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Drei tödliche Einsätze in FolgePolizisten erschießen innerhalb weniger Tage drei Menschen in NRW

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ARCHIV - 28.08.2024, Nordrhein-Westfalen, Recklinghausen: Einsatzkräfte der Polizei stehen an einem Tatort zwischen Fahrzeugen.

Einsatzkräfte der Polizei stehen an einem Tatort zwischen Fahrzeugen. Bei einem Schusswaffeneinsatz der Polizei ist ein mutmaßlicher Messerangreifer tödlich getroffen worden.

Dass deutsche Polizisten zur Schusswaffe greifen und Menschen im Einsatz erschließen, ist selten. Eigentlich. Doch nun lassen gleich drei fatale Einsätze in Folge aufhorchen. Eine Einordnung.

Tödliche Polizeischüsse in Moers, Recklinghausen, Bonn. Gleich dreimal in den vergangenen Tagen ähneln sich die Schlagzeilen aus Nordrhein-Westfalen. An allen drei Orten sterben Männer durch Kugeln aus Dienstwaffen der Polizei. In allen drei Fällen war zuvor ein Messer im Spiel.

Zunächst war am Dienstag vergangener Woche ein wohl psychisch kranker Mann mit Schüssen der Beamten gestoppt worden, als er mit zwei Messern in den Händen auf die Beamten zulief. Zuvor soll er Passanten bedroht haben.

Am Abend darauf meldete die Polizei in Recklinghausen erneut tödliche Schüsse der Polizei nach einer Bedrohungssituation. Ein 33-Jähriger starb - es gebe Hinweise, dass er zuvor versucht haben könne, sich das Leben zu nehmen.

NRW: Polizisten erschießen innerhalb weniger Tage drei Angreifer

Eine Woche später kommt es in Bonn zu einer Messerattacke auf zwei Menschen im Obdachlosen-Milieu. Die Polizei stellt den Tatverdächtigen wenig später. Aus noch unklaren Gründen schießt die Polizei auf ihn. Der Mann stirbt später im Krankenhaus.

Abgeschlossen sind die Ermittlungen in keinem der drei Fälle. Wegen der laufenden Untersuchungen gegen Polizeikollegen sind die Staatsanwälte ebenso wie die aus Neutralitätsgründen eingeschalteten Ermittler aus jeweils benachbarten Polizeibehörden zurückhaltend mit Details. Klar ist aber schon jetzt: Die Häufung der Fälle wirft ein Schlaglicht auf die Rolle der Polizei in Einsätzen, in denen es nur Verlierer gibt.

„Zu wissen, dass man in einer Situation durch eigenes Handeln ein Menschenleben beendet hat, das bleibt in Kopf und Seele jedes Beamten - weit über den Dienst hinaus bis zum Lebensende“, sagt Michael Mertens, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei in NRW „Niemand geht zur Polizei, um so etwas zu erleben. Jeder weiß aber, dass es passieren kann“.

„Ein platzierter Messerstich und ein Menschenleben ist ausgelöscht“

Natürlich habe nicht zuletzt auch der Terroranschlag von Solingen vor Augen geführt, wie tödlich Messerangriffe sein können. „Ein platzierter Stich und ein Menschenleben ist ausgelöscht“, sagt Mertens. Das ist sei jedem Polizisten bewusst und werde auch genauso gelehrt und trainiert.

In zugespitzten Situationen müssten die Beamten dann blitzschnell entscheiden. „Viele, viele Angriffe, die es gibt, werden niedrigschwellig abgewehrt“, sagt der Gewerkschafter. Wenn aber eine Bedrohungssituation eskaliere, bevor sie sich mit Reden lösen lasse, sei die Anwendung körperlicher Gewalt geboten: eben auch mit Mitteln wie dem Taser oder der Schusswaffe.

Es sei eine Fehleinschätzung von Laien, dass es bei einer Bedrohung im Nahbereich möglich sei, auf die Beine oder Hände zu zielen: „Wer im Ernstfall nicht die größte Trefferfläche, also den Körper, nutzt, riskiert das eigene Leben“, sagt Mertens.

Statistik: Jährlich im Schnitt knapp 12 Getötete durch Polizeischüsse

Zwischen 2013 und 2023 hat die Polizei laut Statistik der Deutschen Hochschule der Polizei 117 Menschen erschossen - fast immer wurden demnach Nothilfe und Notwehr, seltener auch die Verhinderung von Verbrechen als Grund angegeben. Die Zeitschrift für Bürgerrechte und Polizei dokumentiert auf ihrer Homepage für das laufende Jahr bereits 14 Einsätze mit fatalen Schüssen. Häufig waren demnach Hieb- oder Stichwaffen im Spiel, immer wieder sollen sich die Getöteten mutmaßlich in einer psychischen Ausnahmesituation befunden haben.

Ist die Häufung von gleich drei derartigen Fälle in zehn Tagen also bloßer Zufall? Oder wirken hier Eindrücke des terroristischen Messerangriffs mit drei Toten in Solingen auch bei Polizisten nach? Was über die Einsätze bislang öffentlich bekannt sei, deute nicht auf eine allgemein größere Nervosität bei den Beamten hin, sagt der Kriminologe und Polizeiwissenschaftler Thomas Feltes.

Kriminologe: „Polizei schlichtet große Mehrzahl der Konflikte ohne Waffe“

Zumindest für die Einsätze in Moers und Recklinghausen zeichne sich klar ab, dass die Polizisten wohl kaum eine andere Wahl gehabt hätten als zu schießen. „In dem Moment, in dem eine Person mit einem Messer auf einen Polizeibeamten losgeht, ist die Lage im Grunde hoffnungslos“, sagt Feltes. Er könne nur noch schießen. In der großen Mehrzahl aller Einsätze gelänge es, die Lage zu beruhigen, Konflikte zu schlichten, betont er. „Wir hören natürlich nur von den Fällen, wo es schiefläuft, Polizeialltag ist das nicht“.

Und doch müsse man über Defizite reden – vor allem in denjenigen Fällen, in denen Polizisten auf psychisch Erkrankte treffen. Tatsächlich zeige die Forschung, dass die Mehrzahl der tödlichen Polizeieinsätze Menschen in psychischen Ausnahmesituationen treffe. „Dabei geht es praktisch immer um Menschen, die den Eindruck haben, bedroht zu sein“, erklärt Feltes. Uniformen, laute Ansprache, Menschenauflauf - all das könne das Gefühl, sich verteidigen zu müssen, bei diesen Menschen verstärken.

Da kämen dann oft auch Messer ins Spiel - nicht als Bewaffnung zum Angriff, sondern als vermeintlicher Schutz. „Die Fehler, wenn es sie gibt, die in solchen Einsätzen gemacht werden, stehen meist am Anfang“, sagt Feltes.

Falls des getöteten 16-jährigen Mouhamed Dramé wird verhandelt

Vor dem Landgericht Dortmund wird seit Dezember der Fall des getöteten 16-jährigen Flüchtlings Mouhamed Dramé verhandelt, der demonstriert, was Feltes meint: Nach allem, was im Prozess von Zeugen und den angeklagten Polizisten vorgetragen wurde, waren die Beamten gerufen worden, weil ein junger Bewohner einer Jugendhilfeeinrichtung offenbar in Suizidabsicht mit einem Messer hantierte. Als die Polizisten ihn mit Pfefferspray und Tasern angingen, bewegte er sich auf die Beamten zu. Der zur Absicherung des Einsatzes aufgestellte Schütze drückte mehrfach ab. Der 16-Jährige wurde von fünf Kugeln getroffen.

Damit Einsätze nicht derart eskalierten, müsse auf Zeit und Distanz gesetzt werden, betont Kriminologe und Jurist Feltes, der anfänglich als Anwalt der Familie Dramé auftrat, inzwischen aber sein Mandat niedergelegt hat. Er hatte darauf gehofft, der Prozess könne den Fokus auf mögliche strukturelle Veränderungen bei der Polizei lenken.

„Es gibt einfach Fälle, die könnte man anders lösen“, ist er nach wie vor überzeugt. So fordere er seit Jahren, dass in Großstädten für solche Fälle ein psychologischer Notdienst mitalarmiert werden könne. In den USA arbeite man inzwischen mit Hilfsmitteln wie wassergefüllten Feuerlöschern, gar Netzen oder Stangen, um Menschen kampfunfähig zu machen. „Solche Alternativen werden in Deutschland allerdings leider nicht diskutiert“. (dpa)