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Neues Buch erscheint im OktoberWie Thomas Gottschalk sich als alter weißer Mann vermarktet

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ARCHIV - 13.04.2022, Nordrhein-Westfalen, Essen: Thomas Gottschalk, Moderator, steht bei der RTL-Oster-Produktion «Die Passion» auf dem Burgplatz auf der Bühne. (zu "Gottschalk: Junge Generation ist «so ängstlich auf Erfolg bedacht»") Foto: Rolf Vennenbernd/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Thomas Gottschalk bringt im Oktober ein neues Buch heraus und polarisiert vorher mit fragwürdigen Aussagen. (Archivfoto)

Thomas Gottschalks Aussagen empören. Über die gewollte Verwandlung eines Spaßmachers zum unangenehmen Onkel der Nation.

Früher war Thomas Gottschalk mal bekannt für eine schlagfertige Moderation, für Anzüge, die manche nur mit Sonnenbrille ertrugen, für eine Sendung, die zum TV‑Inventar der Bundesrepublik gehörte.

Heute, mit 74, gilt er als das personifizierte Gestrige, als Prototyp des alten weißen Mannes. Jüngst untermauerte er diese Rolle in einem „Spiegel“-Interview: „Ich habe Frauen im TV rein dienstlich angefasst“, sagte er dort, „wie ein Schauspieler, der im Film küsst, weil es im Drehbuch steht.“ Das lasse er sich nicht als „Attacke“ vorwerfen.

Um keine Zweifel an seiner Einstellung aufkommen zu lassen, legte er nach: „Ich betrete heute auch keinen Aufzug mehr, in dem nur eine Frau steht. Was mache ich, wenn sie im zweiten Stock rausrennt und ruft: ‚#MeToo, der hat mich angefasst!‘?“ Die Journalisten reagierten gefasst, stellen richtig, dass er auf diese Weise Übergriffe gegen Frauen kleinrede.

Gottschalk in der Defensive

Was hängen bleibt: Gottschalk in der Defensive, Gottschalk im Shitstorm der sozialen Medien. Spricht dort ein verbitterter Mann, ein „onkelig“ wirkender Gottschalk, wie der „Spiegel“ ihn nennt?

Das Interview liest sich vielmehr wie die endgültige Entfremdung des einst beliebtesten Showmasters von seinem ulkigen Thommy-Image. Fast jede Aussage darin ein Statement gegen den Zeitgeist. Doch Gottschalk, so wirkt es seit einiger Zeit, führt nicht nur einen verbissenen Abwehrkampf. Er geht in seiner neuen Rolle geradezu auf. Er scheint so einen Weg gefunden zu haben, vor der eigenen Bedeutungslosigkeit zu fliehen. Und gleichzeitig die Vorwürfe gegen ihn zu relativieren, er sei der Tätschelonkel der Nation.

„Dann sage ich lieber gar nichts mehr“

Vielleicht liegt darin, in dem zweifelhaften Ruf, der seit der „Wetten, dass..?“-Couch an ihm haftet, eine der Hauptursachen seines Wandels.

Die Belästigungsvorwürfe gibt es seit jeher, die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ schrieb etwa schon 2007, dass es nicht sein könne, „dass man sich nur als Freak verkleiden muss, um das Betatschen schöner Frauen vor zwölf Millionen Zuschauern als gesellschaftsfähiges Verhalten zu etablieren“.

Es sind ja nicht nur die Knie von Iris Berben, Steffi Graf oder den Spice Girls, die er berührte, er griff Sängerinnen wie Beyoncé auf Brusthöhe ans Kleid, hob den Knöchel von Catherine Zeta-Jones in die Luft, ließ sich Madonnas Bein über die Schulter legen.

Die Vorwürfe treffen ihn noch immer hart. Im gemeinsamen Podcast mit Mike Krüger sagte er im Februar, er sei genervt davon, als „Urvater der Toucherei“ zu gelten: „Ich war kein Toucher und ich will das nie gewesen sein.“

Abtritt aus Sorge vor „Cancel Culture“

Bereits vor seiner letzten „Wetten, dass..?“-Sendung im November nutzte er die Aufmerksamkeit, um sich in einem „Zeit“-Interview zu positionieren. „Bevor ich nur noch Shitstorms erzeuge, weil ich Frauen ans Knie fasse, höre ich lieber auf.“

Hier schwingt bereits die Richtung mit, die er in der Sendung selbst mit krachenden letzten Sätzen einschlug: Inzwischen rede er zu Hause anders als im Fernsehen, sagte Gottschalk beim Show-Finale. „Und bevor hier irgendein verzweifelter Aufnahmeleiter hin und her rennt und sagt: Du hast wieder einen Shitstorm hergelabert. Dann sage ich lieber gar nichts mehr.“

Thomas Gottschalk: Junge Generation „weichgekocht und ängstlich auf Erfolg bedacht“

Gottschalk gibt sich als jemand, der mit seinem selbstbestimmten Abgang einer vermeintlichen Absetzung durch die Cancel Culture vorbeugt. Und besetzt fortan einen prominenten Platz in den Reihen jener, die meinen, nicht mehr „alles sagen zu dürfen“, die viele moderne Phänomene ablehnen.

Die junge Generation heute sei „so weichgekocht und so ängstlich auf Erfolg bedacht“, sagte Gottschalk schon vor zwei Jahren über Influencer in den sozialen Medien. Heute haut er auf Cathy Hummels’ Wiesn-Auftritte drauf („Du musst nicht, wenn du zwölfmal aufs Oktoberfest gehst, zwölf Dirndl haben. Das ist absurd“), sagt über Heidi Klum, sie sei immer noch „angepisst“, weil er ihr gesagt habe, ihre Modelsendung wirke wie ein „Kindergeburtstag“.

Gottschalk, der frühere Zotenmeister, klopft jetzt Boomersprüche, stellte schon vor Jahren beleidigt das Twittern ein und sagt nun im „Spiegel“, er hätte für sein neues Buch „vielleicht aus Political Correctness noch drei Heldinnen“ erfinden sollen, damit es nicht so männerlastig wirke.

Gottschalk auf Marketing-Tour

Man kann diese Aussagen als in Sarkasmus verpackte Klagen eines Showrentners abtun, der aus Malibu in den deutschen Süden zog und sich nun mit Markus Söder zum Würstchenessen trifft. Man kann diese Hartnäckigkeit, mit der er sich inszeniert, aber auch als verzweifelten Versuch lesen, die Deutungshoheit über sein Image wiederzugewinnen. So wirkt das „Spiegel“-Interview stellenweise wie eine Flucht nach vorn. Indem Gottschalk die Woke-Kultur abwertet, schwächt er zugleich die gegen ihn aus dieser Ecke erhobenen Vorwürfe im Umgang mit Frauen ab. Vom Angeklagten stilisiert Gottschalk sich zum missverstandenen Opfer, das nun in eigener Sache den Rücken gerade macht.

Seine Medienstrategie fährt er am Wochenende weiter, spricht in der WDR-Sendung „Kölner Treff“ in Bezug auf die Begriffe „Zigeunerschnitzel“ und „Mohrenkopf“ von Selbstzensur. In der „Bild“ legt er am Samstag nach, prangert eine „nörgelige Beschwerdementalität“ an, die sich hierzulande breitgemacht habe. „Nicht alles, was ein alter weißer Mann von sich gibt, ist schon allein deshalb Unsinn.“

Neues Buch erscheint im Oktober

All das Hadern und Mosern in den Medien führen zu seinem neuen Buch „Ungefiltert“, das in wenigen Tagen erscheint. So sehr die Interviews ihn im Vorfeld vermeintlich bloßstellen, so sehr zahlen die Auftritte auf seine Botschaft ein. Mit seinen Tiraden gegen die neue Zeit spricht er ein konservatives Publikum an, das Gendern, Veganismus und die Grünen eher ablehnt, nichts von Regenbogen und Geschlechtsumwandlungen hält.

In der Verlagsvorschau steht etwas vom „Dickicht an Geboten und Verboten“, es soll um die „Regeln und Fallstricke unserer Gesellschaft“ gehen. Eine Verteidigungsrede? Ein Versuch, den Ruf als „Urvater der Toucherei“ loszuwerden?

Als der „Spiegel“ ihn fragt, ob er mit dem Werk etwas erreichen wolle, antwortet er: „Möglichst viele Exemplare verkaufen.“ (rnd)