Die Tiefsee faszinierte Stockton Rush. Sicherheitsbedenken wischte der Oceangate-Chef gerne beiseite. Nun ist er in seiner „Titan“ gestorben.
Toter „Titan“-Pilot Stockton Rush„Wenn du sicher sein willst, dann steh nicht aus dem Bett auf“
Stockton Rush hatte sich kein kleines Ziel gesetzt: Die Tiefseeforschung und den Tourismus in die tiefsten Regionen der Ozeane wollte der Geschäftsführer der Firma Oceangate revolutionieren. Medienberichte, Interviews und TV-Dokumentationen zeichnen das Bild eines innovativen, mutigen und tatkräftigen Unternehmers. Rush, so heißt es, sei eine Art moderner Jacques Cousteau gewesen. Nun ist der Tiefsee-Pionier tot.
Oceangate-Gründer und Tiefsee-Pionier Stockton Rush: „Ich wollte entdecken“
Rush starb als einer der fünf Insassen seines eigenen Tauchboots „Titan“ bei einer „katastrophalen Implosion“, die sich derzeitigen Erkenntnissen zufolge bereits am Sonntag, dem Tag des Tauchgangs zum sagenumwobenen Wrack der „Titanic“ ereignet hat.
Die eigentlich nur für acht Stunden geplante Tour zur „Titanic“ sind das begehrteste Produkt von Rushs Firma Oceangate. Der 1912 gesunkene Luxusliner strahlt bis heute eine große Faszination auf viele Menschen aus – auch auf Stockton Rush. Die Tauchgänge zur Titanic galten als Herzensangelegenheit des Oceangate-CEOs.
Tod im eigenen Tauchboot: Erst wollte Stockton Rush ins All, dann zum Wrack der „Titanic“
Interesse für ferne Welten entwickelte Rush bereits früh in seinem Leben. Als Kind habe er davon geträumt, Astronaut zu werden, erklärte Rush 2019 in einem Gespräch mit dem „Smithsonian“-Magazin. Es sei ihm immer schon ums „Erkunden“ gegangen, sagte Rush. „Ich wollte jemand sein wie Captain Kirk. Ich wollte entdecken“, lautet ein mittlerweile viel zitierter Satz des Titanic-Tauchers, der seine Faszination schließlich zum Beruf machen sollte.
Zunächst absolvierte Rush jedoch eine Ausbildung zum Jet-Piloten, es folgte ein Studium der Luft- und Raumfahrttechnik an Eliteuniversitäten. Rush wollte ins All – und hatte die Weichen dafür gestellt. Doch sein eigener Körper sorgte für ein jähes Ende für den Traum. „Mir wurde schließlich klar, dass ich nicht zum Jupiter oder Mars fliegen würde“, sagte Rush 2017 über die Sehschwäche, die seine ursprünglichen Pläne durchkreuzte.
Stockton Rush über Tauchgänge in die Tiefsee: „Ich habe coole Sachen gesehen“
Fortan rückte die Tiefsee in den Fokus des Ingenieurs. „Ich bin auf 75 Fuß Tiefe gegangen, ich habe coole Sachen gesehen. Ich ging auf 100 Fuß und sah noch mehr coole Sachen“, beschrieb Rush seine Faszination, die sich durch den Bau eines ersten Mini-U-Boots im Jahr 2006 noch verstärkte. Auch ein experimentelles Flugzeug und ein weiteres Tauchboot für zwei Personen entwarf der Tiefsee-Pionier.
Die „Zukunft der Menschheit“ liege „unter Wasser, nicht auf dem Mars“, habe Rush Berichten zufolge einmal dem Schauspieler Alan Estrada gesagt, der im letzten Jahr Teilnehmer einer der Touren zum „Titanic“-Wrack gewesen war.
Das Wrack des Luxusliners zog Rush immer wieder an – unzählige Male ist er zur „Titanic“ getaucht. Die Überreste des weltberühmten Schiffes seien „wunderschön“, erklärte Rush im letzten Jahr gegenüber „Sky News“. Die „Titanic“ sei anders als andere Schiffswracks: „All diese Farben, die sieht man sonst nicht – so viel Orange und Rot.“
Ehefrau des „Titan“-Piloten: Wendy Rush ist Nachfahrin von „Titanic“-Passagieren
Ein Detail in der Biografie des Oceangate-Chefs bekommt seit der Katastrophe besondere Aufmerksamkeit: Wendy Rush, die Ehefrau des begeisterten Tauchers, ist eine Nachfahrin von zwei Passagieren der „Titanic“, berichtete die „New York Times“. Demnach ist sie mit Isador und Ida Straus verwandt, das Ehepaar reiste 1912 in der ersten Klasse des Luxusliners.
Berichten von Überlebenden zufolge sind beide gemeinsam gestorben, als die „Titanic“ nach einer Kollision mit einem Eisberg sank. Im gleichnamigen Kinofilm sei die Geschichte des Ehepaars Straus Vorlage für das ältere Paar gewesen, das gemeinsam im Bett blieb, als die Kabine sich mit Wasser füllte, heißt es in dem Bericht.
2009 gründete Rush schließlich Oceangate – und schließlich entstand auch das Tauchboot „Titan“. Die erste Testfahrt auf eine Tiefe von 4000 Metern unternahm Rush selbst, so wie er nun auch bei der letzten Fahrt des Tauchboots am Steuer saß. Es ist jedoch nicht nur Forschung, die Rush antreibt. Er wollte Reisen auf den Meeresgrund möglich machen – und kommerzialisieren.
Tauchboot-Pilot und Oceangate-Chef: Stockton Rush wollte von Sicherheitsbedenken wenig wissen
„Ich wollte die Beziehung der Menschen zum Ozean verändern“, sagte Rush in einem Podcast von Teledyne Marine einst. Dass es ihm dabei auch um kommerziellen Erfolg ging, war kein Geheimnis. Während eine Fahrt mit der „Titan“ anfangs noch für 105.000 Dollar angeboten wurde, kostet der Tauchgang zuletzt 250.000 Dollar.
Sein Tauchboot „Titan“ konzipierte Rush deshalb bewusst kostengünstig, wie die Nachrichtenagentur AP berichtete. So habe der Oceangate-Chef die Tourismus-Tauchgänge nicht nur aus Leidenschaft für die „Titanic“ angeboten, sondern auch, um Geld zu verdienen – und um die Öl- und Gas-Industrie von seinen Tauchbooten zu überzeugen, die bei Tiefseebohrungen zum Einsatz kommen könnten.
Zweifel an der Sicherheit von Rushs Tiefsee-Projekt kamen unterdessen bereits früh auf. In einem Brief kritisierte die „Marine Technology Society“ bereits 2018 „katastrophale Probleme“ an der „Titan“. Auch ein Oceangate-Mitarbeiter äußerte bereits früh Bedenken – und wurde daraufhin von Rushs Firma gefeuert.
Ein TV-Beitrag des US-Senders CBS, erste einige Monate alt, brachte ebenfalls Zweifel an der Sicherheit des Tauchboots auf. CBS-Reporter David Pogue beschrieb einige Elemente der „Titan“ darin als „MacGyver-Bastelei“. Auch der TV-Held in der beliebten Actionserie aus den 80er und 90er Jahren war ein Tüftler, der auf spontane Improvisationen setzte – und sich ebenfalls stets im Dienste der Menschheit sah.
Fünf Insassen des Tauchboots „Titan“ sterben bei „katastrophaler Implosion“ nahe des „Titanic“-Wracks
Rush wollte von den Warnungen allerdings wenig wissen, der Oceangate-Chef machte mitunter gar den Eindruck, als sei Sicherheit für ihn eher eine Last. „Wenn du einfach nur sicher sein willst, dann steht nicht aus dem Bett auf. Steig nicht ins Auto. Tu nichts“, sagte Rush im letzten Jahr im Gespräch mit dem CBS-Journalisten Pogue. Ab einem bestimmten Punkt sei „Sicherheit reine Verschwendung“.
Nun ist Stockton Rush im Alter von 61 Jahren bei einem Tauchgang zu dem von ihm so geliebten Wrack der „Titanic“ gestorben. Mit ihm an Bord der „Titan“ waren der „Titanic“-Experte Paul-Henri Nargeolet, der britische Unternehmer Hamish Harding und der pakistanische Unternehmensberater Shahzada Dawood mit seinem 19-jährigen Sohn Suleman.
Die fünf Männer seien „echte Forschungsreisende“ mit „Abenteuergeist und einer tiefen Leidenschaft für die Erforschung und den Schutz der Meere der Welt“ gewesen, erklärte Rushs Firma Oceangate.