Nach dem Eklat bei der konstituierenden Landtagssitzung in Thüringen hat der Verfassungsgerichtshof entschieden, wie es weitergeht.
Nach erster LandtagssitzungAfD hat in Thüringen „faschistoiden Charakter offenbart“
Katja Wolf muss diesen Angriff auf die Demokratie erst einmal verarbeiten. „Das ist so eine unglaubliche Grenzverletzung, dass ich daran noch eine Weile nagen werde“, sagt die frühere Linkspolitikerin und nun erste Thüringer Fraktionsvorsitzende vom Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Ihr sitzt der Schock noch in den Gliedern, wie sich die Befürchtungen vor der Landtagswahl bestätigt haben.
Immer wieder hatten demokratische Parteien davor gewarnt: Sollte die rechtsextreme AfD mit einem entsprechend hohen Ergebnis ausgestattet werden, wird sie ihre Möglichkeiten der Attacken gegen die Institutionen nutzen, wo sie kann.
Entscheidung am späten Abend
Nach dem Chaos bei dem am Donnerstag gescheiterten Versuch der Konstituierung des Landtags findet sich Thüringen bereits mitten im Kampf um die Rettung der Demokratie wieder. Der von der CDU angerufene Verfassungsgerichtshof hat entscheiden, wie es nun weitergeht. Die CDU-Fraktion war in mehreren Punkten erfolgreich.
Die höchsten Thüringer Richter erließen am späten Freitagabend eine einstweilige Anordnung, an die sich der Alterspräsident Jürgen Treutler (AfD) halten muss. Wenn der Landtag auch in der konstituierenden Sitzung über die Tagesordnung bestimmen wolle, dann dürfe der Präsident das nicht verhindern, urteilen die Richter. Auch eine Debatte und Beschlussfassung über eine Änderung der Geschäftsordnung bereits vor der Wahl des Landtagspräsidenten sei zulässig. Die große Frage ist nun: Wird die AfD ein Urteil respektieren, das ihr nicht gefällt?
Nach Auffassung von Juristen hat die AfD in Thüringen ein Vorschlagsrecht, aber keinen Anspruch darauf, dass dieser Vorschlag angenommen wird. CDU, BSW, Linke und SPD wollen keinen Landtagspräsidenten und keine Präsidentin der AfD. Allerdings wird es auch unter Demokraten kritisch gesehen, dass der Änderungsantrag nicht schon in der vorigen Legislaturperiode gestellt worden war.
Irene Mihalic (Grüne): „AfD hat in Thüringen erneut ihren faschistoiden Charakter offenbart“
So sagt auch die parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion, Irene Mihalic, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND): „Die AfD hat in Thüringen erneut ihren faschistoiden Charakter offenbart. Wäre die CDU vor einem Jahr über ihren Schatten gesprungen und hätte dem Grünen-Antrag zur Änderung der Geschäftsordnung zugestimmt, hätten wir dieses Desaster nicht erleben müssen.“ Demokraten müssten eben handeln, bevor es zu spät sei. Mit Blick auf ein mögliches AfD-Verbotsverfahren erklärt sie: „Wir sollten nun überlegen, welche nächsten Schritte zu gehen sind. Das müssen wir sehr verantwortungsvoll tun und alles unterlassen, was die Verfassungsfeinde am Ende noch stärkt.“
Die AfD habe sich „die Maske der Scheindemokraten heruntergerissen“, sagt Wolf dem RND. „Das war ein Missbrauch des Thüringer Landtages als politische Bühne und eine Verächtlichmachung der Demokratie.“ Sie will Konsequenzen daraus ziehen: „Wir hatten ja eigentlich angekündigt, dass wir uns die Wahl eines AfD-Vizepräsidenten vorstellen können. Doch nach der Aufführung heute kann ich mir das für mich nicht mehr vorstellen.“ Auch die Regierungsbildung sei dringlicher geworden. Es sei noch deutlicher geworden, „mit welcher Verantwortung wir hier in Thüringen unterwegs sind und wie wichtig es ist, dass wir eine stabile demokratische Mehrheit hinbekommen“.
Die Landes-CDU von Mario Voigt kann ohne das BSW keine Mehrheitsregierung bilden. Auf CDU-Bundesebene wird eine Koalition mit dem BSW kritisch gesehen, weil Wagenknecht sich von Berlin aus in die Landespolitik einmischt und bundespolitische Positionen wie Waffenlieferungen an die von Russland überfallene Ukraine ablehnt.
Minister für Verbotsverfahren
Thüringens geschäftsführender Innenminister Georg Maier (SPD) hatte sich nach der chaotischen ersten Landtagssitzung für ein Verbotsverfahren gegen die AfD ausgesprochen. „Die heutigen Ereignisse im Thüringer Landtag haben gezeigt, dass die AfD aggressiv kämpferisch gegen den Parlamentarismus vorgeht. Ich denke, dass damit die Voraussetzungen für ein Verbotsverfahren gegeben sind“, schreibt der SPD-Politiker auf der Plattform X.
Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken hält sich mit Äußerungen zu einem Verbotsverfahren zurück. Sie betont aber: „Das unerträgliche Verhalten der AfD im Erfurter Landtag zeigt den perfiden Plan dieser rechtsextremen Partei auf: Die Zersetzung unserer Parlamente und die Zerstörung unserer demokratischen Grundordnung.“ Niemals dürften Demokraten den Provokationen und dem Druck der AfD nachgeben oder auch nur den Eindruck von Zugeständnissen an „diese Antidemokraten“ erwecken, sagt sie dem RND. Die SPD werde die Demokratie mit aller Kraft verteidigen.
Thüringens Verfassungsgerichtshof hat juristisches Neuland betreten, heißt es in Thüringer Parlamentskreisen. Sollte die AfD das gegen sie gerichtete Urteil nicht respektieren, wäre das „einer der wunden Punkte“. Denn, so wird betont: „Verfassungsgerichtsurteile leben davon, dass sie befolgt werden.“ (mit dpa)