20 Jahre arbeitet Maiwand Majboor für die GIZ in Afghanistan. Deutschland sicherte ihm wegen der Taliban Schutz zu – und zog es dann zurück.
Afghane verzweifelt an Deutschland„So kann man mit den Menschen nicht umgehen“
Maiwand Majboor steht vor den Trümmern seiner Existenz. Grund dafür sind die deutschen Behörden, ihre gebrochenen Versprechen und ihre Erniedrigungen. Dabei ist es noch nicht lange her, dass der Afghane voller Hoffnung gewesen ist.
Am 25. August 2021 bekommt er die Aufnahmezusage für sich und seine Familie in Deutschland, da sind die Taliban gerade erst seit zehn Tagen zurück an der Macht. Man freue sich, dass er auf der entsprechenden Liste sei, die vom Bundesinnenministerium bestätigt worden seien, heißt es in der Mail seines Arbeitgebers, der staatlichen deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ).
Majboor schätzt Tugenden wie Verlässlichkeit, die den Deutschen zugeschrieben werden. Dennoch muss er schmerzhaft erfahren, dass die Aufnahmezusage der Deutschen nichts wert ist. Heute sitzt der 45-Jährige mit seiner Familie immer noch in Kabul, weil das Bundesinnenministerium die Zusage ohne Angaben von Gründen zurückgenommen hat. Zuletzt hatte Majboor das interne Controlling der GIZ in Afghanistan geleitet.
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Als Majboor sich in seiner Verzweiflung an das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) wendet, sagt er, seine deutschen Vorgesetzten hätten ihm mit Kündigung gedroht, sollte er seinen Fall publik machen. Die GIZ will sich dazu nicht öffentlich äußern. Sie stellt Majboor aber eine Woche nach der RND-Anfrage zu seinem Fall frei – wieder ohne Angabe von Gründen. Selbst im Afghanistan-Untersuchungsausschuss des Bundestags sorgt das für Empörung. „So kann man mit den Menschen nicht umgehen“, sagt der Ausschussvorsitzende Ralf Stegner (SPD) dem RND. Er betont: „Der Untersuchungsausschuss hätte immer auch die Möglichkeit, Herrn Majboor als Zeugen zu laden.“
Als Ortskraft gehört Majboor zu jenen Afghanen, die bei der GIZ, bei der Bundeswehr, bei der Botschaft oder bei Polizeiprojekten, also bei staatlichen deutschen Stellen gearbeitet haben. Darunter sind Putzkräfte oder Übersetzer, Wachleute oder Fahrer gewesen. Bis vergangenen Oktober sind nach Angaben der Bundesregierung mehr als 4100 Ortskräfte mit ihren Familien nach Deutschland gekommen. Knapp 1400 weitere Ortskräfte mit ihren Angehörigen haben eine Aufnahmezusage, waren zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht eingereist.
Mit 23 fängt er an
Das Bundesinnenministerium kann auf Nachfrage nicht mitteilen, in wie vielen Fällen Aufnahmezusagen wieder zurückgenommen worden sind. Majboor sagt, er kenne persönlich mehrere Ortskräfte, die sein Schicksal teilten. „Das ist kein Einzelfall“, sagt auch Qais Nekzai vom Patenschaftsnetzwerk Afghanische Ortskräfte in Deutschland. „So etwas passiert leider häufig. Es ist total unmenschlich.“
Die Ampelparteien hielten 2021 mit Blick auf die Ortskräfte im Koalitionsvertrag fest: „Wir werden unsere Verbündeten nicht zurücklassen.“ Tatsächlich interessiert sich heute kaum noch jemand für deren Schicksal. Dabei wäre kaum jemand besser für eine Aufnahme geeignet als Majboor, die wenigsten Ortskräfte haben eine so steile Karriere hingelegt wie er.
Bereits im Juli 2002 heuert er in der Finanzverwaltung bei der GIZ-Vorgängerorganisation GTZ in Kabul an, Personalnummer 00149882, er ist gerade einmal 23 Jahre alt. Mehr als 20 Jahre lang hält er seinem Arbeitgeber die Treue.
Wegen seines guten Rufs sei Majboor für Buchprüfungen von GIZ-Büros in Indien, Pakistan und Bangladesch angefordert worden, heißt es 2015 in einem Empfehlungsschreiben seines deutschen Vorgesetzten. In jüngeren GIZ-Beurteilungen wird Majboor bescheinigt, „ein sehr zuverlässiger, loyaler und geschätzter Kollege“ zu sein. „Er wird sowohl von der Partnerorganisation als auch von den Teammitgliedern sehr geschätzt, ist teamorientiert und arbeitet hart.“ Hans-Hermann Dube, der von 2005 bis 2015 den kommerziellen Arm der GIZ in Afghanistan geleitet hat, sagt: „Majboor ist sozusagen preußischer als die meisten Preußen. Unglaublich pflichtbewusst, ehrlich und anständig. Ich habe ihn damals empfohlen für eine höhere Laufbahn innerhalb der Ortskräfte. Und er hat es weiter gebracht, als ich jemals ahnte.“
Auf dem Weg nach Pakistan
Majboor macht den fatalen Fehler, dass er sich auf die Zusagen verlässt – und wartet mit der Ausreise. In dem Chaos unmittelbar nach der Rückkehr der Taliban an die Macht habe er seiner elfköpfigen Familie keine gefährliche Reise zumuten wollen, sagt er. Im Sommer 2022 unternimmt die Familie einen Versuch, nach Pakistan zu gelangen, von wo aus sie nach Deutschland gebracht werden sollen. An der pakistanischen Grenze schicken die Taliban sie zurück nach Kabul.
Im April 2023 setzt die Bundesregierung alle Aufnahmeprogramme aus Afghanistan wegen „vereinzelten Vorfällen von möglichen Betrugsversuchen“ vorübergehend aus. Im Juni versichert die GIZ Majboor in einer Mail, die Aussetzung „hat keinen Einfluss auf die Gültigkeit Ihrer Zulassung oder der Ihrer anspruchsberechtigten Familienangehörigen zur Einreise nach Deutschland“. Letztere sind namentlich und mit Geburtsdatum aufgelistet, es handelt sich um Majboors Ehefrau und die neun Kinder des Ehepaares, die heute zwischen zwei und 22 Jahre alt sind.
Im September 2023 wird es dann ernst. Majboor hat endlich Visa für alle Familienmitglieder zusammen, eine teure Angelegenheit: Zwischen 800 und 1250 Dollar kostet eine Einreiseerlaubnis nach Pakistan. Weil während der Wartezeit immer wieder Visa erneuert oder verlängert werden müssen, gibt Majboor nach eigenen Angaben etwa 17?000 Dollar (15?600 Euro) dafür aus. Um das finanzieren zu können, hat er für rund 30?000 Dollar sein Haus verkauft – er geht ja eh davon aus, dass seine Familie bald in Deutschland leben wird.
Am 19. September 2023 trifft die Familie schließlich in Islamabad ein. Statt Flugtickets nach Deutschland wartet auf sie in der deutschen Botschaft eine Überraschung, die sich als schicksalhaft herausstellen wird: Eine Sicherheitsüberprüfung. „Niemand hat uns davor gesagt, dass es noch ein Gespräch gibt oder dass es möglich wäre, dass man uns zurückschickt“, sagt Majboor. „Eigentlich ist es üblich gewesen, dass diejenigen, die eine Aufnahmezusage haben, innerhalb von Wochen nach Deutschland ausreisen.“ Die Befragung durch zwei Mitarbeiter deutscher Sicherheitsbehörden erinnert den gläubigen Muslim an ein Verhör. „Sie wollten wissen, was ich machen würde, falls mein Sohn einen 70 Jahre alten Mann in Deutschland heiraten wollen würde“, sagt Majboor. „Ob ich ihn dann steinigen würde.“ Er habe geantwortet, dass er nichts unternehmen würde und dass Deutschland ein Rechtsstaat sei.
„Unmenschliche Fragen“
Die Behördenmitarbeiter hätten ihn unter anderem nach seiner Haltung im Ukraine-Krieg und im Nahost-Konflikt gefragt. Seine Ehefrau sei gefragt worden, ob sie ihre Tochter im Fall eines Ehebruchs steinigen würde. Von seinen älteren Söhnen hätten die Männer wissen wollen, wie sie reagieren würden, wenn ihre Mutter ihren Vater betrügen würde. Seine erwachsene Tochter habe erklären müssen, was sie tun würde, wenn einer ihrer Brüder einen Mann heirate.
Auch das Patenschaftsnetzwerk kennt diese Interviews. „Da werden komische, unmenschliche Fragen gestellt“, sagt Nekzai. Das Bundesinnenministerium weist das als „nicht zutreffend“ zurück. „Vielmehr dienen die Gespräche dazu ,zu prüfen, ob Tatbestände vorliegen, die einer Aufnahme der Person entgegenstehen“, heißt es. Aufnahmen stünden unter dem Vorbehalt, „dass sich im weiteren Verfahren keine sicherheitsrelevanten Erkenntnisse ergeben und das Visumverfahren erfolgreich durchlaufen wird“. Majboor sagt, am 18. Dezember sei ihm von einem GIZ-Mitarbeiter telefonisch mitgeteilt worden, dass seine Aufnahmezusage zurückgezogen worden sei. „Mir wurde versprochen, dass mein Fall erneut eingereicht wird.“ Am 22. Januar schreibt ihm die GIZ, nach eingehender Untersuchung durch das Bundesinnenministerium sei festgestellt worden, dass er und seine Familie die Voraussetzungen für eine Aufnahme „entgegen der ursprünglichen Annahme“ nicht erfüllen. „Wir bitten Sie, das Hotel bis Sonntag, 28. Januar, zu verlassen.“ In einer Mail aus der GIZ-Zentrale an Majboor heißt es, im Büro in Kabul seien „alle total schockiert“.
Unklar bleibt der Grund für die Ablehnung. Ein Sprecher der GIZ verweist auf RND-Anfrage aufs Innenministerium, das wiederum mitteilt, man äußere sich nicht zu Einzelfällen. Sollte Majboor sich tatsächlich nach all den Jahren, in denen er letztlich im Auftrag der Bundesregierung tätig war, als Sicherheitsrisiko herausgestellt haben? Dazu passt nicht, dass ihm die GIZ, die in Afghanistan noch eine Rumpfoperation nur mit lokalen Mitarbeitern unterhält, am 19. Januar eine Vertragsverlängerung anbietet – die Ablehnung ist da seit mehr als einem Monat bekannt.„Wir freuen uns auf die weitere Zusammenarbeit“, schreibt Majboors damalige deutsche Chefin nach seiner Zusage.
Am 26. Januar ist die Familie wieder in Kabul, wo sie zunächst bei Verwandten unterkommt und dann ein Haus mieten muss. „Uns wurde bei diesem Prozess alles genommen, unser Vertrauen, unsere Glaubwürdigkeit, unsere Integrität, unser soziales Gefüge, unsere finanziellen Mittel und unser Zuhause“, sagt Majboor. „Meine Söhne fragen mich: Was hast du getan, dass sie dich so behandeln? Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll.“
Immer wieder bittet Majboor bei der GIZ um Auskunft darüber, warum seine Familie abgelehnt wurde. Statt einer Antwort bekommt er am vergangenen Donnerstag eine Mail, in der er ohne Angabe von Gründen informiert wird, dass er bei Fortzahlung des Gehalts bis auf Weiteres freigestellt wird. GIZ-Büros darf er nicht mehr betreten, dienstliche Geräte muss er abgeben.
Die GIZ-Pressestelle teilt auf RND-Nachfrage zu den Gründen der Freistellung mit, man äußere sich nicht zu Einzelfällen. Majboor ist überzeugt davon, dass er dafür abgestraft wird, an die Öffentlichkeit gegangen zu sein – und dass es ein Warnschuss ist. „Zwischen der Vertragsverlängerung und der Freistellung ist nichts passiert, außer, dass ich gesprochen habe“, sagt er. „Ich nehme an, dass sie mir bald nach der Veröffentlichung dieser Geschichte die Kündigung schicken werden.“