr. Rolf Mützenich, ist ein Held. Helden, das sind Menschen, die mutig und beharrlich gegen Gefahren für andere ankämpfen, trotz großem und teilweise gehässigem Gegenwind. Mützenich lässt sich nicht den absurden Bären der Gefahr eines russischen Einmarsches in Deutschland aufbinden. Er will unser Land einfach davor bewahren, zum Standort neuer US-Raketen und damit zum möglichen atomaren Schlachtfeld zwischen Großmächten zu werden. Leider sind zu viele kluge Menschen nach dem Schreck über Putins Angriff auf die Ukraine der Kriegsrhetorik von Nato und Waffenlobby auf den Leim gegangen. Höchste Zeit, dass die Friedensbewegung wieder mutiger, größer und lauter wird! Reinhild Felten Köln

Hoffen auf Friedens- und Abrüstungsgespräche

Wenn der Westen ähnlich viel Energie wie in die Stationierung von Raketen in Friedensgespräche und Verhandlungsanstrengungen mit Russland, China und Indien setzen würde, könnten wir uns viele Milliarden sparen. Ich sehe überhaupt nicht, dass man im Westen in Friedens- und Abrüstungsgespräche mit dem Gegner Putin kommen will. Auch der Gastbeitrag von Professor Sautermeister verliert kein Wort darüber.

Und es ist schon bemerkenswert, wie der sonst besonnene Markus Decker in seinem Leitartikel „Deutschland braucht die neuen Raketen“ die Bedenken von Rolf Mützenich als totale Fehleinschätzung bezeichnet. Ein gründliches Abwägen von Pro und Contra zur Frage der Stationierung von Raketen hätte ich mir gewünscht. Das stünde einem Journalisten besser zu Gesicht als plumpe Schwarzweißzeichnung.Werner Deuß Köln

Raketenstationierung: Widerstand wie vor 60 Jahren?

Vor 60 Jahren, als die Pershing-II-Raketen in Deutschland stationiert werden sollten, gab es heftigen Widerstand in der deutschen Bevölkerung. Das wird sich jetzt wiederholen. Damals standen sich USA/Nato und die UdSSR gegenüber, deren Waffen in Thüringen und an der Elbe standen. Heute heißt es USA/Nato versus Russland, das die Ukraine angegriffen hat. Damals Breschnew, heute Putin. Die Befürchtungen der Bevölkerung haben sich nicht geändert und werden sich nicht ändern. Putin wird sich genauso wenig wie Breschnew und andere von der Argumentation des Westens mit Völkerrecht, Kriegsethik und Menschlichkeit beeindrucken lassen.

Deutschland gilt schon jetzt als Kriegsteilnehmer durch die Lieferungen von Panzern, Luftabwehr- und sonstigen Waffen an die Ukraine, so die Argumentation Russlands. Und jetzt soll es noch schlimmer kommen? Warum die Raketen nicht im Baltikum, in Polen oder Finnland stationieren, sofern die Menschen dort damit einverstanden sind? Gut, Deutschland ist der treue Vasall der USA, das ist schon seit 80 Jahren so. Selbst Außenministerin Annalena Baerbock stimmt für eine Stationierung – leider! Sollte Trump Präsident werden, ist dies alles hinfällig. Dann werden wir uns auf eigene Füße stellen müssen. Das sollte auch die deutsche Regierung begreifen. Christian Kautz Pulheim