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Angst vor dem SupervulkanWelche Folgen hätte ein Ausbruch in Italien?

Lesezeit 8 Minuten
Vulkanausbruch auf Island

Vulkanausbruch auf Island – oft vor allem ein faszinierendes Naturschauspiel. Der Eyjafjallajökull legt aber wochenlang den Flugverkehr lahm. (Symbolbild)

Erdbeben erschüttern die Region um Neapel, Fachleute halten einen Ausbruch für ein realistisches Szenario. Die Campi Flegrei gelten als sogenannter Supervulkan.

Italiens Supervulkan bewegt sich. Seit Tagen erschüttern Erdbeben die Campi Flegrei (Phlegräischen Felder) bei Neapel. Die Verunsicherung in der Bevölkerung wächst, Fachleute auf der ganzen Welt beobachten die Entwicklung nervös. Forscher messen in der Region Erdbeben in einer ungewöhnlich hohen Stärke und Frequenz. Die Angst vor einem Ausbruch von Europas Supervulkan ist so groß wie lange nicht mehr.

Aber was ist eigentlich ein Supervulkan? Wie wahrscheinlich ist ein Ausbruch in Italien? Und was hätte das für Folgen? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Was ist ein Supervulkan?

Eine einheitliche Definition gibt es nicht. Bezeichnet werden so explosive Vulkane, die aufgrund riesiger Magmakammern eine besonders große Sprengkraft haben. „Supervulkan ist ein populärwissenschaftlicher Begriff“, sagt der Geophysiker Birger-Gottfried Lühr, der als Seismologe und Vulkanologe am Geoforschungszentrum Potsdam (GFZ) arbeitet. Er erklärt: „Vulkane werden nach ihrer Aktivität in der Vergangenheit klassifiziert.“ Sprich: Als Supervulkane werden jene Vulkane bezeichnet, bei denen historisch eine sogenannte Supereruption mit globalen Folgen nachgewiesen werden konnte.

In Supervulkangebieten liegen riesige Magmakammern mehrere Kilometer unter der Erdoberfläche und bilden bei Ausbrüchen keinen Kegel, sondern einen gewaltigen Krater, auch Caldera genannt. Die Caldera der Phlegräischen Felder umfasst beispielsweise eine Fläche von rund 130 Quadratkilometern.

Die Vokabel Supervulkan wird unter vielen Vulkanforschern kritisch gesehen. „Ein Supervulkan macht nicht immer einen Superausbruch“, sagt Ulrich Küppers, Vulkanologe an der Ludwig-Maximilian-Universität München. Zwischen den sehr seltenen Supereruptionen geschehe eine Vielzahl kleinerer Ausbrüche, die wenig bis keine Auswirkungen auf die Umwelt und den Menschen haben.

Ab wann spricht man von einer Supereruption?

Das US Geological Survey schuf in den 80er Jahren eine Definition, nachdem der Begriff Supereruption in Medienberichten über den Yellowstone-Vulkan immer wieder auftauchte. Wenn bei einem Ausbruch der Vulkanexplosivitätsindex (VEI) von 8 erreicht wird und mindestens 1000 Kubikkilometer Material ausgeworfen wird, bekommt er das Prädikat „super“. Einigen Fachleuten genügt für diese Klassifizierung allerdings auch ein VEI von 7 und 200 Kubikkilometer Auswurfmaterial.

Kurz erklärt: Der Vulkanexplosivitätsindex (VEI)

Der Vulkanexplosivitätsindex VEI klassifiziert Vulkane nach ihrer explosiven Kraft und der Menge des ausgestoßenen vulkanischem Materials (Tephra). Auch die Höhe der Eruptionssäule spielt eine Rolle. Eingeführt wurde der Index 1982 von den US-amerikanischen Geologen Christopher G. Newhall und Stephen Self. Ein Vulkanausbruch der Stufe 0 ist nicht explosiv, sondern effusiv - das heißt es entstehen nur Lavaströme oder Lavaseen. Ab Stufe 5 spricht man von einer sehr großen Explosivität. Dafür muss die Eruptionssäule mindestens 25 Kilometer hoch sein - und das ausgeworfene Tephra-Volumen bei mindestens einem Kubikkilometer liegen. Bei einem VEI 8 ist das Volumen größer als 1000 Kubikkilometer. Solche Ausbrüche sind extrem selten und ereignen sich schätzungsweise in Zeitabständen von mehr als 10.000 Jahren. Vulkanausbrüche mit einem VEI 0-1 finden hingegen praktisch täglich statt.

Wie viele Supervulkane gibt es auf der Welt?

Weltweit zählen Forscher rund 1500 potenziell aktive Vulkane – das sind Vulkane, die in den vergangenen 10.000 Jahren ausgebrochen sind. Nach Angaben des United States Geological Survey werden davon etwa 20 als Supervulkane eingestuft. Dazu zählen neben den Campi Flegrei beispielsweise die Yellowstone-Caldera in den USA, der Taupo in Neuseeland und der Toba in Indonesien – der vor 74.000 Jahren für den stärksten Vulkanausbruch in der Geschichte des modernen Menschen verantwortlich war.

Wie häufig brechen Supervulkane aus?

„Das lässt sich pauschal nicht sagen“, sagt Experte Ulrich Küppers. „Der prinzipielle Charakter und die Physik hinter Vulkanausbrüchen ist immer dieselbe. Aber es gibt regional und lokal spezielle Rahmenbedingungen. Die bestimmen, welche Ruhephase ein Vulkan braucht.“ Hinzu kommt: Wie stark ein Ausbruch letztendlich ist, lässt sich im Vorfeld kaum abschätzen. Die letzte Eruption der Campi Flegrei liegt rund 500 Jahre zurück. „Das war aber ein vergleichsweise kleiner Ausbruch“, sagt Küppers. Die letzten großen Ausbrüche hatten die Campi Flegrei vor 16.000 und 28.000 Jahren. „Das waren Ausbrüche, die heute katastrophale Folgen hätten“, so der Geologe.

Wären die Campi Flegrei also wieder „reif“ für einen großen Ausbruch? „Das kann man so nicht sagen“, sagt Küppers. „500 Jahre sind für ein Vulkansystem zwar eine gewisse Zeit. Das heißt aber nicht, dass der nächste Ausbruch der Big Bang sein muss.“ Ein Problem: Aufgrund der Seltenheit von Supereruptionen konnte bisher keine derartige Katastrophe im Vorfeld untersucht und vermessen werden. Entsprechend wenig ist über mögliche Frühwarnzeichen bekannt.

Schon vor mehr als einem Jahr warnten Wissenschaftler des Centre for the Study of Existential Risk (CSER) allerdings davor, dass der Ausbruch eines Supervulkans immer wahrscheinlicher werde. Dem Forscherteam zufolge liegt die Wahrscheinlichkeit für einen Ausbruch der Stärke 7 oder höher in den nächsten hundert Jahren bei 1:6. Die Analyse von Schwefelkonzentrationen in Eisbohrkernen ergab demnach, dass solche Ausbrüche statistisch gesehen alle 625 Jahre auftreten.

Welche Folgen hätte ein Ausbruch in den Campi Flegrei?

Das hängt von der Größe des Ausbruchs ab. Fest steht laut Vulkanologe Ulrich Küppers nur: „In einem Umkreis von mehreren Kilometern um die Ausbruchsstelle sollte niemand mehr sein.“ Rund 1,3 Millionen Menschen müssten evakuiert werden. Betroffen wäre unter anderem Neapel, das 20 Kilometer von den Campi Flegrei entfernt liegt. „Es hängt aber auch davon ab, wo genau der Ausbruch sich ereignen würde“, betont Küppers.

Der italienische Zivilschutz schreibt auf seiner Webseite, das mit folgenden Phänomenen zu rechnen sei: Abwurf von vulkanischen Bomben – also bis zu mehreren Meter großen Gesteinsfragmenten – und großen Blöcken in unmittelbarer Nähe des eruptiven Zentrums, Fließen von pyroklastischen Strömen in einem Umkreis von einigen Kilometern und Herabfallen von Asche und kleinen Steinen in einer Entfernung von mehreren Kilometern. Das italienische Nationale Institut für Geophysik und Vulkanologie (INGV) zeigt in einer Videosimulation, wie ein Ausbruch aussehen könnte.

Supereruptionen haben zudem nicht nur schwerwiegende Folgen für das Gebiet im Umkreis – sondern für den gesamten Planeten. Der Blick in die Geschichte zeigt, dass große Vulkanausbrüche abrupte Klimaveränderungen verursachten. Die letzte Supereruption war die des Tambora im Jahr 1815 auf der indonesischen Insel Sumbabwa, bei der rund 100.000 Menschen starben. „Das ist der einzige historische Ausbruch dieser Größe, den wir kennen“, sagt Geophysiker Lühr. Die Supereruption hatte einen sogenannten vulkanischen Winter zur Folge. Lühr erklärt: „Das Gefährliche bei hochexplosiven Vulkanen ist, dass Auswurfmaterial über die Wolken transportiert wird. Es geht dabei im Wesentlichen um die Schwefeldioxide, die als Aerosole in die Stratosphäre geraten. Dadurch verändert sich die Albedo, die Rückstrahlcharakteristik der Erde. Und das führt zu einer Abkühlung der Erde.“

Nach dem Tambora-Ausbruch sanken die Temperaturen im Durchschnitt um ein Grad. Weil die Asche den Himmel verdunkelte, erreichte zudem kaum Sonnenlicht den Boden. Das Folgejahr 1816 wird das „Jahr ohne Sommer“ genannt und war das kälteste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Etliche europäische Staaten erlebten Ernteausfälle, Hungersnöte und Wirtschaftskrisen.

Ohne Alarmismus verbreiten zu wollen, ist die Möglichkeit eines Ausbruchs ein sehr realistisches Szenario.
Ulrich Küppers, Vulkanologe

Wie wahrscheinlich ist ein Ausbruch in den Campi Flegrei?

„Ohne Alarmismus verbreiten zu wollen, ist aus unserer Sicht und auch aus Sicht des italienischen Zivilschutzes, die Möglichkeit eines Ausbruchs ein sehr realistisches Szenario“, sagt Küppers. 2012 begann die bis heute andauernde Unruhe in den Campi Flegrei, die jüngst gemessenen Beben auf der Richterskala 4 waren die stärksten seit Jahrzehnten. „Man hatte schon einmal große Angst vor einem Ausbruch, in den frühen Achtzigerjahren“, sagt Küppers. „Damals hat sich in der Ortschaft Pozzuoli der Boden um mehr als zwei Meter gehoben. Es kam dann nicht zu einem Ausbruch und die Bodenhebung ist wieder zurückgegangen.“

Gleichwohl seien die aktuellen Entwicklungen typische Vorboten einer Eruption. „Die Kombination von häufigen Erdbeben, heißeren Quellen und austretenden Gasen – das sind alles Signale, die zusammen einen Ausbruch andeuten können“, sagt der Experte. „Das heißt nicht, dass ein Ausbruch unmittelbar bevorsteht. Es gibt aber momentan auch keinen Grund zu sagen, seid alle beruhigt, das wird nicht passieren. Das ist eine Situation, die man sehr eng im Auge behalten muss.“

Ob ein Ausbruch in den Campi Felgrei allerdings die Dimension einer Supereruption erreichen würde, ist unklar. Nach Angaben des italienischen Zivilschutzes sei ein „kleinerer“ Ausbruch, wie es ihn zuletzt im Jahr 1538 gab, deutlich wahrscheinlicher. Der Vulkanologe Giuseppe Mastrolorenzo vom INGV schlug hingegen in einem Interview Alarm. Der Experte mahnte, die aktuellen Erschütterungen könnten die Vorläufer eines Superausbruchs mit einer Energie sein, die „Dutzende Male größer ist als der Ausbruch von Pompeji im Jahr 79 nach Christus“.

Wie bereiten sich die Behörden in Italien auf einen möglichen Ausbruch vor?

Eine Aktualisierung des Evakuierungsplans soll zeitnah erfolgen. Der nationale Zivilschutzplan unterscheidet zwischen einer roten und einer gelben Zone. In der roten Zone liegen die Regionen, die unmittelbar von Lawinen aus Gas, heißer Asche und Gesteinsstücken bedroht sind. Davon sind 500.000 Einwohner betroffen, die zwischen den Gemeinden Pozzuoli, Bacoli, Monte di Procida und Quarto verteilt sind. Die gelbe Zone, in der 800.000 Einwohner leben, müsste nur im Falle eines Ausbruchs evakuiert werden – aufgrund des Aschefalls.

Seit 2012 gilt in den Campi Flegrei die Alarmstufe Gelb, was die zweite Stufe im vierstufigen Warnsystem ist. Springt die Ampel auf Stufe drei beziehungsweise Orange, würde mit Evakuierungsmaßnahmen begonnen werden. Bei Alarmstufe Rot hätten alle Bewohner der roten Zone 72 Stunden Zeit, ihre Häuser zu verlassen.

Viele Experten üben Kritik an der unzureichenden Vorbereitung der Regierung. Laut der italienischen Zeitung „La Repubblica“ fehlt eine Karte der Gebäude, die einem Erdbebenrisiko ausgesetzt sind. Die letzte Evakuierungsübung ist zudem vier Jahre her.