Ein KI-Modell prognostiziert die Überschreitung der kritischen 1,5 Grad-Marke für spätestens 2035 – auch bei sinkenden Emissionen. Sogar die 2 Grad-Marke des Pariser Abkommens ist in Gefahr. Aber es gibt noch Hoffnung.
„Sehr starker Klimawandel“ erwartet Kritische Klimaschwelle wird laut KI bereits 2035 erreicht – auch bei sinkenden Emissionen
Wer von den Warnungen menschlicher Forscherinnen und Forscher noch nicht überzeugt ist, bekommt von künstlicher Intelligenz nun genauso schlechte Nachrichten: Innerhalb der nächsten zehn bis 15 Jahre wird der im Pariser Klimaabkommen festgelegte Schwellenwert für die Erderwärmung von 1,5 Grad Celsius überschritten werden – und das sogar, wenn Emissionen drastisch reduziert werden. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Stanford University.
Für die Berechnungen machte sich das Forscherteam sogenanntes „Machine Learning“ zunutze. Darunter versteht man einen Teilbereich der künstlichen Intelligenz. IT-Systeme werden dabei durch das „anfüttern“ mit vorhandenen Daten und Algorithmen in die Lage versetzt, Muster und Gesetzmäßigkeiten zu erkennen – und daraus zum Beispiel auch Prognosen zu berechnen. Für die Studie wurde die KI mit jeweils drei Szenarien gefüttert – mit hohem, mittlerem und niedrigem Treibhausgaseffekt. In allen Szenarien komme die KI zum Ergebnis, dass die 1,5-Grad-Grenze „zwischen 2033 und 2035“ erreicht wird.
Studie zum Klimawandel: 1,5-Grad-Schwelle wird „zwischen 2033 und 2035“ erreicht
„Mit einem völlig neuen Ansatz, der sich auf den aktuellen Zustand des Klimasystems stützt, um Vorhersagen für die Zukunft zu treffen, bestätigen wir, dass die Welt kurz davor steht, die 1,5-Grad-Schwelle zu überschreiten“, erklärt Klimaforscher Noah Diffenbaugh die Ergebnisse, die von der KI ausgespuckt wurden. Laut der künstlichen Intelligenz ist das bereits unausweichlich. „Selbst wenn der Treibhauseffekt in naher Zukunft erheblich reduziert wird“, werde die Schwelle in dem Zeitraum erreicht werden, sagt Diffenbaugh.
Die Computeranalyse hält jedoch noch mehr schlechte Nachrichten bereit. Während im Paris Klimaabkommen die 1,5 Grad-Grenze mehr als frommer Wunsch denn als bindendes Ziel formuliert ist, soll die Erderwärmung laut Abkommen jedoch unbedingt unter der 2 Grad-Marke gehalten werden. Auch das wird laut der künstlichen Intelligenz kaum noch zu schaffen sein. Wenn die Emissionen in den nächsten Jahrzehnten auf hohem Niveau bleiben, prognostiziert die KI eine Chance von eins zu zwei, dass sich die Erde bis Mitte dieses Jahrhunderts im Vergleich zu vorindustriellen Zeit um durchschnittlich 2Grad Celsius erwärmen wird. Eine Chance von mehr als vier zu fünf sieht der Computer unterdessen für das Erreichen der 2 Grad-Grenze bis 2060.
Klimawandel: 2-Grad-Grenze könnte überschritten werden – auch bei sinkenden Emissionen
Laut der Analyse, die Diffenbaugh gemeinsam mit der Atmosphärenforscherin Elizabeth Barnes von der Colorado State University verfasst hat, würde die Welt selbst in einem Szenario, in dem die Emissionen in den kommenden Jahrzehnten zurückgehen, wahrscheinlich die 2 Grad-Marke erreichen. Zumindest, „wenn es noch ein halbes Jahrhundert dauert“, bis die Emissionen auf Null gesenkt werden. „Unser KI-Modell ist davon überzeugt, dass die Erwärmung bereits so weit fortgeschritten ist, dass die 2 Grad-Marke wahrscheinlich überschritten wird“, fasst Barnes zusammen.
Damit widerspricht das Ergebnis dem jüngsten Bericht des Weltklimarates, der zu dem Schluss gekommen war, dass das Überschreiten der 2 Grad-Marke verhindert werden könne, wenn die Emissionen vor dem Jahr 2080 auf null gesenkt werden. Das Ziel des Pariser Abkommens, die Erderwärmung „deutlich“ unter der 2 Grad-Marke zu halten und dabei einen Wert von 1,5 Grad Celsius anzustreben, hält die KI demnach bereits jetzt schon für unerreichbar.
Klimawandel: Unterschied zwischen 1,5 und 2 Grad Celsius Erderwärmung ist gewaltig
Der Unterschied zwischen 1,5 und 2 Grad Celsius Erderwärmung ist gewaltig – so klein die Zahlen auch klingen mögen. Je höher die Durchschnittstemperaturen steigen, desto wahrscheinlicher wird es, dass die Welt Schwellenwerte erreicht – die manchmal auch als Kipppunkte bezeichnet werden. Ein massives Waldsterben oder das großflächige Abschmelzen von Polareisflächen wären nur zwei der Folgen, die Wissenschaftler beim weiteren Fortschreiten der Erderwärmung erwarten. „In den nächsten drei Jahrzehnten ist mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einem sehr starken Klimawandel zu rechnen“, erklären Diffenbaugh und Barnes.
Um zu testen, wie präzise das Modell arbeitet, forderten die Forscher die KI auf, den aktuellen Stand der globalen Erwärmung von 1,1 Grad Celsius auf Grundlage von Temperaturanomalie-Daten aus dem Zeitraum 1980 bis 2021 vorherzusagen. Die KI prognostizierte das derzeitige Erwärmungsniveau daraufhin für das Jahr 2022 – lag damit also ziemlich richtig.
Studie sieht Möglichkeit, extremen Klimawandel zu verhindern
Dennoch sei es nach wie vor möglich, einen extremen Klimawandel zu verhindern, heißt es in der Studie. Dafür müsse jedoch die Menge an Kohlendioxid, Methan und anderen Treibhausgasen, die der Atmosphäre weltweit zugeführt werden, rasch reduziert werden. Seit dem Pariser Abkommen haben viele Länder bereits angekündigt, die Emissionen früher auf Null senken zu wollen, als in dem KI-Szenario mit den niedrigsten Emissionen angenommen. Somit könnte das optimistischste KI-Ergebnis der Forscher mit stringenten Maßnahmen in der Realität sogar übertroffen werden.
Null-Emissionsversprechen der Politik, die mit Bezug auf die 1,5 Grad -Marke ausgesprochen werden, seien dennoch bereits hinfällig, sagt Diffenbaugh. Diese „ehrgeizigen Zusagen“ seien zwar notwendig, erklärt der Forscher. Jedoch nicht, um die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, sondern um überhaupt noch die Chance zu haben, eine Erwärmung um 2 Grad Celsius noch irgendwie zu verhindern. „Game Over“, sagt die KI im Kampf um die internationalen Klimaziele nicht, zumindest noch nicht.