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Flutkatastrophe an der AhrBürger setzen mit Weihnachtsbäumen Zeichen der Hoffnung

Lesezeit 6 Minuten
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Kunibert Schlösser schmückt mit seinen 87 Jahren den Weihnachtsbaum vor seinem zerstörten Haus.

  1. In Schuld an der Ahr ist der erste kleine Weihnachtsmarkt für die Dorfbewohner nach der Flut entstanden.
  2. Wir haben den von der Hochwasserkatastrophe erschütterten Ort und seine Bewohner in der Vorweihnachtszeit besucht.

Schuld – Das ist alles nur schwer zu begreifen. Stanislaw Szpala (59) zieht die Wollmütze etwas ins Gesicht. Ein leichter Nieselregen hat eingesetzt, der Platz ist matschig, Szpala hat seinen Impfpass vergessen. Fünf Monate nach dem Hochwasser, das die Ahrgemeinde Schuld wie viele andere Dörfer auch völlig verwüstet hat, strahlt ein meterhoher Weihnachtsbaum mit einem weithin sichtbaren Stern an der Spitze in den dunklen Abendhimmel.

„Genau dort war mein Haus. Dort haben wir 21 Jahre gelebt“, sagt Szpala leise. Es ist Freitagabend. Das Gelände mitten im Dorf, das die Ahr in der Nacht zum 14. Juli dem Erdboden gleichgemacht hat, eingezäunt. Als sei es nicht schon schwer genug, die Einwohner zu motivieren, gemeinsam das Weihnachtsbaum-Aufstellen bei einem kleinen Zusammentreffen zu genießen. Mit Glühwein, Freibier, Würstchen und Schnibbelchen. Es geht nicht ohne Einlasskontrollen, nicht ohne Bändchen. Den wenigen, die gekommen sind, ist so recht nicht nach Feiern zumute.

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Bloß nicht unterkriegen lassen: Julia Henrichs mit ihrer Freundin Isabell Navarro Valera

Szpala zögert. „Wir haben oben auf der Brücke gestanden und zugesehen, wie das hier alles weggeschwommen ist. Unser ganzes Hab und Gut.“ Seither lebt die Familie in einer Ferienwohnung und hofft auf ein anderes Grundstück im Dorf, um dort ein neues Haus zu bauen. „Hier darf ich nicht mehr, das ist Überflutungsgebiet. Das habe ich seit dieser Woche schriftlich.“ Ein schöner Platz sei das gewesen. „Ich bin morgens mit dem Rauschen des Flusses aufgewacht und konnte auf den Berg schauen.“

Der Tannenbaum gebe diesem Ort wenigstens wieder eine Bedeutung, das sei ein schönes Gefühl. „Jedes Mal, wenn ich hier runtergekommen bin, habe ich auf den leeren Platz gestarrt. Das hat mir immer wehgetan", sagt Szpala. Der Baum, der Bierwagen, die Pavillons, die Feuerschale, der Holzkohlegrill. die Nachbarn aus dem Dorf. „Jetzt sehe ich hier wieder normales Leben. Das freut mich wirklich sehr.“

Niemand in Schuld hatte anfangs Energie für Weihnachtsbäume

Anfangs sei die Idee, dem Ort in der Adventszeit mit Weihnachtsbäumen vor den zerstörten Häusern etwas von seiner Kälte und Unwirtlichkeit zu nehmen, auf wenig Widerhall gestoßen. „Die Begeisterung war nicht so groß. Es hatte keiner mehr die richtige Energie, sich damit zu beschäftigen“, sagt Irmgard Lussi, die Frau des Ortsbürgermeisters und schenkt einen Glühwein ein. Doch als die Bäume angeliefert wurden, habe sich das Blatt gewendet. „Es soll ein wenig Licht nach Schuld kommen.“

Das sei typisch für die Menschen aus der Eifel. „Wenn wir am Boden liegen, stehen wir direkt wieder auf und machen weiter.“ Marlene Wichmann, die zweite Frau am Glühweinstand, ist fest entschlossen, nicht in Resignation zu verfallen. „Es war schlimm. Aber dass wir hier am Ende waren und gesagt haben, es geht nichts mehr, diesen Punkt haben wir nie erreicht. Und jetzt haben wir den Weihnachtsschmuck und die Bäume. Und das alles geschenkt bekommen.“ Bei soviel Hilfsbereitschaft, die Schuld vom ersten Tag an erfahren habe, dürfe man einfach nicht aufgeben.

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Weihnachten inmitten der Zerstörung in Schuld

Nein. Weihnachtsstimmung gebe es in Schuld nicht, sagt Isabell Navarro Valera, erzählt wie alle hier ihre Flutgeschichte, wie sie mit ihrer Freundin Julia Henrichs in der Nacht zum 14. Juli lange Zeit um die Kinder bangen musste. Julia musste die Nacht auf dem Dach kauernd mit den drei Kindern ausharren, weil ihre Freundin es nicht mehr rechtzeitig zurückgeschafft hatte.

„Wir haben auch einen Baum bekommen, den werden wir draußen aufstellen und schmücken, damit die Außenwelt sieht, dass wir uns nicht hängenlassen“, sagt Isabell. „Auch wenn es hier schrecklich aussieht: Alle sollen sehen, dass wir aus Schuld wieder etwas machen wollen. Alle wissen, dass es nie mehr so sein wird, wie es war. Aber es soll wieder etwas Schönes daraus werden. Das ist dann der erste kleine Schritt, die geschmückten Häuser, auch wenn dort im Moment keiner wohnt.“

Und so stellen die Dorfbewohner einen Baum nach dem anderen vor die zerstörten Gebäude oder das, was von ihnen noch übriggeblieben ist. Mit den Dingen, die sie zur Verfügung haben.

Nach der Flutkatastrophe an der Ahr: Mit 87 Jahren noch einmal ganz von vorn anfangen

In der Hofeinfahrt der Familie Schlösser haben die Nachbarn ihren Baum gemeinsam mit einer Palette und alten Autoreifen stabilisiert. Kunibert Schlösser, den alle nur „Kuni“ nennen, arbeitet sich mit seinen 87 Jahren an einer widerspenstigen Lichterkette ab, deren Kerzen einfach nicht aufrecht stehen wollen. „Jetzt schauen Sie sich das an“, schmunzelt seine Frau Katharina (76). „Der ist sowas von pingelig. Wenn das nicht ordentlich aussieht, macht ihn das ganz kribbelig. Kerzen, Kugeln, alles muss stimmen.“ Wie in jedem Jahr.

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Weihnachtsbaum in Schuld an der Ahr

Die Bäckerei der Schlössers, die seit vielen Jahren von ihrer Tochter geführt wird, hat das Hochwasser nicht überlebt. Das Haus musste abgerissen werden, wie es weitergeht, weiß noch keiner so genau. Nur eins ist klar. „Unsere Tochter wird sie wieder aufbauen. Wenn möglich, an der gleichen Stelle. Das hat sie uns versprochen. Wir müssen hier im Ort wieder eine Bäckerei haben, können doch die Brötchen nicht immer aus Adenau holen.“

Wann Kuni und Katharina in ihr Haus zurückkehren können, ist noch nicht klar. „Im Mai wollen wir wieder einziehen“, sagt Katharina. „Unser Haus ist ein Rohbau. Es war einfach alles kaputt. Wir wohnen jetzt schon ein halbes Jahr bei meiner ältesten Tochter.“

Viele Nachbarn haben sich seit der Katastrophe nicht gesehen

Es ist ein besonderer Abend in Schuld. Diejenigen, die sich zur kleinen Feier des Baumaufstellens haben durchringen können, sind einfach nur froh, ihre Nachbarn wiederzusehen. So wie Katharina Schlösser und Gerlinde Kürsten. Sie haben Tür an Tür gewohnt, sich in der Flutnacht noch gegenseitig zugewunken und seither nicht mehr gesehen. Oder nur so kurz, dass für einen Plausch keine Zeit blieb. Jetzt schmücken sie gemeinsam einen Baum, unter dem kein Weihnachtsfest gefeiert werden kann.

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Sie habe äußerst widersprüchliche Gefühle, wisse nicht so recht, was sie mit der Adventszeit anfangen soll, sagt Gerlinde Kürsten. „Wir haben noch recht kleine Enkelkinder, die halten uns schon auf Trab. Der Kleine ist zwei, der kann das gar nicht verstehen, was hier passiert ist. ‚Haus kaputt‘, sagt er dann immer.“

Und dann ziehen sie gemeinsam los, die paar Meter in den Ortskern, um einen Glühwein zu trinken und ein Würstchen zu essen. Stanislaw Szpala verabschiedet sich - mit Tränen in den Augen. Der Ortsbürgermeister klopft ihm aufmunternd auf die Schulter. Das mit dem Grundstück werde man schon hinkriegen, sagt Helmut Lussi. Das muss er sagen. Auch wenn er weiß, wie schwer das alles noch werden wird.

Bürgermeister Lussi ist der Mutmacher von Schuld. Die Flut habe das Dorf leider in zwei Gruppen geteilt, sagt Szpala. In diejenigen, die Glück gehabt haben und „die anderen. Im Moment ist es für alle schwer.“