Gold-Gewinnerin Jaroslawa Mahutschich kämpft nicht nur im Sport. Sie will auch Aufmerksamkeit für die russische Invasion in ihrem Heimatland.
Hochspringerin Mahutschich„Wir haben unsere Medaillen für alle Ukrainer gewonnen, für unsere Verteidiger“
Da ist dieser glitzernde Lidstrich in Gelb und Blau, er überdeckt die Ernsthaftigkeit in den Augen der 22-Jährigen, wo eigentlich nur pure Lebensfreude sein sollte. Sie ist die Beste in ihrem Fach, Weltrekordhalterin im Hochsprung, Weltmeisterin, Europameisterin und seit dem späten Sonntagabend auch Olympiasiegerin von Paris. Jaroslawa Mahutschich ist Spitzensportlerin, sie ist eine junge Frau mit einem enormen Talent. Aber sie ist auch Ukrainerin. Und damit in diesen Tagen Friedensbotschafterin für ihr Land, ob sie will oder nicht.
Nach ihrem Wettbewerb sagt sie in den Katakomben des Stade de France bei der obligatorischen Sieger-Pressekonferenz: „Wir haben unsere Medaillen für alle Ukrainer gewonnen, für unsere Verteidiger.“ Der Sport gebe ihr die Möglichkeit, „über die Situation zu sprechen, über den Krieg in der Ukraine“. Und, ihre wichtigste Bitte an die Welt: „Wir wollen Frieden.“
Jaroslawa Mahutschich: „Wir wollen Frieden“
Als der Wettkampf vorbei ist und sie als Siegerin feststeht, ist das Lächeln in Mahutschichs Gesicht zunächst ein bisschen verkniffen. Sie wollte mehr, das ist ihr anzusehen. Das war ihr vor diesem letzten Sprung, ihrem dritten Versuch über 2,02 Meter, anzusehen. Da wechselte sie noch einmal die Socken in ihren grell orangefarbenen Spikes. Sie kuschelte sich in ihren Schlafsack, legte sich flach auf den Boden, begab sich in ihren Konzentrations-Tunnel. Anmutiger Anlauf, kraftvoller Absprung – aber es sollte nicht höher hinaus gehen an diesem Abend.
Mahutschich siegte mit übersprungen 2,00 Metern vor der höhengleichen Australierin Nicola Olyslagers. Bronze teilen sich Eleanor Patterson aus Australien und Mahutschichs Landsfrau Iryna Geraschenko, beide kamen ohne Fehlversuch bis 1,95 Meter. Das schaffte auch Christina Honsel, die einzige Deutsche im Pariser Hochsprung-Finale der Frauen, allerdings mit mehr Fehlversuchen. Sie wurde Sechste.
Einzige deutsche Hochspringerin bei Olympia Christina Honsel landet auf Platz sechs
Vor ihrem letzten Versuch hatte Mahutschich die Goldmedaille längst sicher, alle Konkurrentinnen waren ja bereits ausgeschieden. Aber die Ukrainerin hatte erst kürzlich den Weltrekord auf 2,10 Meter geschraubt. Jetzt wollte sie auch auf dieser Bühne ähnlich gut springen. Für sich, weil es Sportlerinnen und Sportler von ihrem Format auszeichnet, immer noch besser sein zu wollen. Aber auch für die Ukraine. Sicher hatte Mahutschich den olympischen Rekord der Russin Jelena Slesarenko im Blick. Er steht bei 2,06 Meter, aufgestellt 2004 in Athen.
Einen direkten Vergleich mit Athletinnen aus dem Land, das ihr eigenes seit mehr als zwei Jahren mit Bomben und Panzern attackiert, gibt es für Mahutschich aktuell nicht. Anders als manch anderer Verband ist World Athletics nicht der Empfehlung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) nachgekommen, russische und belarussische Sportlerinnen und Sportler nach strengen Neutralitäts-Kriterien als neutrale Athleten zum internationalen Wettkampfbetrieb zuzulassen. Der Leichtathletik-Weltverband schließt sie seit Kriegsbeginn aus.
Viele Männer aus dem olympischen Team der Ukraine kämpfen an der Front
„World Athletics ist keine politische Organisation“, sagte der britische Verbandspräsident Sebastian Coe vor dem Start der Leichtathletik-Wettbewerbe in Paris. „Unsere harte Entscheidung gegenüber Russland und Belarus hatte nichts mit Politik oder Pässen zu tun, sondern einzig und allein mit der Integrität des Sports.“ Normalerweise wäre die Ukraine mit einem Leichtathletik-Team von 70 und mehr Sportlerinnen und Sportlern nach Paris gekommen, sagte Coe: „Jetzt sind es weniger als 30.“ Athletinnen und Athleten sind im russischen Angriffskrieg umgekommen, viele männliche Mitglieder des ukrainischen Teams kämpfen an der Front. Coe stellte eine rhetorische Frage: „Wäre es fair, wenn diese Athleten, die solchen Nachteilen ausgesetzt sind, Athleten als Gegner hätten, deren Land eine solche Aggression zeigt?“ Seine Antwort darauf muss nicht ausgesprochen werden.
Seit der Krieg vor mehr als zwei Jahren begann, trainiert Mahutschich kaum noch zu Hause. Sie stammt aus Kölns Partnerstadt Dnipro. Zunächst schlug sie ihr Lager in Herzogenaurach bei ihrem Sponsor Puma auf, im vergangenen Jahr lebte sie in Belgien, und in diesem Jahr sei sie überall in der Welt unterwegs gewesen, erzählt Olha Nikolaienko. Sie begleitet die Ukrainerinnen in Paris bei Interviews und legt Wert darauf, dass ihr Name Olha geschrieben wird, in der ukrainischen Variante mit h, nicht in der russischen mit g.
Die australischen Kolleginnen haben Mahutschich auch eingeladen, mit ihnen zu trainieren. Was sie davon halte, wird die Ukrainerin in Paris gefragt. „Ich würde wirklich gern nach Australien kommen“, sagte Mahutschich: „Aber ich fürchte mich vor Spinnen.“ Jetzt blitzt jugendlicher Schalk unter ihrem grellen Lidstrich. Sie sprach dann noch so etwas wie eine Gegeneinladung aus: „Ich hoffe, dass viele Menschen die Ukraine besuchen werden, wenn der Krieg vorbei ist.“
Mahutschich erinnert immer wieder an die Situation in ihrer Heimat und betont, wie schwer es sei, sich auf den Hochsprung zu konzentrieren: „Bevor der Krieg begonnen hat, war der Sport das Wichtigste in meinem Leben. Jetzt ist das, was ich am meisten schätze, am Leben zu sein.“
Am Ende der Pressekonferenz in Paris wird Jaroslawa Mahutschich noch gefragt, was sie jetzt vorhabe, nachdem sie alle großen Titel gewonnen hat. Ihre Antwort kommt ohne ein Zögern: „Ich möchte besser werden. Ich möchte höher und höher springen“, sagt sie: „The Sky ist the Limit.“