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„Research Chemicals“Stärker als Heroin – BKA warnt vor neuen Drogen

Lesezeit 4 Minuten
Ein Feststoff liegt auf einer blauen Unterlage neben einem Kunststoff-Tütchen (gestellte Szene)

Ein Feststoff liegt auf einer blauen Unterlage neben einem Kunststoff-Tütchen (gestellte Szene)

Mit sogenannten Forschungschemikalien werden immer mehr Todesfälle in Verbindung gebracht. Noch erscheint das Problem klein. Doch das könnte sich bald ändern.

Ein 19-Jähriger in Hessen, ein 17-Jähriger in Bayern und viele weitere Fälle im Bundesgebiet: Seit einigen Monaten werden vermehrt Todesfälle mit sogenannten Forschungschemikalien in Verbindung gebracht. Allein in Bayern berichtete das Landeskriminalamt Anfang Februar von mindestens sieben Fällen binnen eines halben Jahres. Zuletzt seien weitere Tote hinzugekommen, sagte eine Sprecherin, ohne eine Zahl zu nennen. Die Behörden sind alarmiert, in einigen Bundesländern werden drastische Warnungen veröffentlicht. Worum geht es genau?

Was sind Forschungschemikalien?

Es handelt sich um ganz verschiedene synthetische Stoffe mit psychoaktiver Wirkung, die als Rauschmittel missbraucht werden. Sie werden auch als „Research Chemicals“ bezeichnet und können oft einfach in Onlineshops gekauft werden.

Laut Bundeskriminalamt (BKA) ist die Bezeichnung irreführend. Hauptsächlich gehe es den Herstellern darum, über die hochpotenten Wirkstoffe hinwegzutäuschen und eine Haftung auszuschließen. Ähnliches gilt für Kräutermischungen, die als Ersatz für Cannabisprodukte gelten, sowie sogenanntes Badesalz, das ähnlich wie Kokain oder Amphetamine wirkt. Sie alle gelten als neue psychoaktive Stoffe.

Welche Stoffe machen aktuell die größten Sorgen?

Was genau aktuell zu Vergiftungen führt, ist bisher nicht abschließend klar. Die EU-Drogenagentur EUDA beobachtet inzwischen über 1.000 neue psychoaktive Stoffe. „Das ist ein klassisches Problem des Schwarzmarkts: Es sind viel mehr Stoffe im Umlauf als analysiert werden können“, sagt Esther Neumeier von der Deutschen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht. Bei vielen aktuellen Vergiftungsfällen fehlten zudem toxikologische Gutachten.

Klar sei aber, dass die Gruppe der Nitazene beteiligt sei, so Neumeier. Das seien neue synthetische Opioide, von denen viele hochpotent seien und stärker wirkten als Heroin. Und die Stoffgruppe ist im Kommen: Unter den 2024 EU-weit knapp 50 neu gemeldeten Substanzen waren laut EUDA etwa die Hälfte Nitazene. Die andere Hälfte waren synthetische Cannabinoide. Aus BKA-Sicht hat sich das Problem im vergangenen Jahr verstärkt, da insbesondere gefährliche synthetische Opioide in Umlauf gekommen seien.

Wer konsumiert das?

Laut einem Bericht des Instituts für Therapieforschung in München sind die Konsumenten von Nitazenen eine eher kleine Gruppe junger, sehr experimentierfreudiger Menschen, die die Substanzen online bestellen. Auch das BKA berichtet von Konsumierenden mit „einschlägigem Erfahrungshorizont“. Nach Daten des Bundesdrogenbeauftragten konsumierten zuletzt etwa 1,3 Prozent der Erwachsenen bis 59 Jahre und 0,1 Prozent der Jugendlichen zwischen 12 und 17 Jahren neue psychoaktive Stoffe.

Hinzu komme, dass Nitazene teils auch gefälschten Medikamenten zugesetzt würden, erzählt Neumeier. Die würden von jüngeren Menschen, aber teils auch von Menschen mit hochriskantem Drogenkonsum genommen. „Darüber hinaus hatten wir aus Deutschland die erste Meldung von Heroin, das mit Nitazenen versetzt wurde, aus Bremen.“

Was macht sie so gefährlich?

Generell können neue psychoaktive Substanzen laut BKA zu Atem- oder Kreislaufstillstand, Vergiftungen der inneren Organe oder neurologischen Schäden führen. Bei den hochpotenten synthetischen Opioiden wie Nitazenen warnen Experten vor der Gefahr einer Überdosierung. „Die wirksame Dosis ist nicht weit entfernt von der tödlichen Dosis“, sagt Bernd Werse vom Institut für Suchtforschung in Frankfurt. Bei einer Überdosis mit Opioiden versagt die Atmung, die Menschen sterben an einem Atemstillstand.

Zudem sei oft nicht klar, was genau in den Packungen ist, mahnen Experten. Auch mögliche Wechselwirkungen mit anderen Stoffen seien ein Risiko. Bei den Todesfällen in Bayern berichtet das Landeskriminalamt von unterschiedlichen Ursachen für den Tod, ohne genauer darauf einzugehen. In vielen Fällen sei davon auszugehen, dass auch andere Betäubungsmittel, Arzneien oder chemische Substanzen eine Rolle spielten.

Wie schlimm ist es im Vergleich zu anderen Drogen?

Auf dem Papier erscheint das Problem derzeit eher überschaubar. Unter den bundesweit 2.227 Drogentoten im Jahr 2023 spielten bei 90 Menschen neue psychoaktive Stoffe eine Rolle. Synthetische Cannabinoide waren dabei öfter involviert als synthetische Opioide. Zum Vergleich: Allein an den Folgen von Tabak- und Nikotinkonsum sterben nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums jährlich etwa 127.000 Menschen.

Aber gerade bei synthetischen Opioiden gibt es nach Einschätzung von Werse Sorgen, dass das Thema größer werden könnte. Derzeit sitze man „wie das Kaninchen vor der Schlange“: Seit in Afghanistan die Taliban wieder an der Macht seien, werde vor einer Heroin-Knappheit gewarnt. Künstlich hergestellte Stoffe könnten als Ersatz dienen. In den USA etwa steckt das synthetische Opioid Fentanyl hinter zehntausenden Todesfällen. „Es gibt die Befürchtung, dass das in ähnlicher Form bei uns ankommen könnte.“

Wie wirksam wird die Entwicklung bekämpft?

Zum einen versuchen es Behörden mit Informationskampagnen - das BKA etwa mit der Social-Media-Kampagne „#gefährlichbunt“. Um Cannabinoide, Badesalz oder „Research Chemicals“ zurückzudrängen, gibt es in Deutschland außerdem seit 2016 das Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz (NpSG). Der Clou: Anders als beim Betäubungsmittelgesetz können seither nicht nur Einzelstoffe, sondern ganze Stoffgruppen verboten werden. Das Gesetz wird seither immer wieder angepasst und präzisiert, zuletzt im Juni 2024.

Allerdings ist die Wirksamkeit des Gesetzes umstritten. „Es war immer schnell so, dass alternative Stoffe, die nicht diesen definierten Stoffklassen entsprechen, auf den Markt kamen“, sagt Werse. Auch das BKA beobachtet, dass einige der derzeit vertriebenen Stoffe die aktuellen Bestimmungen im NpSG umgehen.

Der UN-Drogenkontrollrat INCB nannte synthetische Drogen zuletzt ein „drängendes Problem, für das Kontrollbehörden, die Strafverfolgung und das öffentliche Gesundheitswesen weitgehend unvorbereitet sind“. In Europa gelte das etwa für Nitazene. (dpa)