Pro und ContraSollten Kinderlose mehr für die Pflege bezahlen?
- Ein Gesetzentwurf sieht vor, dass Kinderlose einen noch etwas höheren Beitrag für die Pflegeversicherung zahlen müssen als Eltern. Gerecht oder eine Bestrafung eines Lebensmodells?
- Isabell Wohlfahrt sagt: „Nur wenn heute Kinder geboren werden, gibt es später Arbeitskräfte, die die Pflege finanzieren“
- Thorsten Breitkopf sagt: „Ein höherer Pflege-Satz für Kinderlose wird nicht zu mehr Kindern führen.“
Sollten Kinderlose mehr für die Pflege bezahlen?
Ja. Vorneweg: Bei der Entscheidung, Menschen ohne Kinder bei der Pflegeversicherung mehr zu belasten, geht es nicht darum, Kinderlosen den Schwarzen Peter zuzuschieben oder einen Lebensentwurf zu bestrafen – der ja auch nicht immer selbst gewählt ist. Es geht hier allein um einen Ausgleich von Geld und Sorgearbeit.
Es ist schlichtweg Fakt, dass die finanzielle Belastung ungemein höher ist, wenn Kinder in einem Haushalt leben. Zum einen müssen viele Mütter oder Väter zumindest zeitweise ihre Erwerbsarbeit reduzieren, um die Kinder zu betreuen. Es steht also weniger Geld pro Monat zur Verfügung. Zum anderen kosten Kinder natürlich Geld. Windeln, Klamotten, Essen, Kita-Beträge, Schulausflüge, Einrichtung, Fahrräder, Computer, Mobiltelefone, der Karatekurs, ein Klavier, der Führerschein.
Dazu kommt: Kinder brauchen Platz. Und dieser Platz kostet gerade in Ballungsräumen viel Geld. Familien müssen über Jahre hinweg viel Miete bezahlen oder Unsummen in ein Haus oder eine Wohnung investieren. Oft bleibt ihnen nichts anderes übrig, als weit raus zu ziehen, wo die Kosten geringer sind – nur um dann wieder viel Geld für Benzin auszugeben, um weiterhin zum Arbeitsplatz zu kommen.
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Das führt direkt zum nächsten Kostenfaktor: Wenn eine Familie ein Auto braucht, dann tut es kaum ein günstiger Kleinwagen. Selbst was die Freizeitgestaltung betrifft, haben Familien oft höhere Belastungen. Haben Sie mal verglichen, was es kostet, im Mai zu zweit nach Griechenland zu fliegen oder im Juli zu fünft? Da staunt man und fährt als Familie dann doch an den Bodensee. Aber selbst dort liegen die Preise in den Schulferien höher.
Mütter leisten die meiste unentgeldliche Arbeit
Kommen wir zur Care-Arbeit. Die wird zu großen Teilen immer noch von Müttern geleistet. Sie sind es häufig, die nicht in Vollzeit berufstätig sind und sich stattdessen um den Haushalt kümmern, die Kinder betreuen und ältere Familienangehörige unterstützen, versorgen oder pflegen. Damit machen Mütter jene Arbeit unentgeltlich und „nebenher“, die sonst dem Steuerzahler Geld kosten würde.
Viele Mütter und einige Väter reduzieren wegen der familiären Belastung oft länger als geplant ihren Einsatz im Erwerbsberuf – und verschlechtern damit ihre finanzielle Situation langfristig. Denn natürlich gerät eine besser bezahlte Leitungsfunktion für Teilzeitkräfte oft in weite Ferne. Und das, obwohl Mütter oder Väter ja nicht fauler oder schlechter ausgebildet sind als diejenigen, die zwar Vollzeit erwerbstätig sind, dafür an den Abenden und am Wochenende aber weder für Kinder kochen noch waschen müssen.
Nur wenn heute Kinder geboren werden, gibt es später Arbeitskräfte, die die Pflege bezahlen
Nicht zuletzt kümmern sich die Familien auch noch um die zukünftigen Steuerzahler. Denn natürlich ist unsere Gesellschaft auf Reproduktion angewiesen. Nur wenn heute Kinder geboren und aufgezogen werden, kann es später Arbeitskräfte geben, die die Gesellschaft mit tragen und die Pflege- und Rentensysteme finanzieren. Wenn es gut läuft, pflegen die Nachkommen sogar ihre eigenen Eltern oder kommen zumindest für deren Versorgung auf – und entlasten damit den Staat. Was Eltern an Geld und Kraft in das System investieren, ist immens. Ein etwas erhöhter Pflegebeitrag für Kinderlose ist deshalb gerecht.
Isabell Wohlfahrt, 41, ist Redakteurin im Ressort Freizeit & Ratgeber. Sie hat drei Kinder und ist immer wieder geschockt, wie teuer der Alltag als große Familie ist.
Sollten Kinderlose mehr für die Pflege bezahlen? Nein.
Das Ziel der Politik ist es, ein bestimmtes Verhalten der Bürger zu belohnen, oder eben zu bestrafen. So erhält ein Bauträger, der Sozialwohnungen baut, vielleicht günstige staatliche Darlehen. Wer Solarzellen aufs Dach setzt, der erhält einen Zuschuss. Und wer ein klimafreundliches Elektroauto kauft, der wird für eine gewisse Zeit von den Kraftfahrzeugsteuern befreit (und er erhält einen Bonus). Stellt sich aber immer die Frage, wann wirkt eine solche Lenkungsfunktion, und wann verfehlt sie ihr Ziel.
Beim Bauträger klappt das ganz gut – seit vielen Jahrzehnten schon. Bei der Solarzelle ist der Zuschuss momentan zu klein. Und E-Autos gehen weg wie warme Semmeln, weil sie dank Prämie fast schon billig sind.
Trotz steigendem Kindergeld sank die Geburtenrate
Aber, vorausgesetzt Sie haben Kinder, haben Sie bei Ihren Vorabüberlegungen ausgerechnet, wie viel Kindergeld Sie dafür bis zu deren Eintritt ins Berufsleben bekommen werden? Und auf Grund dieser Kalkulation vielleicht noch ein Zweites oder Drittes in die Welt gesetzt? Ich glaube nicht. Kurioserweise verlief es ganz anders. Denn trotz steigendem Kindergeld in der Bundesrepublik Deutschland sank über viele Jahre die Geburtenrate in Deutschland. Das Beispiel zeigt, dass bestimmte Anreizmechanismen die Wünsche des Staates nicht erfüllen können.
So ist es auch beim höheren Pflegeversicherungsbeitrag für Kinderlose. Dort liegt der monatliche Basisbeitrag bei 3,05 Prozent des jeweiligen Bruttogehaltes. Kinderlose Versicherte ab einem Alter von 23 zahlen einen sogenannten Kinderlosenzuschlag von 0,25 Prozentsatzpunkten.
Eltern errechnen keine Pflegeersparnis vor der Zeugung
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn will ihn noch etwas erhöhen. Egal wie hoch der Bruttolohn ist, wage ich die Behauptung, dass viele Paare nicht errechnen, wie viel sie in der Pflegeversicherung sparen, wenn sie ein Kind in die Welt setzen und sich so davor drücken können. Viele Eltern wussten von der Regelung bis vor wenigen Tagen wahrscheinlich noch nicht einmal etwas. Die Lenkungswirkung ist verfehlt.
Zudem sollten wir die Freiheit nicht aus dem Blick verlieren: Die Freiheit des Einzelnen ist es eben auch, keine Kinder zu bekommen. Und was ist mit den Menschen, die gar keine Kinder bekommen können? Oder jenen, die ihren Wunschpartner erst kennenlernen, wenn es zu spät ist? Oder sich auch gar nicht an einen Partner des anderen Geschlechts binden wollen? Sollen diese Menschen jetzt für ihre Entscheidung bestraft werden?
Wer sich gegen Kinder entscheidet, soll nicht bestraft werden
Ich finde, man sollte nicht dafür bezahlen müssen, wenn man sich gegen Kinder entscheidet, aus welchen Gründen auch immer. Wer dem einfachen Argument folgt, Kinderlose würden unseren Generationenvertrag austricksen, verhält sich populistisch.
Statt einer Art Strafsteuer für Kinderlose, sollte die Öffentliche Hand schlicht wirklich wirkende Anreize setzen, die Kinderwillige belohnen. Die Qualität der Betreuung des Kindes und deren Preis könnte den Kinderwunsch von Paaren sicherlich eher beeinflussen. Dazu gehört auch eine kostenlose Betreuung ab dem Tag, an dem die Eltern wieder arbeiten müssen oder können. Denn arbeitende Menschen tragen entschieden mehr zur Pflege- und Rentenversicherung bei, als kuriose Prozente-Umverteilung.
Thorsten Breitkopf, 42, ist Leiter des Wirtschaftsressorts und Vater einer 18 Monate alten Tochter. Er sagt: „Die Freiheit des Einzelnen ist es auch, keine Kinder zu bekommen. Und wegen 0,25 Prozentsatzpunkten bekommt man sowieso kein Kind.“