Der Richter nannte die Tat „perfide wie sinnlos“ und bescheinigte Frank P. eine besondere Schwere der Schuld.
„Grob menschenverachtende Einstellung“Lebenslange Haft für Angeklagten nach Explosion in Ratingen
Im Prozess um die Explosion in einem Hochhaus in Ratingen hat die Düsseldorfer Strafkammer den Angeklagten Frank P. am Mittwoch schuldig gesprochen und zu lebenslanger Haft verurteilt. „Die Tat war ebenso perfide wie sinnlos“, sagte der Vorsitzende Richter Rainer Drees bei der Urteilsverkündung. Die Kammer stellte zudem die besondere Schwere der Schuld fest. Damit ist eine Entlassung nach 15 Jahren zwar theoretisch möglich, aber extrem unwahrscheinlich.
Frank P. hatte bei einem Brandanschlag im Mai dieses Jahres neun Einsatzkräfte von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst zum Teil lebensgefährlich verletzt.
„Was mit dem Urteil vorerst abgeschlossen ist, wird meinen Bruder und seine Kollegen ein Leben lang begleiten“, sagt der Bruder des verletzten Polizisten Enver G. nach der Urteilsverkündigung. Denn die Erinnerungen, die Narben und die Schmerzen würden bleiben. „Dieser Anschlag darf nicht vergessen werden. Es war ein Anschlag gegen die Polizei, Rettungskräfte, den Staat und unsere Gesellschaft. Wir müssen die Helden von Ratingen würdigen und den Kampf gegen Verschwörungstheorien angehen.“
Auch den letzten Prozesstag verfolgte Frank P. mit scheinbar mäßigem Interesse. Das Angebot eines letzten Wortes, bevor sich die Strafkammer für die Urteilsfindung zurückzog, schlug er mit einem leichten Kopfschütteln aus, das Urteil nahm er regungslos hin. Beim Einzug der Strafkammer blieb er, wie an den anderen Prozesstagen auch, als Einziger sitzen.
Versuchter Mord in fünf Fällen
Frank P. wurde wegen versuchten Mordes, gefährlicher Körperverletzung, fahrlässiger Körperverletzung und schwerer Brandstiftung schuldig gesprochen. Das Gericht sieht es als erwiesen an, dass P. die Polizisten Hannah F. und Enver G. töten wollte. Dazu nahm er in Kauf, dass auch die Rettungskräfte in Brand geraten und an den Verletzungen sterben. Die Mordmerkmale der Grausamkeit und der niederen Beweggründe sowie die Ausführung mit einem gemeingefährlichen Mittel als Tatwaffe sieht das Gericht als erfüllt an. Ein psychiatrischer Gutachter hatte den Ratinger am vorherigen Prozesstag für voll schuldfähig erklärt.
P. habe sowohl bei der Tat als auch im Anschluss eine „grob menschenverachtende Einstellung“ gezeigt, so Drees. „Der Angeklagte kannte die Nebenkläger gar nicht. Er griff sie nur an, weil sie den von ihm verhassten Staat repräsentierten.“ In fünf Fällen lautete das Urteil Versuchter Mord. Dabei ging es um die Angriffe auf die Polizistin und den Polizisten, die die Wohnung als erste betreten hatten, und die drei Feuerwehrleute, die direkt hinter der Tür standen.
Die verletzten Einsatzkräfte hätten innerhalb ihrer beruflichen Tätigkeit anderen, möglicherweise hilflosen Personen helfen wollen, sagte Drees. „Sie dienen der Allgemeinheit“. Sämtliche Nebenkläger seien nur aufgrund der schnellen medizinischen Versorgung mit ihrem Leben davongekommen. Dass die am schwersten verwundete Hannah F. überlebte, sei nur dem außerordentlichen Handeln ihres Kollegen Enver G., dem Notarzt Christoph D. und weiteren Einsatzkräften zu verdanken. „Keiner der Nebenkläger muss sich Vorwürfe machen, ob sie sich anders hätten verhalten können.“ Aus Sicht der Kammer sei nicht vertretbar, den Angeklagten nach 15 Jahren im Falle einer „ohnehin nicht absehbaren“ positiven Prognose wieder in Freiheit zu lassen.
Verteidigung sieht keine Tötungsabsicht bei allen Personen
Die Verteidigung hatte kurz vor der Urteilsverkündung beantragt, das Strafmaß auf fahrlässige Körperverletzung bezüglich der sieben verletzten Rettungskräfte und schwere Körperverletzung gegen die zwei Polizisten zu reduzieren. Eine Tötungsabsicht hinsichtlich aller Personen ließe sich nicht ableiten, so der Anwalt von Frank P. Die Verletzungen der Rettungskräfte seien durch die Verpuffung entstanden, als P. einen brennenden Lappen nach der Polizistin Hannah F. warf. „Weiß ein Laie, dass das Feuer um die Ecke geht und auch die Leute trifft, die dort noch stehen?“
In der Urteilsverkündung schilderte das Gericht erneut die Geschehnisse vom 11. Mai 2023. Wie die Einsatzkräfte wegen eines überquellenden Briefkastens gerufen wurden und wie Frank P. nicht auf Klopfen und Rufen reagierte. „Er hatte die Anwesenheit von Polizei und Feuerwehr bemerkt“, so der Richter. Die Einsatzkräfte schlugen ein Türfenster ein, sofort schlug ihn der Verwesungsgeruch von Frank P.s toter Mutter entgegen. Nachdem sie die Tür aufgesägt und die als Barrikade vor dem Eingang aufgestellten Wasserkästen entfernt hatten, betraten Enver G. und Hannah F. die Wohnung.
„Der Angeklagte hatte sich links neben dem Eingang hinter einem Schrank verborgen gehalten“, sagt Drees. Erst, als Hannah F. über die Schwelle ging, trat er hervor. Dann ging alles ganz schnell: Enver G. zog seine Dienstwaffe, der Angeklagte überschüttete im selben Moment Hannah F. mit literweise Benzin, G. rief seiner Kollegin zu: „Leg dich hin! Leg dich hin!“ Als Frank P. einen Lappen entzündete, rannten die Polizeibeamten aus der Wohnung, P. warf den brennenden Lappen hinterher, der Feuerball erfasste sowohl die Polizisten als auch die Rettungskräfte im Laubengang. Die Einsatzkräfte flüchteten zehn Stockwerke hinunter ins Freie. „Die Nebenkläger versorgten sich gegenseitig und kümmerten sich um Frau F.“, sagt Drees.
Staatsanwältin Laura Neumann begrüßte das Urteil. „Ich hatte auch lebenslange Haft und die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld beantragt“, sagt Neumann nach der Verkündung vor dem Gerichtsaal. „Deshalb halte ich die Entscheidung natürlich für richtig.“ Nur rechtlich sei das Gericht zu einem anderen Ergebnis gekommen: Neumann hatte eine Verurteilung wegen neunfachen versuchten Mordes gefordert, die Strafkammer bejahte nur einen Tötungsvorsatz in fünf Fällen.
Mehrere der neun Einsatzkräften erlitten durch den Angriff lebensgefährliche Verletzung und lagen über mehrere Wochen im Koma. Die am schwersten verletzte Polizistin erwachte erst zwei Monate später wieder. Nur zwei Einsatzkräfte konnten bisher in ihren Beruf zurückkehren, acht der neun Verletzten werden bleibende Schäden behalten.