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ChatGPT und Co.Wie Köln vom Boom künstlicher Intelligenz profitiert – und wo es hakt

Lesezeit 5 Minuten
Vor einem großen Monitor mit einer Luftaufnahme von Las Vegas stehen eine Frau und ein Mann. Der Mann deutet auf Stellen auf dem Foto.

In US-Polizeistation – wie hier in Las Vegas – wird Künstliche Intelligenz eingesetzt, um Geräusche in der Stadt zu analysieren und Schießereien zu identifizieren.

Ein Kölner Unternehmen mischt bei Künstlicher Intelligenz vorne mit. Doch es gibt wenige deutsche KI-Vorzeigeprojekte. Ein Grund: mangelhafte Daten.

Seit einigen Monaten sorgt ein Chatbot für Furore. Das Programm ChatGPT des US-amerikanischen Unternehmens OpenAI kann Essays schreiben, Witze erzählen und Codes programmieren. Experten wie Laien staunen seitdem über die Fähigkeiten von künstlicher Intelligenz.

Diese Woche veröffentlichte das Kölner Unternehmen DeepL mit „Write“ ein Programm, das mithilfe von künstlicher Intelligenz Texte lektorieren kann. DeepL war schon vorher kein Unbekannter. Seit Jahren liefert sich das Unternehmen aus Köln-Ehrenfeld heraus einen Wettkampf mit den Tech-Größen aus den USA.

Das Leuchtturm-Unternehmen ist aber die große Ausnahme. Bei KI-Entwicklung und Verwendung in der Wirtschaft hinkt Deutschland hinterher. Warum ist das so? Welche Rolle kommt Nordrhein-Westfalen zu? Fünf Fragen und Antworten.

Wie funktioniert DeepL Write?

Seit November hat Köln sein erstes Einhorn. So nennt man junge Unternehmen, deren Marktwert die Milliarden-Dollar-Grenze überschreitet – DeepL hat den Sprung geschafft. Bekannt wurde die Firma mit ihrem Übersetzungsdienst, der so gut ist, dass er auch mit Google Translate konkurrieren kann.

Diese Woche hat DeepL sein zweites Projekt veröffentlicht. „Write“ soll so etwas wie ein digitaler Lektor sein. Er soll also selbst geschriebene Texte besser machen. Wie der Übersetzer basiert auch Write auf der KI-Technologie des Unternehmens. DeepL kann auf eine riesige Sprachdatenbank zurückgreifen. Selbstlernende Algorithmen trainieren mit diesen Daten, um immer präzisere Ergebnisse zu liefern.

DeepL-Zentrale im Maarweg-Center in Köln-Ehrenfeld.

DeepL-Zentrale im Maarweg-Center in Köln-Ehrenfeld.

Die Bedienung ist einfach: In das linke Eingabefeld wird der Originaltext eingefügt, rechts erscheint dann eine Variante mit Verbesserungsvorschlägen. Wer nicht mit dem Ergebnis zufrieden ist, kann sich von „Write“ eine Vielzahl von weiteren Formulierungsvarianten ausspucken lassen, so lang, bis der richtige Satz gefunden ist. Blind vertrauen sollte man dem Schreibassistenten zwar nicht, aber sowohl für Nicht-Muttersprachler als auch für Schreibprofis könnte sich „Write“ zu einer großen Hilfe entwickeln.

Wo wird Künstliche Intelligenz in der Zukunft relevant?

„DeepL ist ein Beweis dafür, dass man in Sachen KI auch mit kleineren finanziellen Mitteln in der Weltspitze mitspielen kann“, sagt Christian Temath. Er ist Geschäftsführer der Kompetenzplattform KI.NRW und arbeitet beim Fraunhofer Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme mit Hauptsitz in Sankt Augustin.

Die vom Land geförderte Plattform will die Forschung zu künstlicher Intelligenz vorantreiben und den Transfer von KI-Technologien in die Wirtschaft beschleunigen. „Unsere Mission ist es, die Region Nordrhein-Westfalen in die Champions-League der angewandten KI zu befördern“, sagt Temath.

Die Anwendungsfelder, in denen künstliche Intelligenz die Zukunft bestimmen wird, seien vielfältig und nicht nur auf den Bereich von Text- und Sprachassistenten beschränkt: „KI kann in fast allen Branchen ein entscheidender Faktor werden. Ob in der Produktion, im Marketing, im Personalwesen oder auch in Fragen der Nachhaltigkeit.“

Merle Uhl, KI-Referentin beim Tech-Branchenverband Bitkom, sagt: „Auch für den Gesundheitssektor hat KI viele Potenziale.“ So könne künstliche Intelligenz Ärzten bei Diagnosen helfen, etwa indem sie Röntgenaufnahmen analysiert. Auch die Pharma-Branche hat das Potenzial erkannt, wie das Beispiel Biontech zeigt. Das Mainzer Unternehmen hat Anfang des Jahres angekündigt, das KI-Startup „Insta Deep“ für 410 Millionen Euro übernehmen zu wollen.

„Wir brauchen KI, um im Innovationswettbewerb vorne mitzuspielen“, sagt Temath. Um die wirtschaftliche Bedeutung von Künstlicher Intelligenz zu unterstreichen, zitiert er eine Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (pwc). Demnach könnte die deutsche Wirtschaft durch KI-Technologien bis 2030 um mehr als elf Prozent wachsen.

Wie viele deutsche Unternehmen nutzen KI?

Trotz des Potenzials und des Kölner KI-Leuchtturms DeepL: Von einem KI-Boom kann man in Deutschland noch nicht sprechen. Der Branchenverband Bitkom hat in einer Befragung von 606 deutschen Unternehmen festgestellt, dass die Nutzung von künstlicher Intelligenz auf niedrigem Niveau stagniert.

2022 hätten nur neun Prozent der befragten Unternehmen künstliche Intelligenz eingesetzt, nur ein Prozentpunkt mehr als im Jahr zuvor. Aktuell denken sogar weniger Unternehmen über die Einführung von KI-Technologien nach als 2021 (25 Prozent). Für knapp zwei Drittel ist KI gar kein Thema.

Wo liegen die Probleme?

Für Merle Uhl hat die Stagnation vor allem zwei Gründe. „Gute KI-Programme brauchen digitalisierte Daten, mit denen sie etwas anfangen können. Und die fehlen, weil viele Unternehmen noch sehr analog arbeiten. Außerdem braucht man Leute mit den passenden Fähigkeiten, die sinnvolle KI-Modelle entwickeln und implementieren können.“ Auch wenn Deutschland als Forschungsstandort gut aufgestellt sei: Es gäbe zu wenig Fachkräfte, um die man zudem mit globalen Konzernen aus den USA und China konkurrieren müsse.

Hinzu kommen zwei weitere Faktoren, sagt Christian Temath: „Viele Unternehmen hatten in den vergangenen Jahren mit der Energiekrise und der Coronapandemie zu kämpfen. An Zukunftsthemen wie KI war dann oft nicht zu denken.“ Außerdem sei Deutschland im Vergleich zu anderen Standorten zu langsam. „Viele gute Ideen versanden in Förderanträgen. In der Zeit haben die Amerikaner schon das nächste Sprachmodell gebaut. Da müssen wir schneller werden.“

Kritiker warnen zudem vor den gesellschaftlichen und rechtlichen wie moralischen Problemen, die ein KI-Sprachprogramm mit sich bringt. So fürchten sie eine Zunahme von Fake-News, da die KI dazu neige, Daten so zusammenzubauen, dass am Ende plausibel klingende Texte entstünden, die aber nicht der Wirklichkeit entsprächen. Auch die Frage nach dem Urheberrecht und ethischen Standards sei komplett ungeklärt.

Der US-Investor Paul Kedrosky sieht gar die Möglichkeit, ChatGPT als Waffe gegen das Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit und damit Demokratie einzusetzen. Er schreibt auf Twitter: „Ich bin so beunruhigt über das, was ich in den letzten Tagen plötzlich überall mit ChatGPT sehe. College- und High-School-Aufsätze, College-Bewerbungen, juristische Dokumente, Nötigung, Drohung, Programmierung usw.: Alles gefälscht, alles höchst glaubwürdig.“

Wie geht es weiter?

Temath geht davon aus, dass künstliche Intelligenz in den kommenden Jahren eine immer wichtigere Rolle in der deutschen Wirtschaft spielen wird. „Das Beispiel ChatGPT hat das Thema KI nochmal massiv ins Schaufenster gestellt. Das könnte bei deutschen Unternehmen für einen Schub sorgen.“ Und auch bei der KI-Entwicklung tut sich etwas.

Temath verweist beispielhaft auf ein Projekt, das vom Fraunhofer-Instituten IAIS geleitet wird: Mit OpenGPT-X wird dort ein Sprachmodell entwickelt, das es mit Unternehmen in den USA und Asien aufnehmen soll. Die Bundesregierung fördert das Projekt mit rund 14 Millionen Euro, beteiligt sind zehn Partner aus Wirtschaft, Wissenschaft und Medienbranche.

An das Projekt knüpfen sich viele Hoffnungen: Es soll ein Open-Source-Sprachmodell für ganz Europa werden. Mit besseren ethischen und datenschutzrechtlichen Standards als seine Pendants aus den USA. OpenGPT-X soll bis Ende 2024 entwickelt sein, sagt Temath.