Die 72-jährige Französin ist zur weltweiten Heldin geworden. Was nach den Urteilen noch passieren muss, damit ihr Gerechtigkeit widerfährt.
Kommentar zu Gisele Pelicot51 Urteile sind noch lange nicht genug
Es gibt Sätze, die im kollektiven Gedächtnis bleiben. „Die Scham muss die Seiten wechseln“ ist so ein Satz. Ausgesprochen von einer Frau, die unvorstellbares Leid erlitten hat und die dennoch darauf bestand, dass die vielen grauenvollen Videos, die zeigen, wie sie von 51 Männern sexuell missbraucht wird, in allen Details öffentlich werden.
Nicht sie, sondern ihre Vergewaltiger müssten sich schämen, erklärte Gisèle Pelicot ihre Entscheidung. Der Gegensatz zwischen der Selbstverständlichkeit dieser Aussage und der Realität ist grotesk. Auch in Deutschland, wo die Gewalt gegen Frauen ebenso zunimmt wie die Zahl der Femizide und wo Familienministerin Lisa Paus darauf hinweist, dass sich über Landesgrenzen hinweg gerade Netzwerke bilden, in denen Männer Gewalt gegenüber Frauen planen und umsetzen.
Die 72-jährige Französin hat Menschen auf der ganzen Welt berührt und inspiriert und ist im Laufe ihres eigenen Mammut-Prozesses zu einer feministischen Heldin geworden. Sie hat weiblichen Missbrauchsopfern Mut gemacht und die „Nur ja heißt Ja“-Debatte erneut angestoßen, nachdem sich einige der Täter darauf berufen wollten, die Frau habe sich im angeblichen und wortlosen Einverständnis nur schlafend gestellt. In Frankreich gibt es kein entsprechendes Gesetz zum Schutz von Frauen – anders als zum Beispiel in Spanien. In Deutschland wird keine allzu laut geführte Debatte darüber geführt.
Dass die Täter sich tatsächlich schämten, zeigte sich im Prozess leider kaum, schwer erträglich waren die Ausreden vieler Angeklagter und ihrer Verteidiger. Immerhin: Am Ende gab es keinen einzigen Freispruch, wenn auch etliche Urteile deutlich härter hätten ausfallen können und müssen. Die Höchststrafe für den Ex-Ehemann und Hauptangeklagten Dominique Pelicot hatte ohnehin außer Frage gestanden.
Es ist bei allem Entsetzen eine wundervolle Nachricht, wie viel Liebe Gisèle Pelicot nun erfährt. Dass sie und ihre ebenfalls betroffenen Kinder jemals wieder Frieden finden können, ist trotzdem kaum vorstellbar. Umso wichtiger ist, dass die von Pelicot angestoßene Debatte weit über 2024 hinausgeht, dass der auch angesichts seiner menschlichen Monstrosität sogenannte Jahrhundertprozess nachhaltige Änderungen bewirkt. In Rechtssystemen vieler Länder, erst recht aber im Nachdenken und Urteilen über sexualisierte Gewalt und diejenigen, die sie erleiden müssen.
Gisèle Pelicot, die ihre nackte Verletzlichkeit in bewundernswerte Stärke verwandelt hat, wurde auch bei der Urteilsverkündung wieder mit Bravo-Rufen, Beifall und einem Plakat empfangen. Was darauf stand, werden heute viele Millionen Frauen – und Männer – empfinden: Danke, Gisèle Pelicot!