Soziale VerdrängungWie sich die Mieten in Köln in den letzten Jahren entwickelt haben
Die Nachricht flatterte den Mietern im April ins Haus. Bis zu zwölf Euro pro Quadratmeter sollen sie nach dem Willen des Bochumer Immobilienkonzerns Vonovia ab Juli für ihre Wohnungen im Wohnpark Bayenthal, einem Komplex aus den 1970er Jahren, bezahlen. Dabei, so behauptet der Mieterverein Köln, liege die ortsübliche Miete in dieser Gegend nur bei neun Euro. Sanierungsmaßnahmen gab es offenbar nicht.
Das Wohnungsunternehmen verweist in der Begründung auf Mieten in vergleichbaren Wohnungen aus eigenem Bestand, wo die Miete bereits bei 12 Euro liegt. „Es ist eine gängige List gerade von großen Unternehmen bei Erhöhungen nicht den Mietspiegel, sondern Mieten von Vergleichswohnungen heranzuziehen“, sagt Jörg Hänsel vom Mieterverein Köln, der einige Menschen vertritt, die die Steigerung nicht hinnehmen wollen. „Aus unserer Sicht ist die Anhebung deutlich zu hoch. Wir gehen davon aus, dass die Gerichte das genauso sehen.“ Das Problem sei, dass viele Betroffene einfach unterschreiben würden, ohne zu hinterfragen, sagt Hänsel. Genau darauf würden auch die Unternehmen spekulieren. Die wenigen juristischen Gefechte gehörten mit zur Kalkulation.
„Individuelle Lösungen“ finden
Vonovia wehrt sich gegen den Vorwurf. „Der Mietspiegel in Köln ist nicht qualifiziert. Deshalb können wir hier gemäß gesetzlicher Vorgaben auf das Begründungsmittel der Vergleichswohnungen zurückgreifen“, erklärt Sprecherin Bettina Benner auf Anfrage. Man wolle aber nun auf die Mieter zugehen und „individuelle Lösungen“ finden. Besonderen Schutz garantiere Vonovia Seniorinnen und Senioren über 70 Jahre. Ihre Wohnungen sollen „auch bei Veränderung der ortsüblichen Vergleichsmiete weiterhin bezahlbar“ bleiben.
Seit 20 Jahren berät Jurist Hänsel Mitglieder des Vereins in allen möglichen Streitigkeiten, die zwischen Mietern und Vermietern anfallen können. Über 30.000 Beratungsgespräche hat der Verein 2019 geführt. Bei den meisten ging es um zweifelhafte Betriebskostenabrechnungen und Wohnungsmängel. Auf Platz drei rangieren Auseinandersetzungen um Mieterhöhungen.
Experten fürchten soziale Verdrängung
Die Mietpreisexplosion in den Großstädten gehört seit vielen Jahren zu den drängendsten Problemen in Deutschland. Längst befürchten Experten soziale Verdrängung und eine Polarisierung gesellschaftlicher Strukturen. Die Frage ist: Wo eigentlich steuert der Wohnungsmarkt hin und was setzen Städte wie Köln der sich zuspitzenden Schieflage entgegen?
Ein Blick auf die aktuellen Statistiken zeigt, dass Köln im Vergleich zu anderen Städten noch einigermaßen gut wegkommt. Den Stammplatz ganz oben in den Mietpreis-Rankings der Großstädte hält seit Jahren die Stadt München. Spitzenpreise von 18,61 Euro pro Quadratmeter werden dort laut einer Auswertung von Statista für das vierte Quartal 2020 inzwischen aufgerufen. Eine Familie muss für eine 100-Quadratmeter-Wohnung in der bayrischen Landeshauptstadt derzeit also bis zu 1900 Euro bezahlen. Auf den Plätzen folgen Frankfurt und Stuttgart. Laut Mietspiegel wurden in Köln im vergangenen Jahr durchschnittlich 14,08 Euro Nettokaltmiete bezahlt.
Ein etwas anderes Bild ergibt sich, wenn man auf die ortsübliche Vergleichsmiete schaut, die laut Bürgerlichem Gesetzbuch Grundlage für die Rechtmäßigkeit von Mieterhöhungen ist. Diese liegt schon deshalb deutlich unter der Durchschnittsmiete einer Stadt, weil in ihrer Berechnung unter anderem die Mietpreise aus den vergangenen sechs Jahren zugrunde gelegt werden.
Hier rangiert Köln laut Auswertung des Hamburger Forschungsunternehmens F+B mit 8,47 Euro Nettokaltmiete auf Platz sechs und somit 19 Prozent über dem Bundesdurchschnitt von 7,11 Euro (siehe Grafik). Nicht nur in München und Stuttgart, auch auf der Rheinschiene - Köln, Düsseldorf, Bonn - steigen die Mieten also unaufhörlich.
Allein in Köln schnellten die Mietpreise aller Baujahre von 2016 bis 2021 um 19,5 Prozent in die Höhe, hat das Institut für Forschung und Beratung empirica berechnet. Der Gesetzgeber hat mit der Mietpreisbremse auf den überhitzten Markt reagiert. Demnach dürfen Mieten bei neu abgeschlossenen Mietverträgen höchstens zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen.
Nie dagewesener Boom
„Wir erleben derzeit einen Boom, wie wir ihn in Deutschland bislang nicht gekannt haben“, sagt Reiner Braun, Vorsitzender von empirica. „Es gibt weiterhin eine starke Binnenwanderung in die Städte. Gerade Köln hat auf viele junge Menschen eine anziehende Ausstrahlung.“ Die Pandemie habe den Zuzug zwar abgebremst, aber nicht gestoppt. Im Gegenteil: Es sei damit zu rechnen, dass nach der Corona-Krise vermehrt Menschen nach Deutschland kommen werden, deren Heimatländer die Pandemie wirtschaftlich stark durchgeschüttelt hat. Bis zum Jahr 2030 prognostiziert das Institut einen Anstiegder Kölner Bevölkerung um rund 90.000.
Ökonomisch hat schon jetzt ein simpler Effekt eingesetzt: Die Nachfrage steigt, das Angebot kann nicht mithalten, die Preise ziehen an. Begünstig wird die Entwicklung durch den Niedrigzins bei der Kreditvergabe. „Die Menschen sehen Immobilien als lohnenswertes Investment. Der Markt wird angekurbelt, die Preise werden versaut“, sagt Braun. Auch das lässt sich mit Zahlen belegen. Die Kaufpreise für Eigentumswohnungen in Köln zogen laut empirica-Statistik zwischen 2016 und 2021 um 57 Prozent an.
Verschärft wird das Problem durch die ungünstige Verteilung von Wohnraum. Laut dem Geschäftsbericht der Stadt „Wohnen in Köln 2019“ leben 50 Prozent der Bürger in Singlehaushalten, weitere gut 25 Prozent in Zwei-Personen-Haushalten. Vier-Personen-Haushalte machen nur knapp acht Prozent aus. Mit anderen Worten: Familien in Köln haben es schwer, überhaupt adäquaten Platz zu finden.
Generationenabkommen als Lösung
Eine Lösung könnte eine Art Generationenabkommen bringen. Viele ältere Menschen wohnen in eigentlich viel zu großen Wohnungen, die sie vor Jahrzehnten angemietet haben, als sie selbst eine Familie gegründet hatten. Inzwischen sind die Kinder längst aus dem Haus. Doch rein wirtschaftlich lohnt sich ein Umzug für sie nicht. In vielen Fällen würden sie für eine deutliche kleinere Wohnung mitunter sogar mehr Miete bezahlen als für ihre alte. Auch das gehört zu den Absurditäten des Wohnungsmarkts. In einer von der Stadt Köln in Auftrag gegebenen Studie schlagen die Autoren vor, ein Instrument zu schaffen, das schon 60-Jährige dazu bringen soll, ihre alte Familienwohnung zu verlassen. Die Rede ist von „attraktiven Wohnalternativen“ für Senioren. Doch wo soll die Stadt sie hernehmen?
„Köln hat über die Jahre zu wenig getan und hinkt jetzt hinterher“, sagt Michael Voigtländer, Wohnungsmarktexperte vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Sollte die Stadt nicht endlich konsequent gegensteuern, drohe ihr eine soziale Schieflage, die Voigtländer wie folgt beschreibt: Steigen die Mieten weiter, werden Gutverdiener die hochpreisigen Viertel bevölkern und Empfänger von Grundsicherung, deren Miete das Amt bezahlt, die unattraktiven Gegenden bewohnen. Der ganze Mittelbau mit all den Familien würde wegbrechen. Vom leidenschaftlichen besungenen „Veedelsjeföhl“ wäre nicht viel übrig.
Welche Ausmaße eine solche Verdrängung haben kann, könne man in München gut beobachten, sagt Experte Braun. „Die Menschen, die die Stadt am Laufen halten, können dort selbst nicht mehr wohnen.“ Dienstleister, Krankenschwestern, Supermarktkassierer, sogar Polizisten müssten täglich bis zu 150 Kilometer weit pendeln, um in München zu arbeiten. Selbst der unmittelbare Speckgürtel sei für viele nicht mehr erschwinglich.
Suburbane Regionen oft teurer als die Städte
Eine Statistik zeigt anschaulich, dass die suburbanen Regionen inzwischen oftmals sogar teuer sind als die Städte selbst. In einem Ranking von F+B belegt Karlsfeld den Spitzenplatz, auch Dachau, Erding, Kornwestheim und Ditzingen finden sich unter den Top 30, allesamt gehören sie zu den Einzugsgebieten von München und Stuttgart. Meerbusch ist die einzige rheinische Kommune, Speckgürtel Düsseldorf. Doch auch das Kölner Umland klettert nach oben. In Brühl beispielsweise sind die Mieten in den Neubauten seit 2011 um 15 Prozent von 8,65 Euro auf 9,90 gestiegen. Auf den Heatmaps wird das rot um Köln in alle Richtungen immer dunkler, erst im Bergischen Land und im Sauerland kühlt sich die Lage ab.
Was also tun? Bauen, bauen, bauen, sagt Michael Voigtländer vom IW, sagt Reiner Braun von empirica, sagen eigentlich alle. „Vor allem aber müssen wir schlau und klimaverträglich bauen“, sagt Hans Jörg Depel, Chef des Kölner Mietervereins. Er verweist auf München, wo eine halbe Million mehr Menschen als in Köln wohnen, aber die Fläche der Stadt gleichzeitig etwa 20 Prozent kleiner ist. „Nicht mehr Fläche versiegeln, sondern auch an geeigneten Stellen in die Höhe Bauen“, schlägt Depel vor.
Stadt verfehlt Bauziele
Doch die Stadt kommt mit dem Bauen nicht hinterher und verfehlt Jahr um Jahr die selbst gesteckten Ziele. 6000 Wohnungen will und müsste Köln jährlich bauen, um die akute Wohnungsnot zu lindern. Gerade mal 2175 waren es 2019. Vergangene Woche dann die nächste Hiobsbotschaft: 2020 wurden sogar nur 2000 Wohnungen fertiggestellt, Negativrekord. Die Zahlen seien „enttäuschend“, musste Baudezernent Markus Greitemann zerknirscht einräumen. Zwar ist der Bau von weiteren knapp 8700 Wohnungen längst genehmigt, allerdings wurde mit dem Bau entweder noch gar nicht begonnen oder die Projekte befinden sich noch im Anfangsstadium. „Das ist zu wenig, es müssen mehr Flächen ausgewiesen werden“, sagt IW-Experte Voigtländer. „Es fehlt der Wille, die Sache voranzutreiben. Köln braucht eine Politik, die den Wohnungsbau zur Chefsache macht.“
Auch die GAG, mit rund 45.000 Wohnungen im Bestand Kölns größtes Wohnungsunternehmen, erwartet mehr Engagement. „Wenn die Stadt 6000 Wohnungen im Jahr bauen will, dann muss sie auch den Mut haben, dafür genügend Bauland auszuweisen“, sagt GAG-Sprecher Jörg Fleischer. „Natürlich gibt es da Interessenskonflikte. Da beschweren sich die einen, es werde Natur- oder Erholungsraum zerstört. Aber wenn man mehr Wohnraum braucht, muss man da Prioritäten setzen.“ Ein weiteres Hemmnis für einen zügigen Bau seien Genehmigungsverfahren von durchschnittlich etwa 15 Monaten. In den vergangenen Jahren hat die GAG jährlich zwischen 500 und 700 Wohnungen fertiggestellt.
Wien ist Vorbild
Wenn es darum geht, sich einen Idealzustand zu wünschen, faire Mieten, ausgeglichene soziale Mischung, einen zugänglichen Wohnungsmarkt, verweist Barbara Steenbergen gern auf die österreichische Hauptstadt Wien. Dort ist die Stadt der größte Vermieter. Etwa 220.000 Gemeindewohnungen gehören der städtischen Tochter „Wiener Wohnen“, hinzu kommen 180.000 städtisch geförderte Genossenschaftswohnungen. Die Stadt Wien ist damit der größte Immobilienverwalter weltweit. Zum Vergleich: In Köln gab es 2019 etwa 46.000 geförderte Mietwohnungen, also gut acht Prozent. Und anders als in Deutschland verkauft das Unternehmen keine Wohnungen, sondern baut immer neue dazu. Hier wohnt die Chefärztin neben dem Krankenpfleger im selben Haus und das alles ist ganz normal.
„Die Stadt lenkt den Wohnungsmarkt und nicht die Investoren“, sagt Steenbergen, Leiterin des EU-Büros des Internationalen Mieterbundes mit Sitz in Brüssel. Die Miete in neuen Entwicklungsgebieten ist auf fünf Euro pro Quadratmeter gedeckelt. 66 Prozent aller Neubauten dort müssen geförderter Wohnungsbau sein, und zwar ohne limitierte Belegungsbindung.
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Anders in Köln: Hier verpflichten sich Bauunternehmen ab Projektgrößen von 20 Wohneinheiten 30 Prozent in den geförderten Wohnungsbau zu stecken, allerdings gilt die Bindung je nach Vereinbarung im Schnitt nur 25 Jahre. Danach gehen die Wohnungen in den freien Markt. In anderen deutschen Städten sieht es ähnlich aus. „Das ist eine typisch deutsche Praxis. Ich kenne kein anderes Land in Europa, wo man so mit gefördertem Wohnraum umgeht.“
Genossenschaften mehr Zugang geben
In Deutschland herrsche die Weigerung, über den Tellerrand hinauszuschauen. Städte wie Köln sollten sich nicht von profitorientierten Bauunternehmen abhängig machen, sondern den Genossenschaften mehr Marktzugang geben und gemeinnützige Wohnungsunternehmen gründen, sagt Steenbergen. Außerdem sollten große Arbeitgeber wie die Uniklinik oder auch Behörden animiert werden, als Akteure mit dem Bau von Werkswohnungen aktiv in den Wohnungsmarkt einzusteigen. „Es ist wichtig für das soziale Gefüge, dass die Dienstleister in der Stadt bleiben und Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen eine bezahlbare Wohnung finden.“
Empirica-Chef Reiner Braun hat eine Idee, wie der Kölner Wohnungsmarkt zu beruhigen wäre, wenn auch „eine etwas spinnerte“, wie er meint. Die Metropole sollte sich Partnergemeinden im entfernten Umland suchen, dort, wo es strukturschwach, aber ein guter ÖPNV-Anschluss vorhanden ist. Mit regelmäßigen Festen und anderen Veranstaltungen könnte man die Städter so etwa bis in die Vulkaneifel locken. Profitieren würden im besten Fall beide. Die Städter finden vielleicht ein neues Zuhause und eine vom Aussterben bedrohte Dorfgemeinschaft bekommt wieder etwas Leben eingehaucht