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Nicola Baumann und Insa Thiele-Eich„Ins All schauen und dann auf die Erde“

Lesezeit 9 Minuten
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Nicola Baumann (links) und Insa Thiele-Eich

Wann und wie haben Sie von der Kampagne „Die Astronautin“ überhaupt erfahren?

Nicola Baumann: Im März letzten Jahres war ich bei einem Lehrgang in Hamburg, da haben mich ganz viele Bundeswehr-Kameraden aufgeregt angerufen. Und ich habe dann gleich mit den beiden Frauen telefoniert, die auch Eurofighter fliegen, uns war ganz klar, dass wir uns unbedingt bewerben wollen.

Insa Thiele-Eich: Bei mir waren es mein Mann und meine Mutter, die mir einen Artikel dazu weiterleiteten, „das wolltest du doch schon immer machen.“ Fünf Minuten später hatte ich den Ordner für die Bewerbungsunterlagen angelegt.

Was war Ihre Motivation, sich zu bewerben?

Baumann: Die intrinsische Motivation ist natürlich „Ich will ins All“, das ist ja auch ein Abenteuer.

Aber die Idee von Claudia Kessler, der Aspekt, dass endlich eine deutsche Frau zur ISS fliegt, gehört schon dazu. Zu Hause, in meiner Kindheit, waren weibliche oder männliche Rollenbilder kein Thema – meine Schwester hatte Barbies, ich hatte Fischer-Technik. Erst im Berufsleben habe ich festgestellt, dass das ein Thema ist. Da gab es schon viele Vorbehalte, die Bundeswehr hatte sich gerade erst für Frauen geöffnet, als ich 2004 anfing. Das hat mich oft verblüfft – das natürliche Verhalten ist doch, gar nicht erst darüber nachzudenken, ob Frauen das Gleiche können wie Männer. Und natürlich ist für mich auch die Forschung spannend, insbesondere, was die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine betrifft.

Thiele-Eich: Ich war sieben oder acht, als mir mein Vater den Andromeda-Nebel gezeigt hat – und von da an war ich gefangen. Da kommt man schnell an die Grundsatzfragen: Wer sind wir? Warum sind wir hier? Mein Vater ist ja selbst Astronaut (Gerhard Thiele flog im Jahr 2000 eine Spaceshuttle-Mission; Anm. der Red.), da habe ich natürlich von klein auf viel mitgekriegt. Für eine Meteorologin ist es natürlich großartig, die Atmosphäre von außen betrachten zu können, Forschung fasziniert mich sehr. Das Delta in Bangladesch, über das ich meine Doktorarbeit schreibe, einmal im Ganzen zu sehen, wäre schon ein Traum. Aber ich habe auch selbst zwei Töchter, deswegen ist mir der Aspekt der Initiative, Frauen voranzubringen, sehr, sehr wichtig. Man kriegt so einiges mit als Mutter, Sprüche, die Mädchen oder Jungen in Rollenklischees drücken. Es ist mir wichtig zu zeigen, dass es keine Grenzen gibt. Zumal sich die Arbeitswelt stark verändern wird, viele einfache Jobs werden bald Computer erledigen. Man tut jungen Menschen keinen Gefallen, wenn man sie fernhält von Naturwissenschaften und Technologie.

Über das Auswahlverfahren und ihre Chancen

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Insa Thiele-Eich und Nicola Baumann (rechts)

Wie haben Sie das Auswahlverfahren erlebt, das das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt übernommen hat für die Initiative? Was war der stressigste Moment?

Nicola Baumann: Im medizinischen Teil fragte mich der Psychiater „Welcher Charakter wären Sie bei Big Bang Theory – und ich konnte nur sagen: Äh – Penny? Ich mag die Serie, aber ich hab’ keine Ahnung, wie die alle heißen. Schon überraschend bei einem Bewerbungsgespräch. Generell waren die Tests schon anstrengend, es gab stressige Situationen und viel Zittern, abends war man platt und müde, aber es war eine gute Müdigkeit.

Insa Thiele-Eich: Es gab einen Moment während eines Stressbelastungstests, da dachte ich, jetzt kann ich aufstehen und gehen. Es ging um Zusammenarbeit im Team – genauer darf ich das nicht beschreiben. Eine interessante Erfahrung, ich war überrascht, dass man in so kurzer Zeit künstlich derart unter Stress gesetzt werden kann. Das hätte ich nicht gedacht, es war die stressigste Situation in meinem Leben. Gelernt habe ich kurz vor dem Finale auch, dass E-Mails nicht schneller ankommen, wenn man alle zwei Minuten ins Postfach guckt.

Wie war die Atmosphäre unter den vielen Kandidatinnen?

Thiele-Eich: Es waren schon viele besondere Frauen da, deshalb hat es total Spaß gemacht, da haben sich richtige Freundschaften entwickelt. Wir sind alle sehr klar, sehr direkt. Da waren einfach 90 tolle Frauen, die, so wie wir beide, genau wissen, was sie wollen – und es dann einfach machen.

Baumann: Das DLR hat den kooperativen Umgang untereinander ausdrücklich gelobt. Die Auswahlrunde in Hamburg fand ich richtig nett, weil ich ja sonst in meinem Umfeld nur Männer habe. Die mag ich natürlich auch sehr, aber dort waren lauter Frauen, die ähnlich ticken wie ich.

Eine Entscheidung steht ja noch aus, denn nur eine von Ihnen wird zur ISS fliegen. Sind Sie harte Konkurrentinnen?

Thiele-Eich: Gar nicht, erst mal gehen wir ins Training, und das machen wir zusammen. Und außerdem ist das normal. Als Astronaut weiß man nie, ob man fliegt, auch bei der Nasa oder der Esa gibt es immer einen, der fliegt, und einen, der Back-up ist.

Baumann: Im Moment geht es erst einmal darum, dass das Projekt ein Erfolg wird, dass überhaupt eine von uns beiden fliegt. Zusammen zu trainieren macht Spaß, und am Ende müssen wir ja nicht selbst entscheiden.

Thiele-Eich: Schlimmer, als selbst nicht zu fliegen, wäre es, wenn keine von uns fliegt.

Über Experimente im All und einen Plan B

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Insa Thiele-Eich (links) und Nicola Baumann

Wie sehen Sie die Chancen, dass der erste Flug einer deutschen Frau zur ISS stattfinden kann? Noch ist die Finanzierung ja nicht gesichert.

Baumann: Ganz gut – es gibt Gespräche mit Sponsoren, wir hoffen, dass sich da etwas ergibt, und dass wir auch von offizieller Seite stärker unterstützt werden. Aber das sind halt lange Prozesse. Ich hätte nicht damit gerechnet, dass die Begeisterung so groß ist.

Thiele-Eich: Wir sind ja erst mal gut gestartet mit dem Projekt. Allein, dass aus der Idee, die Frau Kessler beim Rotwein hatte, so etwas geworden ist, ist schon eine gute Nachricht. Die Begeisterung dafür ist groß und das mediale Interesse auch. Es gibt viele Menschen, die uns für den Anfang unterstützen wollen.

Baumann: Ja, es ist wichtig, dass nicht nur täglich schlimme Dinge passieren, sondern auch positive Visionen umgesetzt werden können.

Was würden Sie denn als Erstes tun, wenn Sie auf der ISS ankommen und schwerelos sind?

Baumann: Als Erstes würde ich, glaube ich, versuchen, mich nicht zu übergeben, und dann einen Blick nach draußen werfen – in beide Richtungen, zur Erde und ins All. Man muss sich bestimmt eingewöhnen, der Körper ist halt völlig auf die Schwerkraft der Erde eingestellt.

Thiele-Eich: Da kann ich mich anschließen, ich würde noch einen Purzelbaum versuchen, bevor mir schlecht wird. Aber der Blick auf die Erde von der Raumstation aus muss großartig sein. Das Delta in Bangladesch, zu dem ich forsche, ist 1,5 Millionen Quadratkilometer groß – es wäre schon toll, das mal im Ganzen zu sehen. Erleben möchte ich auch den „Overview-Effekt“, den es bei Astronauten gibt – ein tieferes Verständnis und eine veränderte Sicht auf den Planeten, wenn man ihn aus dem All betrachtet.

Wenn Sie zur ISS fliegen, sollen Sie ja auch selbst dort forschen. Wo liegen da Ihre Interessen?

Baumann: Da gibt es zwei Sachen, die mich interessieren: Ich bin ja Maschinenbau- und Luft- und Raumfahrttechnik-Ingenieurin, und weil ich auf der operativen Seite arbeite, interessiert mich besonders, wie solche Prozesse ablaufen, wie man das optimieren kann, eine größere, bessere Raumstation bauen könnte. Das zweite ist, Kinder und Jugendliche noch mehr zu faszinieren. Physik und Mathe sind cool! Das spielerisch zu zeigen mit Experimenten auf der ISS, fände ich schön.

Thiele-Eich: Als Meteorologin forsche ich gerade über den Weg des Wassers vom Boden über die Pflanze bis in die Atmosphäre. Das hat ja auch viel mit Schwerkraft zu tun, insofern könnte ich auf der Raumstation experimentieren zum Beispiel zu Pflanzenwachstum. Mich faszinieren auch die Strömungen, die Dynamik in der Atmosphäre. Es gibt Sensoren, die man an der Raumstation anbringen könnte und damit die Satelliten kalibrieren könnte. Mich faszinieren aber auch die Tests am eigenen Körper, weil ich lange geschwankt habe zwischen Meteorologie und Medizin. Oder Untersuchungen zum Wärmehaushalt des weiblichen Körpers.

Also sind Sie beide auch bereit, selbst im All als menschliche Versuchskaninchen zu dienen?

Baumann: Ja, klar, das muss ja auch sein, auf der ISS sind ja immer nur sechs Leute. Außerdem ist es spannend – man ist ja immer geneigt zu glauben, dass man alles schon weiß, also auch, wie der eigene Körper funktioniert. Doch es gibt noch so viele Unbekannte: Beispielsweise ist eine Gefahr im All, speziell bei Langzeitmissionen, ein erhöhter Augeninnendruck – aber der trifft weit überwiegend Männer. Warum das so ist, weiß man nicht.

Man könnte Experimente an sich selbst ja auch ein bisschen gruselig finden …

Thiele-Eich: Nein, das ist doch total spannend, ich war fasziniert, als Alexander Gerst bei sich selbst eine Muskelbiopsie gemacht hat.

Baumann: Ja, klar, Medizin zu studieren war ja für mich auch eine Option, stattdessen habe ich die Ausbildung zur Rettungssanitäterin gemacht. Aber lieber nehme ich erst mal dir Blut ab, Insa.

Hat sich Ihr persönliches Leben, mal abgesehen von den vielen Presseterminen, verändert, seitdem Sie Finalistinnen sind? Machen Sie beispielsweise mehr Sport?

Baumann: Die Entscheidung ist ja noch ganz frisch, und jüngst war ich mit der Bundeswehr im Baltikum, aber wir machen ja generell viel Sport. Ein schlechtes Gewissen habe ich eh, ich könnte immer mehr machen. Laufen geht gut, weil man das auch unterwegs machen kann, ich mag Mountainbiking, aber auch Yoga. Auf dem Stützpunkt in Nörvenich werde ich ganz oft angesprochen, alle finden das gut, und dann hab ich jetzt sogar Fans, darunter viele Kinder, das ist auch eine schöne Erfahrung.

Thiele-Eich: Es ist schon viel gerade, das merke ich. Meine Geburtstagsglückwünsche per Whatsapp habe ich noch gar nicht alle abgerufen. Sport mache ich, wann immer es reinpasst. Ich hab ja noch zwei kleine Mädchen und promoviere nebenbei – manchmal ist es dann halt eine Asphaltrunde durch die Nachbarschaft nachts um elf, die ich laufe. Klettern gehe ich auch gern, wenn es die Zeit erlaubt. Glücklicherweise habe ich einen tollen Chef, und mein Mann fühlt sich für Haushalt und Kinder im gleichen Umfang verantwortlich wie ich. Sonst wäre all das, was gerade passiert, nicht möglich.

Was ist denn der Plan B, wenn es nichts wird mit dem Flug ins All 2020?

Baumann: Das ist sicher nicht die letzte Chance, die es gibt, und außerdem gibt es noch so viele Dinge, die ich gern lernen und tun möchte.

Thiele-Eich: Ja, wir wüssten bestimmt beide schon, was wir im dritten Leben machen würden.

Zu den Personen

Nicola Baumann, 32, und Insa Thiele-Eich, 34, sind die Finalistinnen im Projekt „Die Astronautin“, das die Raumfahrtmanagerin Claudia Kessler im Frühjahr 2016 privat initiierte. Eine der beiden Frauen – die Eurofighter-Pilotin Baumann, die in Nörvenich stationiert ist und in Köln lebt, oder die Meteorologin Insa Thiele-Eich, die an der Uni Bonn forscht und in Königswinter lebt – soll im Jahr 2020 als erste deutsche Frau ins All fliegen zu einem Kurzaufenthalt auf der Internationalen Raumstation ISS. Die ersten Ausbildungsphasen im Herbst sind über Crowdfunding finanziert worden. Noch fehlen die Zusagen großer Sponsoren, um die rund 50 Millionen Euro aufzubringen, die es kostet, „Die Astronautin“ ins All zu schicken.