Der ehemalige Bundesfinanzminister Christian Lindner schildert im ARD-Interview mit Sandra Maischberger, wer für das Ende der Ampelkoalition verantwortlich ist.
„Das Land fühlt sich befreit“Maischberger nimmt Lindner in die Mangel – doch der bleibt cool
Er habe einen Fehler gemacht, sagt der ehemalige Bundesfinanzminister Christian Lindner von der FDP am Mittwochabend in der ARD. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im vergangenen Jahr hätte er sich stärker für einen neuen Koalitionsvertrag einsetzen müssen. Das Bundesverfassungsgericht hatte einen Nachtragshaushalt aus dem Jahr 2021 für nichtig erklärt. Dadurch war im Haushalt eine Finanzlücke von 60 Milliarden Euro entstanden.
Doch am Ende der Ampelregierung am Mittwoch vergangener Woche trägt Lindner keine Schuld, sagt er im Gespräch mit Sandra Maischberger. „Ich wurde entlassen.“ Das habe er inzwischen verdaut. „Ich fühle mich eher befreit, jetzt auch viel offener sagen zu können, was ich für das Land für richtig und für erforderlich halte“, sagt Lindner. „Ich habe das Gefühl, dass auch das Land selbst sich befreit fühlt, dass es jetzt bald eine Richtungsentscheidung gibt, die die Bürgerinnen und Bürger treffen können.“
Christian Lindner hat sich „gegen das Amt und für die Überzeugung“ entschieden
Er habe seit Monaten Gespräche geführt mit Menschen, die Angst um ihren Job hätten, mit Managern, die von Auftragseinbrüchen bedroht seien und mit Wirtschaftsführern, die an die Regierung appelliert hätten, für die Wettbewerbsfähigkeit mehr zu tun. Er habe über die Limits Bescheid gewusst, die seine Koalition gesetzt habe. Das sei inzwischen von ihm abgefallen, sagt Lindner.
Tatsächlich macht Lindner am Mittwochabend einen ruhigen und gelassenen Eindruck, obwohl ihm Moderatorin Sandra Maischberger nach Kräften zusetzt. Lindner gibt sich alle Mühe, cool zu sein. „Auf der einen Seite wäre es möglich gewesen, weiterzusprechen und eine Einigung zu suchen. Dazu kam es nicht, obwohl Vorschläge auf dem Tisch lagen.“ Der Bundeskanzler habe von Lindner gefordert, die Schuldenbremse aufzugeben oder entlassen zu werden. „In dem Fall entscheide ich mich gegen das Amt und für die Überzeugung“, so der FDP-Chef.
Ja, er habe ein 18 Seiten umfassendes Positionspapier vorgelegt. Damit habe er niemanden unter Druck setzen wollen. Er habe Vorschläge gemacht, genau wie Wirtschaftsminister Habeck oder der Bundeskanzler selbst. Doch deren Vorschläge seien nicht erfolgversprechend gewesen. Seine schon. Dann habe er drei Tage vor dem Ampel-Aus ein Gespräch mit dem Kanzler gehabt, so Lindner.
Dabei habe er zwei Möglichkeiten aufgezeigt: „Die eine Option ist, wir einigen uns auf einen Haushalt und auf ein gemeinsames Programm, unser Land wieder wirtschaftlich zum Erfolg zu führen“, erklärt Lindner. Die Unterschiede seien jedoch „sehr offensichtlich“ gewesen, „von der Schuldenbremse über Fragen der Bürokratie, Mobilisierung des Arbeitsmarktes, Reformen des Bürgergeldes, mehr Kontrollen bei der Einwanderung“. Lindners Vorschlag: „Für den Fall, dass wir uns nicht einigen, hätte ich jedenfalls besser gefunden, gemeinsam zu sagen, unsere politischen Positionen sind nicht mehr vereinbar, und deshalb endet die Zusammenarbeit, und wir gehen gemeinsam vor den Souverän, also die Bürgerinnen und Bürger.“
„Ich habe das Gefühl, ich bin am Anfang meiner Karriere“
Dann hätte man respektvoller mit der politischen Kultur des Landes umgehen können, und es hätte eine Bundestagsmehrheit einer Geschäftsführenden Regierung gegeben. Dann hätte man zum Beispiel die kalte Progression im nächsten Jahr abwenden können, es hätte eine Mehrheit für den Schutz des Bundesverfassungsgerichts gegeben. „Ich glaube, dieser Weg wäre besser gewesen als das jetzt“, sagt Lindner.
„Ich bin der Überzeugung, wir brauchen jetzt einen echten Agenda-Moment, wo wir dieses Land erneuern und wieder einen Kurs setzen auf wirtschaftliche Prosperität, uns wieder mehr Eigenverantwortung zutrauen, vielleicht ein Stück mehr Pragmatismus und ein Stück mehr Realpolitik“, so Lindner.
Was Lindner nach den Wahlen machen will, verrät er noch nicht. „Ich habe das Gefühl, ich bin am Anfang meiner Karriere“, sagt er. „Ich möchte gerne daran mitwirken, dass wir die großen Herausforderungen bewältigen, die wir jetzt vor uns haben. Darum mache ich meiner Partei das Angebot, sie wieder in den nächsten Wahlkampf zu führen, mit dem klaren Ziel, das unser Land einen Politikwechsel bekommt, den wir jetzt in der Ampel nicht haben organisieren können. Jetzt kämpfen wir für eine neue Mehrheit und für eine andere Politik.“
Ob dieser Kampf am Ende von Erfolg gekrönt sein wird, ist nicht klar. Aktuelle Umfragen sagen voraus, dass die FDP bei den Neuwahlen im Februar an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern könnte. Das könnte das Ende der politischen Laufbahn des Ex-Ministers bedeuten. (tsch)