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Hass im NetzWarum Sibel Schick Morddrohungen erhält

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Sibel Schick

Sibel Schick

Hass im Netz richtet sich in den meisten Fällen gegen Frauen und Mädchen. Die Social-Media-Aktivistin Sibel Schick muss immer wieder lesen, wie Männer sich in Vergewaltigungsphantasien über sie hermachen.

Sibel Schick wird verfolgt. Immer wieder, schon seit Jahren. „Ich muss aufpassen, dass ich nicht verbittere“, sagt sie. Aber sie spürt, dass sie sich an Dinge gewöhnt hat, an die sich niemand gewöhnen sollte. Die junge Frau ist Journalistin, Autorin und Social-Media-Aktivistin. Sie schreibt öffentlich über politische Themen wie Rassismus, Feminismus und Rechte von Minderheiten. Sie tut es auf streitbare Weise: „Ich vertrete eine starke Meinung auch auf unbequeme Art, um demokratische Werte zu vertreten.“ Ihre Beiträge werden kommentiert und zitiert, verspottet – „dagegen allein habe ich gar nichts“ - aber sie werden auch bewusst verzerrt wiedergegeben. Sibel Schick wird persönlich beschimpft, erhält sogar Morddrohungen und muss online lesen, wie sich Männer in ihren Vergewaltigungsphantasien über sie hermachen.

Sibel Schick erinnert sich, dass sie sich anfangs noch zu erklären versuchte, Sachverhalte richtigstellte und Argumente verteidigte. „Dann habe ich gemerkt, dass es gar nicht darum geht, was ich gesagt habe, sondern dass ich überhaupt etwas gesagt habe.“ Das Ziel sei offenbar, sie mundtot zu machen, Angst und Ohnmacht zu verbreiten.

Bedrohungen im Schutz der Anonymität

Das Phänomen ist nur sehr bedingt ein Problem der Digitalisierung: Jeder kann sich heute über die sozialen Netzwerke Gehör verschaffen - mit mehr oder weniger sinnvollen Botschaften. Es ist jedoch wie überall: Mit einem vielfältigen Stimmengewirr ließe sich gut leben. Sämtliche Kommunikationskanäle werden allerdings auch von denen beschritten, die sich anderen Menschen auf brutale Weise in den Weg stellen wollen: Mit Bedrohungen, Beleidigungen und Verleumdungen. Nicht immer, aber oft im Schutze der Anonymität.

Der Hass richtet sich ganz offensichtlich gegen marginalisierte Gruppen und sehr häufig gegen Mädchen und Frauen. 70 % von ihnen zwischen 15 bis 24 Jahren haben laut einer Studie von Plan International schon einmal Übergriffe in den sozialen Medien erfahren. Die so genannte digitale Gewalt hat in den vergangenen Jahren zugenommen.

Sibel Schick wehrt sich dagegen. Sie findet aber maßgebliche Hilfe nicht durch die Sicherheitsbehörden, sondern bei HateAid, einer gemeinnützigen Organisation, die Betroffene von digitaler Gewalt mit kostenloser Beratung und in geeigneten Fällen mit Prozesskostenfinanzierung unterstützt.

Penisfotos, Videoüberwachung, Ausspionieren

„Inzwischen melden sich im Durchschnitt 150 Menschen pro Monat bei HateAid, wobei Frauen oftmals - anders als Männer - gleich von mehrfach belastenden, teils auch traumatisierenden Erfahrungen berichten“, sagt Wanda Valenta. Die Beraterin und Psychologin erzählt von Formen der Gewalt, die so unterschiedlich sind wie die technologischen Möglichkeiten: Dazu gehören die Video-Überwachung, das Abhören und Ausspionieren, Zusenden von Penisfotos, Androhen von Veröffentlichung intimer Bilder und Preisgabe von privaten Daten. Die Liste ist lang.

Die Straftaten werden nicht nur in öffentlichen Räumen begangen, sondern auch in privaten Beziehungen. Gerade in schwierigen oder längst zerrütteten Partnerschaften. Das heißt, die Täter sind bekannt. „Die Frau löst sich nach längerer Zeit von einem Partner und wird zum Hassobjekt des Verlassenen“, schildert Wanda Valenta. Die Konstellation ist nicht selten und zeigt mitunter, dass häusliche Gewalt schlicht mit digitalen Mitteln fortgesetzt wird. Der Ex-Partner publiziert aus Rache intime Bilder auf Pornoplattformen mit Privatnummer und Adresse der Frau. „Sie wird dann nicht mehr nur von einem, sondern gleich von mehreren Männern belästigt.“ Inzwischen gibt es einfach zu bedienende Apps, die es einem Täter sogar ermöglichen, Porträts auf fremden Körpern in Dating- oder Porno-Plattformen zu montieren. „Diese Deep-Fakes sehen wir leider nun vermehrt.“

Manche Frauen geben sich Mitverantwortung

Die psychischen Folgen für die Frauen sind gravierend. Valenta rät ihnen, sich so schnell wie möglich Hilfe zu suchen, weiß aber auch, wie schwer es vielen Betroffenen fällt. „Diese Taten sind so schmerzlich, schambehaftet und lösen Ängste aus.“ Frauen fürchten, dass die Situation möglicherweise eskalieren könnte. Oder dass man sie bei Behörden nicht ernst nimmt oder womöglich ihnen die Schuld gibt. Das sei alles schon passiert. „Manchmal geben sich Frauen auch selbst eine Mitverantwortung und reden das Vorgefallene klein“, sagt Valenta. Einigen sei gar nicht bewusst, dass sie Opfer einer Straftat seien. „Schuld sind aber immer die Angreifer“, stellt die Beraterin klar. Und sich zu melden, das zeige ihre Erfahrung, täte allen betroffenen Frauen gut.

Es gibt Hilfe. Sie geht von präventiven Maßnahmen, der psychologischen Erstberatung bis zur Vermittlung eines Therapieplatzes. Organisationen wie HateAid zeigen den außerdem Frauen zivil- und strafrechtliche Möglichkeiten auf, arbeiten mit spezialisierten Kanzleien zusammen und bieten in geeigneten Fällen die Finanzierung von zivilrechtlichen Prozessen an. Auf der Website gibt es eine Art Schritt-für-Schritt-Anleitung dafür, wie Inhalte mithilfe rechtssicherer Screenshots gesichert und gemeldet werden können. Plattformen werden mit Hilfe der Organisation kontaktiert, um Beiträge zu löschen.

Das ist mühsam und an dieser Stelle viel leichter gesagt als getan: HateAid wie auch viele andere Beratungsstellen fordern deshalb mehr Anstrengungen auf allen Ebenen: Bessere Gesetze, bessere Kooperation der Sicherheitsbehörden und die Sensibilisierung der Gesellschaft.

Sibel Schick hat heute zumindest einen Erfolg zu vermelden, einen kleinen. Es gibt ein rechtskräftiges Urteil gegen einen Täter wegen Beleidigung. „Immerhin“, sagt sie. „Er wird sich überlegen, ob er so etwas nochmal tut.“ Sie jedenfalls schreibt und macht weiter. Abschalten würde das Problem nicht lösen.

Täter müssen isoliert werden

„Nicht das Internet ist böse. Hinter den anonymen Accounts stehen Menschen, mit denen wir real zusammenleben.“ Das Problem sei ein gesamtgesellschaftliches. „Wir müssen im Grunde die Täter mit ihrem Verhalten isolieren. Es muss ihnen klargemacht werden, dass so etwas nicht geht.“ Dafür brauche es auch Zivilcourage. Heißt: Einmischen und Gesicht zeigen. Was im öffentlichen Nahverkehr funktioniert, geht auch im digitalen Raum. „Wer Zeuge wird, sollte Präsenz zeigen.“ Das Problem sei erst dann gelöst, wenn die Täter aufhören.

Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ ist ein bundesweites Beratungsangebot für Frauen, die Gewalt erlebt haben oder noch erleben. Unter der Nummer 08000 116 016 und via Online-Beratung werden Betroffene aller Nationalitäten jeden Tag rund um die Uhr anonym und kostenfrei beraten.