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„Ein Witz“Heidi Reichinnek geht bei „Hart aber fair“ auf CDU-Politiker los

Lesezeit 5 Minuten
Linken-Fraktionsvorsitzende Heidi Reichinnek schoss bei „Hart aber fair“ vehement gegen CDU-Politiker Tilman Kuban. (Bild: WDR/Oliver Ziebe)

Linken-Fraktionsvorsitzende Heidi Reichinnek schoss bei „Hart aber fair“ vehement gegen CDU-Politiker Tilman Kuban. (Bild: WDR/Oliver Ziebe)

Union und SPD wollen das Bürgergeld reformieren und Sanktionen gegen Totalverweigerer verschärfen: Bei der Frage „Ist das gerecht?“ prallen bei „Hart aber fair“ die Realitäten aus Politik und Praxis aufeinander.

Die Koalitionsverhandlungen gehen in die nächste Runde: Im Visier stehen dabei die rund fünfeinhalb Millionen Bürgergeldbezieher, die mit einem Regelsatz von aktuell 563 Euro pro Monat plus Miete ihr Auskommen finden müssen. Oder vielmehr jene Gruppe, die zwar erwerbsfähig wäre, aber Jobangebote, Ausbildungsplätze und andere Maßnahmen verweigere. Auf diese Unterscheidung legte CDU-Bundestagsabgeordneter Tilman Kuban gleich zu Beginn der Talk-Show „Hart aber fair“ zum Thema „Mehr Härte beim Bürgergeld - ist das gerecht?“ wert, denn: „Der Sozialstaat kann nur für die da sein, die gerade nicht können, aber nicht für die, die gerade nicht wollen“, argumentierte er für „knallharte“ Maßnahmen. Gerade einmal 18.000 solcher Totalverweigerer registrierte die Bundesagentur für Arbeit bis letzten November.

Eine Zahl, die Linken-Fraktionsvorsitzende Heidi Reichinnek nur belächeln konnte: Da gingen dem Staat pro Jahr 100 Milliarden durch Steuerflucht und Steuerschlupflöcher verloren, behauptete die Abgeordnete, aber nur 60 Millionen durch Bürgergeldbetrug. „Ich wüsste ja, mit welcher Zahl ich mich intensiv beschäftigen würde, wenn ich eine Koalitionsverhandlung führen würde“, meinte sie schnippisch Richtung CDU. Doch die würde lieber nach unten treten, statt nach oben zu schauen.

Kuban ging auf die Provokation ein: „Es geht doch nicht um die Frage des Geldes, sondern ob die Leute das Gefühl haben, es geht fair und gerecht zu.“ Man könne schließlich niemandem, der morgens aufsteht und für ein geringes Einkommen arbeiten geht, erklären, warum sein Nachbar zu Hause bleiben und mit Bürgergeld genauso viel verdienen würde.

CDU-Bundestagsabgeordneter Tilman Kuban forderte in Bezug auf das Bürgergeld „knallharte Maßnahmen“. (Bild: WDR/Oliver Ziebe)

CDU-Bundestagsabgeordneter Tilman Kuban forderte in Bezug auf das Bürgergeld „knallharte Maßnahmen“. (Bild: WDR/Oliver Ziebe)

Generell müsse jede Straftat verfolgt werden, doch vom Rechtsstaat verstehe die Linke nichts. „Man dürfe nicht Frösche fragen, wie man einen Sumpf trockenlegt“, attackierte er, doch Reichinnek schoss mit einem Redeschwall zurück: „Deine Kommunikation ist auf jeden Fall ein Witz“, schimpfte sie unter anderem. Moderator Louis Klamroth hatte sichtlich seine Müh und Not, die beiden Streithähne wieder einzufangen. Und selbst die Linkspolitikerin war zum Schluss dann doch etwas sprachlos: „Was soll ich darauf eingehen? Er hat sonst nichts zu bieten.“

Anna Mayr (“Die Zeit“): „Mein Gefühl ist, dass die SPD versucht hat, die Union hinters Licht zu führen“

Inhaltliche Kritik am Leistungsentzug für Totalverweigerer, wie es im Sondierungspapier von CDU/CSU und SPD steht, kam aber auch von anderer Stelle. Härtere Sanktionen wären nur für Leute, die arbeiten und ein Ungerechtigkeitsgefühl hätten, sah Anna Mayr (Journalistin von „Die Zeit“) darin ebenfalls wenig Sinn.

Neu wäre der Entzug des Bürgergelds nicht. Eine Streichung aller staatlichen Leistungen hingegen wäre nur dann möglich, wenn der vom Jobcenter angebotene Job tatsächlich das Leben des Betroffenen und das seiner Kinder ausfinanzieren würde. Ein so hohes Bruttogehalt wäre für ungelernte Leute, die den Großteil dieser Gruppe ausmachen, unwahrscheinlich. Außerdem wäre es nicht nur unklar, was „wiederholt“ bedeute oder wie die schon jetzt überforderten Jobcenter zusätzlich noch potenzielle Verweigerer kontrollieren sollen. „Mein Gefühl ist, dass die SPD versucht hat, die Union hinters Licht zu führen“, lautete ihr Fazit.

Davon wollte Andreas Bovenschulte (SPD-Bürgermeister und Präsident des Senats der Freien Hansestadt Bremen) zwar nichts wissen, klang aber um einiges anders als sein Verhandlungspartner von der CDU. Auf „schwarze Pädagogik allein“ wollte er sich nicht verlassen, vielmehr läge der Schwerpunkt darauf, die 1.8 Millionen arbeitslose Bürgergeld-Bezieher in die Arbeit zu bekommen: „Denn es gibt hunderttausende Menschen, die sich nichts sehnlicher wünschen als einen Job.“

Louis Klamroth diskutierte bei „Hart aber fair“ mit seinen Gästen über das Bürgergeld. (Bild: WDR/Oliver Ziebe)

Louis Klamroth diskutierte bei „Hart aber fair“ mit seinen Gästen über das Bürgergeld. (Bild: WDR/Oliver Ziebe)

„Das stimmt nicht“, ging der Widerspruch von Unternehmerin Isabel Grupp-Kofler von der Kunststoff-Firma Plastro Mayer GmbH fast im Applaus unter. So ein Meinungsbild könne nur zustande kommen, wenn man nicht in der Praxis wäre. „Ich komme aus der Welt der Arbeitenden“, holte sie aus. Eine Aussage, die gleich von Bovenschulte (“Da kommen wir alle her“) und Reichinnek (“Das mag Sie überraschen“ und „ich komme aus dem echten Leben“) sarkastisch kommentiert wurde.

Die Unternehmerin ließ sich aber nicht aufhalten: Die Realität wäre, Menschen würden im Vorstellungsgespräch sagen: „Wissen Sie was, ich brauche nur eine Unterschrift, um Geld zu bekommen und weg sind sie. Sie rauben uns Zeit (...), um Bürgergeld zu bekommen“, schilderte sie ihre Erfahrungen und hatte eine weitere Vermutung: „Und dann gehen sie in Schwarzarbeit.“ Mayr schlug ein anderes Szenario vor: „Oder suchen sich einen anderen Job ...“

Sasa Zatata: „In der Öffentlichkeit wird suggeriert, dass der kleine Prozentsatz die Mehrheit ist“

Vor dieser Wahl steht Sasa Zatata nicht. Wegen einer schweren Autoimmunerkrankung bezieht die heute 39-Jährige seit 2018 eine Erwerbsminderungsrente, die sie mit Bürgergeld aufstockt. Davon zu leben, das gelingt der gelernten Industriekauffrau und ihrer Familie nur „mit enorm viel Organisationsgeschick und Disziplin“. Ersparnisse anzulegen, um etwa eine kaputte Waschmaschine reparieren zu lassen, davon kann Zatata nur träumen.

Umso wütender machen sie „absurde Diskussionen“, die sie als „unfassbar polemisch“ wahrnahm - nicht nur im Wahlkampf: „Wie auch heute wird die ganze Zeit über einen kleinen Prozentsatz gesprochen und in der Öffentlichkeit suggeriert, dass der kleine Prozentsatz die Mehrheit ist“, nahm sie bei „Hart aber fair“ Medien und Politik in die Verantwortung für den „zunehmenden Hass auf Sozialleistungsbeziehende“. Doch es gehe nicht um Totalverweigerer. In der Gruppe, „da stecke ich auch drin mit meiner Familie, wie auch die alleinerziehende Mutti, die keinen Betreuungsplatz bekommt“. Diese wäre zwar erwerbsfähig, könnte dem Arbeitsmarkt aber nicht so zur Verfügung stehen, wie sie es wollte.

Tobias Exner (Bäckermeister): „Und in vier Jahren sitzen wir wieder hier und reden über 17 bis 20 Euro Mindestlohn“

Diskutiert wurde zudem eine Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Euro - und auch hier zeigte sich zwischen den potenziellen Koalitionspartnern Gesprächsbedarf: Während sich Bovenschulte von der SPD klar für die Anhebung starkmachte, zeigte sich Kuban weniger euphorisch. Letzten Endes wäre es aber keine Entscheidung der Politik, sondern bedürfe einer Einigung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern.

Bäckermeister Tobias Exner gehört zur ersten Gruppe und warnte: Würde der Mindestlohn steigen, würden auch andere Lohngruppen mehr Geld bekommen wollen. „Wenn der Geselle 15.15 Euro verdient, und jemand ungelernt 15 Euro bekommt, dann sagt der sich: Ich hätte keine Ausbildung machen müssen“, verwies er auf seine Erfahrung mit Jugendlichen, die bereits jetzt diese Einstellung hätten. Auswirkungen hätte der Anstieg aber nicht nur auf Gehälter seiner eigenen Angestellten; auch mit steigenden Preisen bei Dienstleistern und Rohstofflieferanten wäre zu rechnen. Er unkte: „Und in vier Jahren sitzen wir wieder hier und reden über 17 bis 20 Euro Mindestlohn.“ (tsch)