Bestellfan gegen BüdchenliebhaberinSind Lieferdienste eine gute Idee?
Es ist Donnerstag, 15:20 Uhr, ich sitze im Homeoffice. Draußen ist der Sommer, den ich mir im Juli und August so sehnsüchtig gewünscht habe. Aber heute muss ich arbeiten. Spontan verabrede ich mich nach Feierabend mit Freunden zum Grillen. Heute will ich keine Minute von dem Wetter verschwenden, vor allem nicht im Supermarkt. Ich öffne die Flink-App, packe Würstchen, Baguette, Salat und Bier in den Warenkorb und klicke auf Checkout. Die App hat meine Daten gespeichert: Jetzt einkaufen.
Zehn Minuten später klingelt es. Ein junger Mann überreicht mir eine Papiertüte, lächelt und sprintet die Treppe runter. Schnelllieferdienste wie Flink, Gorillas und andere sind super.
Das wertvollste, das mir das Start-Up gibt, ist Zeit. Zeit, die ich jetzt mit meinen Liebsten verbringen kann. Zeit, die ich während der Arbeit nicht habe. Zeit, die ich nicht in den engen Gängen im Supermarkt verbringen möchte. Ein Einkauf kann schon mal eine Stunde in Anspruch nehmen. Erstens: Hinfahren, oder in der Großstadt wohl besser hinlaufen. Ansonsten verbringt man die Stunde nur mit der Parkplatzsuche. Zweitens: Suchen. Vor allem bei spezielleren Lebensmitteln.
Lieferdienste sparen Warteschlangen-Zeit
Drittens, und das ist für mich der nervigste Part: Die Menschen, die sich im Gang breit machen, sich beim Laufen auf der Stelle umdrehen oder minutenlang vor der Kühltruhe stehen, weil sie sich nicht entscheiden können. Viertens: Bezahlen – wem gefällt es bitte, zehn Minuten lang, oder länger, in einer Warteschlange zu stehen?
Zuhause räume ich den Einkauf weg und merke, dass mein Stresslevel geringer ist als nach jedem anderen Einkauf. Natürlich könnte ich nach der Arbeit schnell zum Supermarkt um die Ecke laufen. Aber was ist mit der alleinerziehenden Mutter, die sich um drei Kinder kümmern muss? Was ist mit dem alten Mann, der keine Familie in der Stadt hat und dem die Beine bei jedem Schritt schmerzen? Was ist mit den Menschen, die unter Depressionen leiden, denen nur beim Gedanke an den Supermarkteinkauf übel wird? Was ist mit den Menschen, die wegen Corona Zuhause in Quarantäne sitzen und die eigenen Freunde nicht nerven wollen, weil man spontan Lust auf eine frische Mango oder ein Eis hat?
Schnelllieferdienste sind eine gute Alternative
Wer strikt gegen die Dienstleistungen ist sollte sein eigenes Konsum- und Einkaufsverhalten kritisch überdenken. Sollte man dann noch bei Amazon bestellen oder zum Friseur gehen? Auch bei diesen Dienstleistungen gab es in der Vergangenheit Debatten über zu geringe Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen. Natürlich sollte jeder Mitarbeiter fair behandelt werden und solche Themen müssen diskutiert werden. Schnelllieferdienste müssen nicht jeden Einkauf ersetzen, aber sie sollten als Alternative akzeptiert werden.
Ja, 10 Minuten sind verdammt schnell. Vor allem mit dem Fahrrad. Aber das spiegelt das ökologische Denken der Start-Ups wider. Es sind die Konkurrenzkämpfe, die Start-Ups zur Schnelligkeit treiben. Aber Konkurrenz treibt innovative Ideen voran. Wir leben in einer modernen und teils virtuellen Gesellschaft, in der wir vieles bequem vom Sofa aus machen (wollen).
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Wir lernen uns über Dating-Apps kennen, erledigen unsere Bankgeschäfte per App oder lassen uns unsere neuen Kleider nach Hause liefern – und auch da erwarten wir schnelle Lieferungen. Warum nicht auch Lebensmittel, wenn man sie zeitnah braucht und die Dienste das Leben stressfreier gestalten. Wenn ich den Drang habe, mich zu bewegen, dann mache ich das. Aber ich möchte entscheiden, wie ich meine 10.000 Schritte am Tag sammle – und das eben nicht immer im überfüllten Supermarkt.
Larissa Rehbock, Volontärin, war bis vor kurzem Studentin und hatte da Zeit zum EInkaufen. Jetzt schätzt sie ab und zu die Hilfe von Lieferdiensten.
Köln ist zugepflastert mit den großen schwarzen Plakaten und ihren kryptischen Botschaften: „Niemand. Wirklich niemand. Ich um 22:34: Jetzt ‘ne saftige Tomate. Gorillas.“ Die in Pink versteht man schneller: „Rosé leer? Flinks dir.” Spätestens, wenn man die Firmennamen auf den quadratischen Transportboxen der unzähligen Fahrradkuriere wiedererkennt, fällt der Groschen: Lieferdienst, alles klar.
Die schwarzen sind die Gorillas, die pinken gehören Flink, neu dazugekommen ist Türkis, aber es lohnt nicht, sich deren Firmennamen auch noch einzuprägen. Man kennt das ja schon von den E-Rollern, die sich ebenso harmlos bunt ins Stadtbild drängten. Verkauft wurde das mal als umweltfreundliche Alternative zum Auto. Draus geworden ist ein extrem nerviges Spaßmobil für betrunkene Jugendliche, das ansonsten quer auf dem Bürgersteig liegt und am Ende im Rhein landet.
Den neuen Lieferdiensten kann man zu Gute halten, dass sie gar nicht erst so tun, als seien sie eine Alternative zum Wocheneinkauf im Supermarkt. Der Sound und Look ihrer Kampagnen zielt ab auf Millennials, die sie mit einem unglaublichen Versprechen locken: Du kannst alles haben und zwar sofort. Eine saftige Tomate, eine Flasche Rosé, zu Supermarktpreisen, in zehn Minuten. Richtig: zehn. Quick Commerce heißt das Geschäftsfeld, Turbokapitalismus das System, in dem es aufblüht. Denn klar sollte doch auch dem einfältigsten Menschen sein: die Sache hat einen Haken. Sogar mehrere.
Lager in der Stadt werden zum Problem
Um die irrwitzigen Lieferzeiten einhalten zu können, mieten die Unternehmen überall in der Stadt kleine Lager an. Unterhalten Sie sich mal mit den Bewohnern der Marsiliusstraße in Sülz, in der sich gleich zwei Schnelllieferdienste angesiedelt haben. Schwarze Fahrradboten schwärmen aus der Hausnummer 28 ein und aus, zwei Häuser weiter dominiert die Farbe Pink.
Dazu kommt die Anlieferung der Waren, die eine Anwohnerin dieser Zeitung so schilderte: „Morgens um 6.30 Uhr kommen die ersten Lkw, auch samstags. Oft parken hier zwei, drei hintereinander in der engen Straße. Sie ignorieren Halteverbotszonen, versperren die Zufahrt zu den Garagen als auch die Straße, was zu Behinderungen des fließenden Verkehrs und zu Hupkonzerten der ausgebremsten Fahrzeuge führt“.
Schlechte Arbeitsbedingungen
Wenig überraschend sind auch die Arbeitsbedingungen der Kuriere ein Witz: befristete Arbeitsverträge, hoher Zeitdruck, schlechte Ausrüstung und unpünktliche sowie fehlerhafte Bezahlung. Beim Lieferdienst Gorillas bildet sich gerade Widerstand in Form von Sitzblockaden vor den Lagern und spontanen Arbeitsniederlegungen.
Noch was? Na klar: die Daten. Bestellt wird über eine App, der jeder Kunde und jede Kundin intimste Informationen verrät: Name, E-Mail-Adresse, physikalische Adresse und natürlich der Einkauf selbst: drei Bananen, zwei Bier, ein Schwangerschaftstest. Obwohl diese Daten wertvoll wie ein Schatz sind, wurden sie von den Unternehmen in der Vergangenheit nicht gut geschützt: Mehr als eine Million Bestellungen von mehr als 200.000 Gorillas-Kunden waren im Frühjahr im Netz abrufbar, wie das IT-Kollektiv „Zerforschung“, herausfand. Konkurrent Flink musste ebenfalls Datenlecks eingestehen.
Warmes Essen in sieben Minuten - aus der Geisterküche
Trotz alledem darf man auf ein Ende des Quick Commerce nicht hoffen. Seit Mai wagt Delivery Hero einen Neustart auf dem deutschen Markt und liefert nun unter der Marke Foodpanda nicht nur Supermarktprodukte sondern auch noch warmes Essen dazu – in sieben Minuten! Gelingen soll das mithilfe von „Geisterküchen“. Googeln Sie das mal. Aber holen Sie sich vorher ein Bier. Am Büdchen.
Jenny Meyszner (46), Leiterin Magazin, ist überzeugt, dass der Gang zum Büdchen für alle gesünder ist. Egal, was man da kauft.