Geplante EskalationPolizist von Corona-Leugner schwer verletzt
Troisdorf/Bonn – Die Bundesrepublik Deutschland sei kein Staat sondern ein „Handelsunternehmen“, dessen Institutionen er nicht anerkenne. In absurden Schreiben und Anträgen versucht er, seine krude Weltsicht auch den Behörden zu vermitteln. Anhand von exklusiven Unterlagen und Aussagen von Insidern zeichnet der „Kölner Stadt-Anzeiger“ das Bild eines Mannes nach, den der Staatsschutz als Reichsbürger einstuft. Und der wohl typisch ist für jene Szene, die immer lauter und bedrohlicher wirkt – und die auch vor Gewalt nicht zurückschreckt.
Wieso auch nicht? Eine halbe Million Euro will Nikolay C. als Entschädigung, zahlbar in den nächsten 30 Tagen. Damit aber noch nicht genug. Alle Beamten, die bei dem „Angriff“ auf ihn beteiligt gewesen wären, müssten „umgehend“ entlassen werden. Und eine öffentliche Entschuldigung der Behörden, die sei natürlich längst überfällig, schreibt der 35-jährige Bulgare, der in Deutschland lebt.Nikolay C. ist einer der beiden Männer, die sich am 9. Mai vergangenen Jahres geweigert hatten, in einer Troisdorfer Kaufland-Filiale eine Maske anzuziehen. Sie legten sich mit zwei Polizeibeamten an, weigerten sich, die Filiale zu verlassen. Es kam zu einer Schlägerei, bei der einer der Polizisten einen Rippen- und Nasenbeinbruch erlitt.
Das Video der Schlägerei wurde ins Internet gestellt
Der Fall sorgte bundesweit für Schlagzeilen. Nicht nur, dass erste Corona-Leugner seinerzeit zu Protesten gegen den Lockdown auf die Straße gingen. Zum ersten Mal attackierten Schutzmasken-Gegner die Ordnungsmacht in einer derart brutalen Gangart, filmten die Ereignisse und stellten sie in Auszügen ins Internet – unter anderem landete das Video bei Youtube.
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Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft Bonn war die Aktion ein Hinterhalt. Die beiden Männer, unterstützt von der Schwester von Nikolay C., hätten die Eskalation provoziert, um Aufnahmen in „sinnentstellender und kompromittierender Weise“ zusammenzuschneiden und zu veröffentlichen. So soll die Angeklagte ihrem Bruder am Tag vor dem Gewaltexzess im Supermarkt geschrieben haben, dass man sich darauf vorbereite, „in den Krieg zu ziehen. Und wir haben beschlossen, Dich mitzunehmen“. Dies ist Unterlagen zu entnehmen, die dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegen.
Weitere Ermittlungen gegen die Angeklagten
Das Trio muss sich demnächst wegen Körperverletzung und Widerstandes gegen die Staatsgewalt vor dem Bonner Landgericht verantworten. Gegen Nikolay C. wurde zudem ein Ermittlungsverfahren wegen Fahrens ohne Führerschein eingeleitet. Außerdem soll er Tage nach dem Vorfall einen Mitarbeiter aus dem Supermarkt abgepasst und bedroht haben,
Wie zu erfahren war, ist ihm der Erwerb von Waffen und Munition mit einer Verfügung vom August 2020 verboten worden. Gegen seinen Komplizen bei der Schlägerei mit den Polizisten wird noch wegen Trunkenheit im Verkehr und des Verdachts des Rauschgifthandels ermittelt.
Beschuldigte wollten keinen Rechtsanwalt
Nicolay C. und seine Lebensgefährtin, die die Auseinandersetzung im Troisdorfer Supermarkt filmte und sich an der Schlägerei beteiligt haben soll, weigerten sich nach der Auseinandersetzung, einen gerichtlich beigeordneten Pflichtverteidiger zu akzeptieren. Das Paar überhäufte die Justiz mit Einsprüchen.
Letztlich entschied das Oberlandesgericht Köln, dass die Anwälte Martin Kretschmer und Martin Mörsdorf zu Recht beigeordnet wurden. Letzterer stellt sich auf ein schwieriges Mandat ein: „Wir werden sehen, wie sich die Hauptverhandlung entwickelt“, sagte Mörsdorf. (xl, det)
Die Motivsuche für den Angriff im Supermarkt führte die Ermittler in zwei unterschiedliche radikale Milieus, die teils auch zusammenwirken: In den Bereich der russischer Staatspropaganda sowie zu den sogenannten Reichsbürgern. So nutzten nach dem Übergriff auch russische Blogger den Supermarkt-Clip, um via Youtube gegen angebliche deutsche Polizeigewalt und die Corona-Auflagen zu hetzen. Das passte ins Bild: Ende April 2020 warnte die EU bereits vor einer Fake-News-Flut durch teils staatlich gelenkte russische Medien über Twitter & Co., um Stimmung gegen die europäische Staatengemeinschaft zu machen.
Gesetze und Behörden werden nicht anerkannt
Nach Einschätzung des Bonner Staatsschutzes jedenfalls ist Nikolay C. eindeutig „dem Reichsbürgerspektrum zuzuordnen und staatsfeindlich eingestellt“. Reichsbürger wünschen sich das Kaiserreich zurück. Die Sicherheitsbehörden rechnen bundesweit 19.000 Personen der Szene zu, darunter 950 Rechtsextremisten. Einige Gruppen berufen sich auf ein selbst definiertes „Naturrecht", andere auf das historische Deutsche Reich aus dem Jahr 1871.
Viele von ihnen halten den jetzigen Staat für ein Unternehmen. Gesetze und Behörden erkennen die Anhänger nicht an und weigern sich, Steuern zu zahlen. Teilweise wehren sie sich gewaltsam gegen behördliche Maßnahmen.
Absurde Anträge und Forderungen des Beschuldigten
Im Verlauf des Ermittlungsverfahrens habe C. zahlreiche Schreiben eingereicht, die der Reichsbürgerszene zuzuordnen sind, berichten Ermittler. „Bestätigen Sie, dass das Gericht kein Handelsunternehmen ist, sondern ein Vertreter eines souveränen Staates“, heißt es etwa in seiner Anfrage an das Amtsgericht Bonn. Die Vorgabe, eine Maske zu tragen, sei „strafbar und gesundheitsschädlich“, schreibt er an anderer Stelle. Immer wieder beruft er sich auf eine „Declaration of freedom“, ein etwa 40 Seiten langes Pamphlet, das wohl so etwas wie seine private Verfassung sein soll.
Die „Argumente“, mit denen er begründet, wieso die hiesigen Gesetze für ihn nicht gelten sollen, sind . Er beruft sich beispielsweise auf seine „Immunität aus der Autoritätsstruktur der Erde“, er sei „eine lebende Proklamation der Unabhängigkeit für die ewige Seele“. Seine Anträge und die Beschwerden gegen die Ermittler, in denen er gerne auch mal auf die Menschenrechte oder eine UN-Resolution verweist, enden meist mit der Formulierung: „Mit freundlichen Grüßen, lebender Mann, Mensch und Souverän mit meinem eigenen Namen - Gründer und Benefiziar (Begünstigter) der Person Nikolay C.“
Auch die Supermarkt-Mitarbeiter beschimpft
Aus seiner für Reichsbürger typischen Gesinnung und Rhetorik hat C. im vergangenen Jahr auch vor der Eskalation im Supermarkt keinen Hehl gemacht. Als ihn die Mitarbeiter des Marktes aufforderten, die Corona-Schutzregeln zu beachten, hat er sie Zeugenaussagen zufolge als „Marionetten des Staates“ bezeichnet und ergänzt, der „Chip von Bill Gates“ sei bald da.
Dann habe er drohend ein ungeöffnetes Klappmesser gezeigt, mit der Bemerkung, er werde es schon schaffen, ohne Maske im Laden zu bleiben. Den zu Hilfe gerufenen Polizisten entgegnete er den Ermittlungen zufolge unter anderem, er brauche keinen Personalausweis, er sei „ein Mensch und souverän“, oder: „Ich habe universelle Regeln, nicht wie Regeln von Merkel“.
Schwestes eines Beschuldigten filmte die Auseinandersetzung
Die Beamten, für ihn „zwei Personen der Handelsstruktur BRD“, will er nur deshalb attackiert haben, weil einer der beiden seine Lebensgefährtin Anna grundlos „am Hals gepackt und geschubst“ habe, sagte C. später aus.
Im Ermittlungsprotokoll jedoch liest sich das so: Die Frau hatte die Diskussion der Polzisten mit den beiden Corona-Leugnern gefilmt. Als einer der Beamten die 30-Jährige entdeckte, sie bat, das Filmen zu unterlassen und nach ihren Personalien fragte, habe die Frau ihren Einkaufswagen gegen sein Schienbein geschoben. Der Beamte habe kein Recht, nach ihren Personalien zu fragen, habe sie gerufen. Als der Polizist nach ihr griff, stürmten die beiden Verschwörungstheoretiker los und schlugen um sich.
Wüste Beschimpfungen der Polizisten im Internet
Die Knochenbrüche an Rippen und Nasenbein soll einer der Beamte erlitten haben, als die Frau seinen linken Arm festhielt und einer der Angreifer auf ihn eindrosch. Der Polizist musste mehrfach an der Nase operiert werden und war deshalb etwa zweieinhalb Monate dienstunfähig. Sein Kollege kam dem Vernehmen nach mit Prellungen im Gesicht davon.
Die geschädigten Beamten seien seit der Tat im Internet „massiven beleidigenden Kommentaren ausgesetzt“, so die Staatsanwaltschaft. Beispielsweise habe der Twitter-User „beobachter234" auf dem Profil der Polizei Rhein-Sieg-Kreis geschrieben: „Setzt die Qualifikationsschwelle um „Polizist" zu werden, auf 90 IQ nach oben.“ Der Twitter-User „Sabbelhase" habe ergänzt: „Elendes Pack".