Am dritten Prozesstag gegen den 57-jährigen Ratinger, der bei einem Brandanschlag im Mai neun Einsatzkräfte schwer verletzte, sagten acht von ihnen als Zeugen aus.
Einsatzkräfte über Angriff in Ratingen„Wir sind in einen Hinterhalt geraten, schickt alles, was ihr habt!“
Als sie den Leichengeruch wahrnehmen, schalten Enver G. und Hannah F. ihre Bodycams ein. Auf den Videos, die am Freitag im Gerichtssaal gezeigt wurden, lehnen sich die Einsatzkräfte scheinbar entspannt an das Geländer des Laubengangs, der zur Wohnung von Frank P. und seiner Mutter führt. Lärm von weiteren zersplitternden Türfenstern weht von dort herüber.
Frank P. ist am Landgericht Düsseldorf wegen versuchten Mords in neun Fällen angeklagt. Er soll im Mai Polizisten und Feuerwehrleute in seiner Ratinger Wohnung angegriffen haben. Als seine Wohnung im Gerichtssaal am Freitag zu sehen ist, bleibt er ungerührt.
Enver G. kontaktiert auf der Videoaufnahme die Leitstelle. „Das ist noch nichts Fundiertes, aber das wird wohl auf einen erweiterten Suizid hinauslaufen“, sagt er. „Die Tür ist auch völlig verbarrikadiert.“ Hinter den zersplitterten Glasfenstern stapeln sich die Wasserkisten. Gerade eben habe er kurz gedacht, da zischt etwas aus den Barrikaden, sagt eine Stimme im Video – am Ende rieselt nur Sand heraus. Ein Feuerwehrmann ist zu sehen, er scherzt: „Ansonsten wäre ich jetzt schnell weggelaufen.“
„Wir sind in einen Hinterhalt geraten, schickt alles, was ihr habt!“
Ab dem Moment, wo ihnen der Verwesungsgeruch von Frank P.s verstorbener Mutter entgegenschlug, ging keiner der Einsatzkräfte mehr von einer lebenden Person in der Wohnung aus. „Der Geruch war massiv und extremst ekelerregend“, sagt Notarzt Christoph D. im Zeugenstand. „Er schlug selbst uns auf den Magen, obwohl wir einige Gerüche gewöhnt sind. Für eine Normalperson war das eigentlich nicht aushaltbar.“
Doch kurz nachdem Enver G. in die Wohnung getreten war, hörten sie ihn draußen rufen. „Zeigen Sie Ihre Hände!“ Hannah F. folgte G. in die Wohnung, kurz darauf hörten die Rettungskräfte sie schreien. Die Polizistin lief mit ihrem Kollegen geduckt zurück in den Laubengang, Benzin tropfte an ihr herunter. „Dann gab es einen Knall“, sagt einer der Rettungssanitäter. Aus der Tür sei Feuer geschossen, eine Hitzewelle erfasste die Einsatzkräfte, sie rannten schwer verletzt zehn Stockwerke hinunter ins Freie, Hannah F. noch immer brennend.
Draußen herrschte scheinbar Fassungslosigkeit. Bei einigen Einsatzkräften waren ganze Kleidungsstücke weggebrannt, ein Feuerwehrmann lief nur noch in Unterhose umher. Notarzt Christopher D. rief die Leitstelle an: „Wir sind in einen Hinterhalt geraten, schickt alles, was ihr habt!“ Zwei Nachbarinnen hätten ihm Wasserflaschen angereicht, die er F. über Kopf und Hals goss. Anschließend, sagt D., habe er sich einen Überblick verpasst und seine Kollegen triagiert. „Ich habe fast alle in die Kategorien rot eingeordnet“, sagt D. Hannah F. sortierte er in die Kategorie blau: Keine Überlebenschance.
Hannah F. sagt im Zeugenstand aus
D. berichtet, wie er, obwohl selbst schwer verletzt, versuchte, Hannah F. über die Knochen einen Zugang zu legen, weil die Arme dafür zu verbrannt waren. Wie er versuchte, ihr einen Beatmungsschlauch einzuführen und es ihm wegen seiner eigenen Verbrennungen an den Händen nicht mehr gelang. „Ich ging von einem Versterben von Frau F. innerhalb der nächsten 15 Minuten aus.“ In den Wochen danach habe er sich mit der Frage gequält, ob er mehr hätte tun können.
Als das Adrenalin nachließ, setzte sich D. auf eine Stufe des Rettungswagen. Er schmeckte Benzin in seinem Mund und erbrach. „Ich habe mir selber starke Schmerzmittel verordnet, bin eingeschlafen und erst wieder wachgeworden, als der Helikopter landete, mit dem ich in das Krankenhaus Merheim konnte“, sagt er. „Ich war erleichtert, weil meine Frau dort arbeitet und ich dachte: Wenn ich jetzt sterbe, dann ist sie wenigstens da.“ Seine Stimme bricht.
Als letzte Zeugin sagt Hannah F. aus. Die junge Polizistin kommt mit einem Stock in der Hand in den Gerichtssaal, Kopf und Hände noch immer bandagiert, das Gesicht gezeichnet von roten Brandwunden. Ohne den Angeklagten eines Blickes zu würdigen, setzt sie sich auf den Zeugenstuhl und beginnt ihre Aussage. Sie spricht klar und kräftig, berichtet, wie sie mit Enver G. die Wohnung betrat, wie sie die Umrisse einer Person mit weißem Haar sah. Ihre Erinnerungen setzen aus, als sie im Rettungswagen saß und die Schmerzen begannen. Anschließend lag sie zwei Monate im Koma, auch danach musste sie noch „drei, vier Monate“ stationär im Krankenhaus bleiben, bevor die Reha begann. Elfmal wurde sie insgesamt operiert, weitere Operationen stünden noch aus.
Großteil der Einsatzkräfte ist noch immer arbeitsunfähig
An diesem dritten Prozesstag steht nicht nur der 11. Mai, sondern auch seine Nachwirkungen im Fokus. Bis heute sind von den neun verletzten Einsatzkräften nur zwei wieder arbeitsfähig. Alle Einsatzkräfte geben an, psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen, viele von ihnen leiden an einer posttraumatischen Belastungsstörung. Christoph D. befürchtete lange, durch seine Verbrennungen an der Hand, die seine Bewegung einschränkten, nicht mehr als Chirurg arbeiten zu können. Alf E., ein kräftiger Feuerwehrmann Anfang 50, berichtet, er sei seit dem Ereignis nie wieder auf der Feuerwehrwache gewesen, obwohl sie eigentlich eine zweite Familie für ihn sei. Sein neunjähriger Sohn leidet seit dem 11. Mai an Verlustängsten, auch er befindet sich in psychologischer Behandlung.
Ein Rettungssanitäter sagt aus, die Albträume aus seinem 19-tägigen Koma würden ihn bis heute heimsuchen, ebenso die Flashbacks. Er berichtet von einem Rockfestival, das er besucht habe, bei dem um ihn herum junge, glückliche Menschen standen. Einen Moment später dachte er, sie brennen zu sehen.
Für viele der Einsatzkräfte steht noch offen, wann und ob sie in ihren Beruf, ihren geregelten Alltag zurückfinden. Ein junger Feuerwehrmann, das Gesicht rot vor Brandnarben, sagt im Zeugenstand, die Feuerwehr sei sein Traumberuf gewesen. Jetzt zweifelt er, ob er künftig ohne Herzrasen Türöffnungen vornehmen könne und ohne Panik eine fremde Wohnung betreten kann. „Ich bin 27 Jahre alt und weiß nicht, wie es weitergeht.“