Die USA und Deutschland verstärken die Abschreckung in Europa. Bundeskanzler Olaf Scholz gibt sich beim Nato-Gipfel ungewohnt selbstbewusst.
Rede bei Nato-GipfelScholz will mehr Verantwortung im Militärbündnis übernehmen
Der entschlossenste Schritt des Nato-Gipfels von Washington ist nahezu geräuschlos - und doch sicherheitspolitisch ein Knall: Wegen der Bedrohung durch Russland werden die USA in Deutschland von 2026 an wieder Waffensysteme stationieren, die weit bis nach Russland reichen. Darunter sollen Marschflugkörper vom Typ Tomahawk sein, die technisch gesehen auch nuklear bestückt sein können, Luftabwehrraketen vom Typ SM-6 und neu entwickelte Hyperschallwaffen, die insgesamt weiter reichen sollen als bislang stationierte Landsysteme.
Diese „fortschrittlichen Fähigkeiten“ würden das Engagement der USA für die Nato und ihren Beitrag zur gemeinsamen europäischen Abschreckung demonstrieren, teilten die USA und Deutschland am Rande des Gipfels in nur drei Sätzen mit.
Verstärkte Anzeichen der Blockbildung
Zum 75. Geburtstag der Nato ist der Kalte Krieg zurück: Das Bündnis verstärkt die militärische Absicherung Europas, weil die russische Führung um Präsident Wladimir Putin den Angriffskrieg gegen die Ukraine nicht beenden will und Maßnahmen der gegenseitigen Rüstungskontrolle aufgekündigt worden sind. Mehr noch: Die Anzeichen für eine neue Blockbildung verstärken sich, wobei die USA und Europa auf der einen Seite und China und Russland auf der anderen Seite um Einfluss in der Welt ringen.
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So verschärft die Nato auch ihren Ton gegenüber China und wirft der asiatischen Großmacht entscheidende Beihilfe für Russlands Krieg gegen die Ukraine vor. In der Abschlusserklärung des Gipfels werden die Unterstützung Chinas für die russische Verteidigungsindustrie sowie die sogenannte grenzenlose Partnerschaft als Beispiele genannt. „Dies erhöht die Gefahr, die Russland für seine Nachbarn und die euro-atlantische Sicherheit darstellt“, heißt es in dem Dokument.
Bloß nicht schwächeln
Die Nato versucht dem Eindruck entgegenzuwirken, sie sei vom Ukraine-Krieg ermüdet und durch Differenzen untereinander geschwächt. Die „Friedensmission“ des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban mit Besuchen in Moskau und Peking wird von anderen Bündnispartnern als nicht ernstzunehmend abgetan. Selbst der um seine Kandidatur bei der Wahl im November kämpfende US-Präsident Joe Biden bekommt Rückendeckung von den Verbündeten.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) tritt betont selbstbewusst auf und macht klar, dass Deutschland auch in schwierigen Zeiten seiner Verantwortung als größte Volkswirtschaft Europas nachkommen wolle. „Deutschland ist das größte Land in Europa innerhalb des Nato-Bündnisses. Daraus erwächst uns eine ganz besondere Verantwortung“, sagt er. „Und das kann ich hier ganz klar und deutlich sagen: Wir werden, ich werde dieser Verantwortung gerecht werden.“ Solche klare Töne sind eher selten von jemandem zu hören, der Deutschland am liebsten bescheiden als „Mittelmacht“ verkauft.
Dass nun auf deutschem Boden wieder US-Waffen stationiert werden sollen, die Russland treffen können, ist für ihn aber nicht ohne Brisanz. Die Furcht, dass man dadurch selbst zum Ziel russischer Waffen werden könnte, ist in Deutschland einigermaßen weit verbreitet. Es gibt außerdem nicht wenige in der SPD, die der Meinung sind, dass schon die Erlaubnis eines Einsatzes westlicher Waffen gegen militärische Stellungen auf russischem Territorium zum Desaster der SPD bei der Europawahl beigetragen hat.
US-Wahl birgt Ungewissheit
Die deutsche Innenpolitik stellt im Vergleich zur amerikanischen allerdings derzeit kein ernstzunehmendes Risiko für die Nato dar. In den Vereinigten Staaten steht im November die Präsidentschaftswahl an und die Rückkehr von Donald Trump ins Weiße Haus ist ein realistisches Szenario. Dass Trump das Stationierungsvorhaben dann rückgängig macht, liegt zumindest im Bereich des Möglichen. Der Republikaner hatte während seiner Amtszeit von 2017 bis 2021 eine Reduzierung der US-Militärpräsenz in Deutschland eingeleitet, die später von Biden gestoppt wurde. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine verstärkte der amtierende Präsident die US-Truppenpräsenz in Deutschland und Europa sogar wieder.
Biden versichert immer wieder, die Vereinigten Staaten stünden unumstößlich zu ihren Bündnispflichten in der Militärallianz und würden jeden Zentimeter von Nato-Territorium verteidigen. Trump hingegen wetterte in seiner ersten Amtszeit immer wieder über die seiner Ansicht nach zu niedrigen Verteidigungsausgaben von europäischen Alliierten und drohte zeitweise sogar mit einem Austritt der USA aus dem Bündnis.
Trump als Unsicherheitsfaktor
Im Wahlkampf sagte Trump, er wolle Nato-Ländern, die ihren finanziellen Verpflichtungen nicht nachkämen, keinen amerikanischen Schutz mehr gewährleisten - und ermutige Russland geradezu, mit ihnen „zu tun, was auch immer zur Hölle sie wollen“.
Trumps Äußerungen lassen nicht darauf schließen, dass er ein Interesse daran hat, sich stärker in der Nato und für die Abschreckung in Europa zu engagieren. Nichts deutet darauf hin, dass er seine Linie ändert. Trump sieht die Europäer stärker in der Pflicht. Doch vielleicht kann Trump der Stationierung weitreichender Waffensysteme in Deutschland doch etwas abgewinnen. Denn schließlich ist der 78-Jährige auch jemand, der gerne die Muskeln spielen lässt.
Für die Nato kann die Unberechenbarkeit Trumps sogar auch etwas Gutes haben - denn auch Putin weiß letztendlich nicht, was ihn bei weiteren Provokationen erwarten würde. (dpa)