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Appell an GemeindeBürgermeisterin von Freudenberg äußert sich – Termin für Gedenkfeier steht

Lesezeit 4 Minuten
Freudenberg in Nordrhein-Westfalen: Fachwerkhäuser und Autos sind in der Altstadt zu sehen. Die Familien der mutmaßlichen Täterinnen haben den Ort inzwischen verlassen.

Freudenberg in Nordrhein-Westfalen: Fachwerkhäuser und Autos sind in der Altstadt zu sehen. Die Familien der mutmaßlichen Täterinnen haben den Ort inzwischen verlassen.

Polizei und Staatsanwaltschaft wollen die Hetzjagd im Netz beenden und Falschmeldungen verhindern. Der Schaden ist jedoch bereits groß.

Nach dem Tötungsdelikt am vergangenen Wochenende in Freudenberg hat die Bürgermeisterin in einem Gottesdienst am Sonntag zu Zusammenhalt aufgerufen. „Trauer und Fassungslosigkeit liegen wie eine tonnenschwere Last auf unserer Stadt“, sagte Nicole Reschke bei einem regulären Gottesdienst in der kleinen Stadt im Siegerland, der aber ganz im Zeichen der Trauer um das Mädchen stand. „Wir sind in unserem Schmerz vereint mit den Angehörigen von Luise“, betonte die Bürgermeisterin.

Freudenberg: Weiterer Gottesdienst für Luise geplant

Der Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Siegen, Peter-Thomas Stuberg, sagte bei dem auch auf Youtube übertragenen Gottesdienst, es handele sich nicht um die zentrale Gedenkfeier für Luise. Diese werde am kommenden Mittwoch stattfinden. Der Gottesdienst solle aber helfen, aus der Sprachlosigkeit herauszukommen und der Trauer Ausdruck zu verleihen.

In einer am Samstag in der „Siegener Zeitung“ veröffentlichten Traueranzeige hieß es, alle, die an der Gedenkfeier teilnehmen möchten, seien am Mittwoch in die Esther-Bejarano-Gesamtschule eingeladen. „Es gibt keine Worte, um das Unbegreifliche zu begreifen. Für uns steht die Welt still“, steht neben einem Foto des Mädchens.

Das Gedenken wird der Anzeige zufolge am 22. März um 18.00 Uhr „im engen persönlichen Kreis“ in der Evangelischen Kirche in Freudenberg begangen. Von dort aus wird es als Audiostream in die Schule übertragen. „Wir bitten sehr um Verständnis, dass die Familie und Freunde Luise dort in Ruhe auf ihrer letzten Reise begleiten möchten.“

Im Gottesdienst am Sonntag richtete Reschke auch mahnende Worte an die Gemeinde. „Ist unser Zusammenhalt in Freudenberg stark genug, all das auszuhalten?“, fragte die Bürgermeisterin. Man müsse zusammenstehen, auch gegen „Hetze und aggressives Besserwissen“ von außen, appellierte die Kommunalpolitikerin und mahnte: „Verurteilen wir nicht voreilig!“ Zwei 12 und 13 Jahre alte Mädchen hatten die Gewalttat gestanden.

Staatsanwaltschaft und Polizei in Freudenberg warnen vor Falschmeldungen

Staatsanwaltschaft und Polizei hatten bereits am Freitag auf die Hetzjagd in den sozialen Medien reagiert und eindringlich vor Spekulationen und die dadurch entstehende Weiterverbreitung von Falschmeldungen gewarnt.

Freudenberg: Kerzen, Blumen und einige Kuscheltiere liegen an der Stelle im Wald, an der die Menschen in Freudenberg Abschied von Luise nehmen.

Freudenberg: Kerzen, Blumen und einige Kuscheltiere liegen an der Stelle im Wald, an der die Menschen in Freudenberg Abschied von Luise nehmen.

Durch das breite Interesse der Öffentlichkeit und die damit verbundene Anteilnahme seien in den vergangenen Tagen immer wieder Gerüchte über die mutmaßlichen Hintergründe des Vorfalls verbreitet worden.

Nach Tötung in Freudenberg: Hetzjagd auf mutmaßliche Täterinnen in den sozialen Netzwerken

Besonders in den sozialen Medien würden sich wilde Spekulationen mehren, „die sich nicht mit dem aktuellen Stand der Ermittlungen decken“, so Polizei und Staatsanwaltschaft. Sie betonten am Freitagmorgen einmal mehr, dass sie aufgrund des Schutzes aller Persönlichkeitsrechte keine detaillierten Informationen zu möglichen Motiven veröffentlichen werden.

Die Polizei Siegen-Wittgenstein behalte die sozialen Medien im Auge. „Wir haben ein Monitoring dazu und prüfen laufend, ob strafrechtlich Relevantes gepostet wird“, wird ein Sprecher von „Welt“ zitiert. Nicht nur Falschinformationen seien ein großes Problem, auch das Aufheben der Anonymisierung und die unzähligen Drohungen gegenüber der unter dringendem Tatverdacht stehenden Mädchen, bereiten den Behörden Sorgen.

Freudenberg: Profile der mutmaßlichen Täterinnen auf Tiktok leicht zu finden

Vor allem auf Tiktok ist das Ausmaß enorm. Dort waren die Profile der beiden Mädchen, die seit Anfang der Woche von ihren Familien getrennt in einer Unterkunft des Jugendamtes leben, erst in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag gesperrt beziehungsweise gelöscht worden. Bis dahin hatten viele Nutzerinnen und Nutzer die beiden Mädchen auf der Plattform über entsprechende Hashtags zum Beispiel gefunden und identifiziert – was Polizei und Staatsanwaltschaft eigentlich unbedingt vermeiden wollten. Selbst nach der Löschung der dortigen Profile werden Screenshots, auf denen die Tatverdächtigen zu sehen sind, immer noch geteilt, unter anderem auf Twitter. Die Ermittler wollen gegen strafrechtlich relevante Kommentare vorgehen.

„Die digitale Identität begleitet die Mädchen noch sehr lange. Sie werden immer wieder gefunden werden und mit dem Verbrechen in Verbindung gebracht, egal wie alt sie sind“, sagte eine Expertin für sogenannte „Hate Speech“ dem RND.

Familien der mutmaßlichen Täterinnen haben Freudenberg verlassen – Neustart könnte schwer werden

Die Folgen bekommen aber nicht nur die Mädchen selbst, sondern auch deren Familien zu spüren. Während der Ort und die Schule langsam wieder zur Normalität zurückkehren, hätten die Familien der mutmaßlichen Täterinnen laut einem Bericht der „Siegener Zeitung“ bereits ihre Häuser verlassen, an eine zeitnahe Rückkehr sei derzeit nicht zu denken. Weil die Namen und Gesichter der Mädchen bekannt sind, könnte demnach aber auch ein Neustart nach einem Umzug kaum unbelastet möglich sein.

Deswegen bitten Staatsanwaltschaft und Polizei, sich nicht an weiteren etwaigen Spekulationen zu beteiligen und die Diskussionen über die Hintergründe des Vorfalls, auch zum Schutz der Angehörigen, nicht zu befeuern. Angesichts der bisherigen Entwicklungen und des im Netz bereits angerichteten Schadens bleibt zu befürchten, dass dieser Aufruf zu spät kommt.

Justizminister Marco Buschmann spricht sich gegen Herabsetzung der Strafmündigkeit aus

Nach dem Fall von Freudenberg war eine Debatte über die Strafmündigkeit in Deutschland entbrannt. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) sprach dagegen aus. Zwar könnten „solch schwere Verbrechen“ nicht „folgenlos bleiben“, sagte Buschmann der „Bild am Sonntag“.

Doch sollte „jede Debatte über Anpassungen im Strafrecht“ mit „kühlem Kopf“ geführt werden, betonte der Justizminister. Auch wenn Kinder unter 14 Jahren in Deutschland nicht strafrechtlich belangt würden, halte die Rechtsordnung „bereits Mittel bereit, um auch auf schwere Gewalttaten von Kindern unter 14 Jahren zu reagieren“, sagte Buschmann. (mit dpa)