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Post-Olympia-BluesKölner Sportpsychologe über Depressionen im Sport: „Einige fallen in ein Loch“

Lesezeit 3 Minuten
Nach der Niederlage liegt Anna-Maria Wagner enttäuscht auf der Judomatte in der Judohalle von Paris.

Für die Kölner Judoka Anna-Maria Wagner zerplatzte in Paris der Traum von Gold, eine depressive Phase machte sie aber auch nach Doppelbronze in Tokio durch.

Erst der Wettkampf, dann die Leere – viele Athleten kämpfen nach Olympia mit Depressionen. Deutsche Sport-Größen sprechen über ihre Erfahrungen.

Die olympische Flamme ist erloschen, emotionale Tage liegen hinter den Sportlerinnen und Sportlern. Und jetzt? Die Rückkehr in den Alltag fällt schwer, viele erleben eine große Leere. Rekord-Olympiasieger Michael Phelps rückte das Thema schon vor Jahren in den Fokus. Der 23-malige Goldmedaillengewinner aus den USA verfiel nach vier triumphalen Spielen stets in Phasen tiefer Depressionen.

Neben einigen anderen Olympionikinnen und Olympioniken machte auch die deutsche Fahnenträgerin Anna-Maria Wagner ihre mentalen Probleme nach den Olympischen Spielen 2021 in Tokio publik. Damals gewann die Kölner Judoka Doppelbronze. Vor der Leere, der Dunkelheit – der Schattenseite des Sports – schützten sie ihre Medaillen nicht. „Man kann sich das vorstellen, wie einen zerplatzten Luftballon“, beschreibt Moritz Anderten das Phänomen. Er ist sportpsychologischer Experte, betreut Athletinnen und Athleten an den Olympiastützpunkten in Nordrhein-Westfalen. Auch mit Wagner arbeitet er seit 2018 zusammen.

Post-Olympia-Blues: Erschöpfung, Perspektivlosigkeit, Identitätsfragen

„Von jetzt auf gleich ist der Moment, auf den die Sportlerinnen und Sportler, genauso wie Trainerinnen und Trainer, jahrelang hingearbeitet haben, vorbei. All die Energie löst sich auf. Einige fallen in ein Loch“, sagt der Kölner. Das auch als Post-Olympic-Blues beschriebene Phänomen könne unabhängig von erreichten oder unerreichten Zielen einsetzen. Wichtig dabei: „Bei dem Blues handelt es sich nicht um eine klinische Depression, das muss klar voneinander abgrenzt werden“, so Anderten. Es könne allerdings darin übergehen.

Verbunden sei die emotionale Erschöpfung häufig mit Perspektivlosigkeit und einer Identitätskrise: Wie mache ich weiter? Wer bin ich, wenn ich keinen Sport treibe? Um dem vorzubeugen, sei es wichtig, präventiv zu arbeiten. „Wir müssen die Sportlerinnen und Sportler vor Großereignissen dafür sensibilisieren. Auch Trainerinnen und Trainer können Perspektiven aufzeigen, wie es nach dem Event weitergeht“, sagt Anderten.

Malaika Mihambo: Pläne gegen die Leere

Dass die Art und Weise der Saisonfortsetzung Einfluss haben kann, weiß auch Malaika Mihambo, die nach Olympia-Gold in Tokio jetzt in Paris Silber gewann. Sie will die aktuelle Saison wie geplant zu Ende bringen. Nach den Spielen 2021 hätte sie sich besser früher in den Urlaub verabschiedet.

„Die Tokio-Saison war für mich sehr hart. Ich musste mit mir selbst kämpfen und damals noch lernen, mit dem Druck von außen umzugehen. Danach war ich komplett am Ende. Rückblickend wäre es besser gewesen, nach den Olympischen Spielen an Ort und Stelle zu sagen, es war schön und wir sehen uns nächstes Jahr wieder“, berichtete Mihambo. „Ich habe dadurch etwas länger gebraucht, um aus meiner Post-Olympic-Depression herauszukommen.“

Malaika Mihambo feiert mit Ulrich Knapp, DLV-Bundestrainer Weitsprung.

Um der Leere nach Großereignissen zu entgehen, können klare Pläne helfen, wie bei Malaika Mihambo in Zusammenarbeit mit ihrem Coach Ulrich Knapp.

Dass Mihambo, Wagner und Phelps öffentlich über ihre Leiden sprechen, ist keine Selbstverständlichkeit. Lange Zeit waren psychische Erkrankungen im Sport tabu, die Dunkelziffer ist hoch. Daraus zu schließen, dass Leistungssport nicht mit mentaler Gesundheit zu vereinen ist, sei dennoch ein Trugschluss. „Natürlich gibt es in dem System viel Druck, harte Kriterien und Ungerechtigkeiten. Aber Leistungssport ist nicht per se gesundheitsschädlich“, sagt Anderten.

Grundsätzlich seien Menschen im Sport von psychischen Erkrankungen genauso wie die Gesamtbevölkerung betroffen: also etwa jeder Fünfte. Die Sportpsychologie könne das Rüstzeug mitgeben, um die Quote zu verringern. „Am besten beginnt man damit im Jugendalter und nicht erst, wenn die Probleme schon da sind“, sagt Anderten. Die Bedeutung von psychologischer Betreuung sei im deutschen Sport angekommen. „Optimierung nach oben gibt es immer, aber wir sind inzwischen strukturell gut aufgestellt.“

Manche, so sagt er, kommen aber auch ohne die fachliche Unterstützung zurecht. Andere nehmen die Einheiten öfter in Anspruch. Anna-Maria Wagner schaffte es nach ihrem Post-Olympic-Blues mit sportpsychologischer Hilfe zurück auf die Matte. Nach ihrem medaillenlosen Abschneiden in Paris will sie in diesem Jahr aber „auf jeden Fall keinen Judoanzug mehr anziehen“, sagt sie. Die Momente als Fahnenträgerin werden aber hoffentlich weiter in positiver Erinnerung bleiben. (mit dpa)