Der FDP-Chef steht nach dem Bruch der Regierungskoalition in der Kritik. Die Wortmeldungen kommen dabei von unterschiedlichen Seiten.
Geschasster Minister„Vorsintflutlich“, „Eigenprofilierung“ – Kohl und Wissing rechnen mit Lindner ab
Nach dem Aus der Ampel hat sich FDP-Chef Christian Lindner für eine Rückkehr in sein Amt als Finanzminister ins Spiel gebracht, sollte die Union stärkste Kraft und Friedrich Merz Bundeskanzler werden. Voraussetzung wäre natürlich, dass die FDP es bei den Neuwahlen am 23. Februar überhaupt wieder in den Bundestag schafft. Danach sieht es jüngsten Umfragen zufolge allerdings kaum aus, denn die Liberalen liegen bei 4 Prozent.
Dies tut Lindners Selbstbewusstsein allerdings keinen Abbruch. So sagte der von Kanzler Olaf Scholz (SPD) am Mittwoch (6. November) geschasste Minister bereits einen Tag später im ZDF: „Das Ziel ist nicht Opposition“. Er wolle seinen „Beitrag dazu leisten, dass unser Land wieder wirtschaftlich erfolgreich wird“, so der 45-Jährige. Auch CDU-Chef Merz stellte Lindner eine Rückkehroption in Aussicht. „Das ist dann realistisch, wenn die FDP so stark ist, dass sie wieder Regierungsfraktion wird“, sagte Merz einige Tage später auf einer Pressekonferenz.
Ob es dazu allerdings wirklich kommt, ist derzeit im Bereich der Spekulation. Seine Politik der harten Schuldenbremse, die letztlich zum Bruch der Regierungskoalition führte, wird nicht nur von SPD und Grünen kritisch gesehen. Auch Ökonomen und Finanzexperten weisen seit Monaten oder sogar Jahren darauf hin, dass Deutschland in der derzeitigen Krisensituation Investitionen statt eines Sparkurses brauche.
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Anja Kohl: Christan Lindners Politik ist „vorsintflutlich“
In der ARD-Sendung „Maischberger“ äußerte sich die ARD-Börsenexpertin Anja Kohl ebenfalls sehr kritisch über Lindner und seine Finanzpolitik. Zu dem von Merz in Aussicht gestellten Comeback sagte Kohl: „Es hat einmal nicht funktioniert, warum soll es das nächste Mal funktionieren“. Lindner habe die deutsche Regierung gecrasht und die Wirtschaft sei „schwer verletzt“.
Kohl verwies zudem auf Äußerungen von zwei renommierten Ökonomen, die bereits 2021 davor gewarnt hatten, Lindner zum Finanzminister zu machen. Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz und Adam Tooze von der Columbia University in New York hatten in einem Beitrag für die „Zeit“ geschrieben, Lindners Politik sei eine „Anhäufung konservativer Klischees“, die der Ära der Neunzigerjahre entstamme.
Auch Kohl zitiert Stiglitz und Tooze, sie hätten Lindner „vorsintflutliche“ Ansichten attestiert. Ihre Vorhersagen seien sehr präzise eingetreten. Zeitgemäß seien große Investitionen der öffentlichen Hand statt hart zu sparen, hatten die Ökonomen vor drei Jahren gefordert – und dies noch vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine.
Volker Wissing übt harte Kritik an Christian Lindner
Lindner wird zudem vorgeworfen, parteipolitische Machtspiele in den Vordergrund vor seinen Verpflichtungen als Minister gestellt und so lange gezündelt zu haben, bis ein Rauswurf durch Scholz die logische Folge war. Diese Kritik kommt auch von ehemaligen Weggefährten. Bundesverkehrsminister Volker Wissing, seit vergangener Woche ehemaliges FDP-Mitglied, rechnet nun auch mit Lindner ab. Klar wird, dass es schon lange zwischen dem Finanz- und dem Verkehrsminister gekriselt haben muss, nicht erst seit dem Paukenschlag rund um Wissing, der auf Lindners Rauswurf folgte.
Wissing, ein Fan der Ampel-Regierung, hat sich nun ausführlich in einem Interview mit der „Zeit“ geäußert. Es gebe immer ein Spannungsverhältnis zwischen der Gestaltungsmöglichkeit in einer Regierungskoalition und der Eigenprofilierung der Partei, so Wissing, der zuvor in Rheinland-Pfalz Mitglied einer funktionierenden Ampel-Koalition war. „Im Bund stand ab einem gewissen Zeitpunkt hingegen vornehmlich Eigenprofilierung im Vordergrund“, sagte Wissing – und es ist klar, dass er von Lindner spricht.
Wissing: Kein klärendes Gespräch mit Lindner
Ein „gefundener Kompromiss“ sei regelmäßig sofort wieder infrage gestellt worden. Politiker müssten sich die Frage stellen „Geht es mir um die Sache oder um die Außenwirkung?“, sagt der 54-Jährige. Ein klärendes Gespräch mit seinem ehemaligen Parteichef Lindner gab es Wissing zufolge bislang nicht.
Beim Wirtschaftsgipfel der „Süddeutschen Zeitung“ hatte Wissing berichtet, dass er keine einfachen Tage hinter sich habe. „Ich habe vor einer schwierigen Entscheidung gestanden“, sagte Wissing. „Ich musste mich entscheiden zwischen der Verantwortung, die ich für das Land übernommen habe und meiner Parteimitgliedschaft, weil das an der Stelle nicht vereinbart war.“
Er habe am Abend, als die Ampel gescheitert war, auch physisch gelitten. „Wenn man gezwungen wird, eine Entscheidung zu treffen, das Land oder die Partei, dann muss man eine eigene innere Haltung haben.“ Er sei der Meinung, dass die Regierung nicht hätte scheitern müssen und dürfen, erklärte Wissing. (mit dpa)