Online-Sportwetten150.000 Euro verspielt – Ex-Süchtiger erzählt seine Geschichte
- Derzeit beraten sich die Politiker, ob der gigantische und hoch süchtig machende Online-Sportwetten künftig legal und somit besser kontrollierbar werden sollen.
- Peter Knechtmann (Name geändert) war neun Jahre lang süchtig nach Sportwetten und Glücksspiel und hat dabei 150.000 Euro verloren.
- Mittlerweile ist er in Köln in Therapie. Wie hat er den Ausstieg geschafft? Und was sagen Sucht-Experten zum Thema Legalisierung?
Köln – Peter Knechtmann ist Vater von drei erwachsenen Kindern, trinkt seinen Cappuccino mit Süßstoff und hat 150000 Euro verspielt. Es ist nicht der richtige Name des 55-Jährigen, zu groß ist die Scham. Neun Jahre lang zog ihn das Glücksspiel, die Hoffnung auf den großen Gewinn, tiefer in die Sucht. Kredite, Schulden und Lügen waren die Folge. Es sei das Verdienst seiner Ehefrau und der Kinder, dass er heute in Köln in Therapie ist. Er sagt: „Ich spiele nicht mehr, aber süchtig bin ich noch.“
Knechtmann hat die Werbung der Glücksspiel-Lobby gefressen. „Du hast es in der Hand“, lautet die verführerische Botschaft. Würden sich Spieler nur gut genug mit Fußball auskennen, werden sie gewinnen. Schillernde Slogans und prominente Werbeträger wie Oliver Kahn oder Lukas Podolski haben dem Glücksspiel seine Verruchtheit genommen. Statt in dubiosen Hinterhofbüros wird die Wette in schön designten Apps platziert. Und Staat und Stadt verdienen mit der Glücksspielsteuer an dem Geschäft mit der Sucht mit. „So bist du schnell in der vielzitierten Spirale“, sagt Knechtmann, „und wenn die Gewinne ausbleiben, dann redest du es dir schön. Du hast es ja in der Hand.“
Glücksspiel-Werbung suggeriert Entscheidung liege beim Spieler
Suchtexperten gehen von etwa 200.000 pathologischen, also zwanghaften Spielern in Deutschland aus. Auch wenn es für Köln keine Daten gibt, wie hoch die Zahl der Sportwetter und ihre Einsätze sind, Umfragen bestätigten die bundesweit außerordentliche Popularität der Sportwette. Grundsätzlich gelte: Je intensiver die Identifizierung mit dem Sport, desto höher sei das Gefährdungspotenzial, als Wetter süchtig zu werden. Besonders widersprüchlich ist, dass die Vereine, die fast alle einen Wettanbieter als Sponsor haben, an dem Geschäft mitverdienen. Fans werden animiert zu wetten – und das Geld fließt in den Verein.
Sportwetten sind längst ein boomender Markt. Nach Angaben des Deutschen Sportwettenverbandes lagen die Jahresumsätze deutscher Sportwettenanbieter 2018 bei 7,7 Milliarden Euro, berechnet auf der Grundlage der Steuereinnahmen, die das Bundesfinanzministerium bei rund 384 Millionen Euro liegen.
Die meisten Online-Sportwetten sind nur geduldet
Doch bis auf den staatlichen Anbieter Oddset sind die meisten Online-Wettdienste, die Sitze etwa auf Malta oder Gibraltar haben, derzeit noch illegal – in Deutschland werden sie nur geduldet. Das könnte sich nun dauerhaft ändern: Die Ministerpräsidenten diskutieren eine Neuregelung des staatlichen Glücksspielvertrags. Online-Spiele wie Poker, Blackjack und auch Sportwetten sollen testweise ab Januar für eineinhalb Jahre bei einigen Anbietern legal werden. Während manche Experten durch die Legalisierung einen weiteren Boom des Marktes befürchten, hofft Wolfgang Kursawe, Leiter der Kölner Fachstelle für Glücksspielsucht, auf eine bessere Regulierung: „Wenn die Online-Glücksspiele legal werden, kann endlich auch ein besserer Verbraucherschutz stattfinden.“
Einsatzlimits, vorgeschriebene Pausen oder Begrenzung der Spielzeit könnten dann umgesetzt werden. „Aktuell ist auf dem grauen Markt gar nichts reguliert“, sagt er. Ein weiterer Weg wäre noch mehr Selbstkontrolle der Spieler: „In anderen Formaten, etwa beim Online-Poker, können Menschen sich selbst ein Limit setzen“, sagt Kursawe. So könnte auch bessere Selbstkontrolle einer Sucht vorbeugen. Eine bundesweite Behörde, die das Glücksspiel in Deutschland regelt, fehlt zudem bislang. Das Geschäft mit der Wette ist Ländersache.
Werbung für Glücksspiel ist zur Normalität geworden
Für die Drogenhilfe Köln und die Deutsche Sporthochschule Köln steht fest: Der Anteil digitaler Wetten entfaltet eine erstaunliche Dynamik. Auch weil Werbung für das Glücksspiel zur Normalität geworden ist. „Früher gingen Spieler ins Kasino oder ins Wettbüro, heute setzen sie online“, sagt Thomas Hambüchen, Geschäftsführer der Drogenhilfe Köln. Nach Umfragen der Sporthochschule sind die Wetter überwiegend hoch gebildet, männlich, deutsch. Viele setzen täglich, live und stetig wachsende Beträge. Es gehe um das schnelle Spiel, so Hambüchen. Lotto sei wegen der langen Wartezeiten für die Süchtigen uninteressant.
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Peter Knechtmann hat es durchgemacht. „Spätestens nach einem Jahr war ich abhängig. Wetten wurde zu einem wesentlichen Teil meines Lebens.“ Er hatte Spaß am Zocken, machte Analysen, legte Excel-Tabellen an. Mittel, um die Verluste wegzureden. „Regelmäßig hab’ ich 600 Euro pro Wette eingesetzt“, sagt er. Mehr als neun Jahre lang. „Irgendwann waren die Kreditkarten am Limit. Danach habe ich mir über die Jahre hinweg 60000 Euro bei meinen Eltern zusammengekratzt.“ Seiner Frau hat er nur von den Gewinnen erzählt.
„Der Suchtwetter sieht sich als Sportexperte“
„Der Suchtwetter sieht sich als Sportexperte; er glaubt an seine Wettstrategie und daran, dass er bereits verlorene Einsätze wieder zurückholen wird“, sagt Suchtexperte Hambüchen. Sportwetten wollen suggerieren, dass sie gar kein Glücksspiel sind. So auch bei Knechtmann. „Es hat mir Spaß gemacht, ich beschäftige mich gerne mit Zahlen“, sagt er über seine Analysen. An Glück im Spiel dachte er schon lange nicht mehr. Dabei beruht das Geschäftsmodell der Wettveranstalter auf der gegenteiligen Erkenntnis: Untersuchungen zeigen, ein Spielergebnis ist nicht berechenbar. Zwischen 40 und 50 Prozent des Spielverlaufs beruhen auf Zufall. Deshalb gewinne bei Tippgemeinschaften auch nicht der notorische Kenner, sondern oft der unwissende Laie.
Ein Kooperationsprojekt der Sporthochschule Köln und der Fachstelle Suchtprävention der Drogenhilfe Köln, beauftragt und finanziert vom NRW-Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales, hat ein neues Präventionspaket entwickelt. Die Drogenhilfe Köln würde sich wünschen, dass mit Unterstützung des Landes an Schulen, Vereinen und Berufskollegs speziell junge Menschen aufgeklärt werden. „Wir würden uns auch wünschen, dass sich das Kölner Jugend- und Gesundheitsamt dafür engagiert.“
Das befürwortet auch Knechtmann, der selbst von der Werbung geködert wurde. „Bis zuletzt habe ich an Millionengewinne geglaubt“, sagt er, „obwohl ich Rechnungen hätte bezahlen müssen.“ Während der neun Jahre Wettsucht, arbeitete der Familienvater als Betriebswirt weiter. Das Geld reichte trotzdem nicht. „Irgendwann fühlte sich das Spiel wie eine zweite Arbeitsstelle an, aber Spaß machte es trotzdem, das war umso gefährlicher.“ Hobbys und Freizeit hat er vernachlässigt. Mit Lügen hielt er das Familienleben am Laufen. „Ich hab’ die übelsten Ausreden erfunden“, sagt Knechtmann. Er lebte in zunehmender Isolation, am Computer, auf der Jagd nach dem Gewinn.
Automaten, Casino und Internet
Wolfgang Kursawe hat Online-Sportwetten über Jahre hinweg beobachtet. Knechtmanns Weg ist klassisch: Junge erwachsene Glücksspieler wetten häufig zunächst auf Sport, insbesondere Fußball. Oft sogar vor dem 18. Lebensjahr. Dann kommt es bei Glücksspielsüchtigen auch zu Verlagerungen, das heißt, die pathologischen Glücksspieler nutzen verschiedene Angebote – Automaten, Casino oder das Internet – parallel oder phasenweise. Durch eine zunehmende Verfügbarkeit von Glücksspielangeboten praktisch rund um die Uhr erhöht sich die Gefährdung für Glücksspielsüchtige.
Umso wichtiger ist die Prävention. Kinder, Jugendliche und Erwachsene sollen über die Nachteile des Glücksspiels umfassend aufgeklärt, die Suchtgefahr des Glücksspiels veranschaulicht werden. Die Abwärtsspirale soll gar nicht erst beginnen. Kursawe und Hambüchen haben allerdings wenig Anlass zur Zuversicht. Die Stadt Köln erhält von der wachsenden Zahl von Spielstätten und Wettbüros im Jahr rund 15 Millionen Euro Glückspielsteuer. 70000 Euro Hilfe spendiert die Stadt dagegen für die Betreuung Suchtkranker und für die Präventionsarbeit.
„Ich war und bin krank“, resümiert Knechtmann heute. „Ich hatte Schmerzen, üble Gedanken. Und doch zog ich mich an den Gewinnen hoch, man motiviert sich selbst.“ Doch als seine Frau nicht mehr mit Karte zahlen konnte, weil das gesamte Geld weg war, stellte sie ihn zur Rede. Nach neun Jahren in der Abwärtsspirale legte er die Karten auf den Tisch. Buchstäblich. EC- und Kreditkarten, überzogen und gesperrt, ausgebreitet auf dem Esstisch. Plastiksymbole des Suchtabgrunds. Seine Frau und seine drei Kinder intervenierten, brachten ihn in die Therapie. „Das hat mir sehr geholfen und hilft mir immer noch. Ohne sie wäre ich wohl zugrunde gegangen.“
Fußball guckt er immer noch, Knechtmann ist großer Fan des 1. FC Köln. Die Wette lässt er ruhen. „Doch die Werbung ist so präsent, dass es schwerfällt, nicht daran zu denken“, sagt er. In Spielpausen, auf Banden, als Trikotsponsor, die Werbung für das schnelle Geld ist überall. Er hofft, dass die Reklame nicht noch weitere Menschen in die Sucht zieht. Denn bis er völlig vom krankhaften Spielen geheilt ist, wird es noch ein langer Weg sein.