Der Kongress will die Ukraine-Hilfen streichen, Donald Trump ermuntert Russland zum Überfall auf weitere Länder, und mittendrin trifft Olaf Scholz den US-Präsidenten. Die beiden schätzen sich sehr – aber ihre Rollen wirken verändert.
Neue Nähe zwischen Scholz und BidenDie Gefahren Putin und Trump schweißen USA und Deutschland weiter zusammen
Wie schafft man es als Bundeskanzler in Washington, dem US-Präsidenten für einen Tag Donald Trump vom Hals zu halten? Man lenkt den Blick wie Olaf Scholz auf die Niedertracht eines anderen bedrohlichen Mannes: Wladimir Putin. Am Ende wirkt es wie eine Arbeitsteilung mit Joe Biden, ohne dass dieser sich selbst äußern muss. Scholz wird die deutsch-amerikanischen Beziehungen später als großartig darstellen.
Dass dieser Zustand allerdings von kurzer Dauer sein könnte, zählt zu den großen Unsicherheiten dieser Zeit. Der Kanzler wird alles in seiner Macht Stehende tun, um Biden im Präsidentschaftswahlkampf, der über nichts Geringeres als über die Demokratie der Vereinigten Staaten von Amerika entscheidet, zu stützen. Womöglich wird dazu ein für Scholz heikles Unterfangen zählen. Zumindest kann man nach seinem 24-stündigen Arbeitsbesuch in Washington davon eine Ahnung haben. Der Reihe nach.
Entschlossenen Schrittes zum Mikrofon
Scholz lädt am Morgen vor dem Hotel Four Seasons zu einem kurzen Statement. Solche Auftritte dienen in der Regel weniger der politischen Analyse als vielmehr der Eigenwerbung. Der Kanzler hat mit Kongressabgeordneten und Unternehmern gesprochen, vielleicht liefert er ein paar Sätze, dass die Treffen gut gewesen seien und man in intensivem Austausch bleiben wolle. Doch er geht entschlossenen Schrittes ans Mikrofon und beschimpft unvermittelt den russischen Präsidenten für ein Interview mit dem rechtsgerichteten US-Talkmaster Tucker Carlson. Das sitzt.
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Am Nachmittag trifft Scholz im Weißen Haus Joe Biden und verschärft den Ton noch gegenüber dem Kremlchef. Ein Lügner sei das und das Interview lächerlich. Scholz, der normalerweise so leise spricht, dass man ihn schwer verstehen kann, wirkt wie aufgedreht. Im Vergleich zu Biden redet er laut und deutlich. Putins Märchen in dem Interview über die Entstehung des Krieges gegen die Ukraine und dessen mögliches Ende werden auf diesem Weg zurechtgerückt, ohne dass Biden ein Wort sagen muss. Und zugleich wird die Gefahr der von Donald Trump gelenkten Blockade weiterer Milliardenhilfen für Kiew im Kongress deutlich. Eindringlich spricht Biden von einer „kriminellen Unterlassung“, wenn der Kongress die Mittel nicht freigibt.
Denn dann wird die Ukraine den Krieg gegen Russland verlieren, ist die Lesart. Unzählige Menschen hätten ihr Leben im Kampf für die Freiheit geopfert, ohne ihre Angehörigen vor Putins Diktatur gerettet zu haben. Und Europa und die Nato hätten den Aggressor vor der Haustür.
100 statt 60 Minuten Gespräch
Das Bild von einem vertrauten Gespräch von Scholz und Biden im Oval Office vor knisterndem Kaminfeuer schweißt die Mittelmacht Deutschland und die Weltmacht USA aber zusammen. Scholz schätzt keinen anderen Präsidenten auf der Welt mehr als den 81-jährigen Biden. Und der 65-jährige Bundeskanzler ist für Biden die Nummer eins in Europa. Trotz ihrer habituellen Unterschiede ticken der kühle Hanseat und der emotionale Nachfahre irischer Einwanderer ähnlich. Und fast wirkt es so, als sähe Scholz, der nicht viele Menschen für sehr viel klüger als sich selbst hält, in Biden ein Vorbild. Jedenfalls würgt er wie ein echter Freund jedes Gespräch über Bidens jüngste Aussetzer und Versprecher und seine sichtbare Gebrechlichkeit ab. Niemand könne sich alles merken.
Manchmal kann man die Qualität der Beziehungen an Minuten ablesen. Nicht wie geplant 60 Minuten sprechen beide miteinander, sondern mehr als 100. Im Terminkalender des US-Präsidenten ist das wohl eine kleine Ewigkeit. Scholz kommt noch beschwingter aus dem Weißen Haus heraus, als er hineingegangen ist. Das deutsch-amerikanische Verhältnis sei so gut wie lange nicht mehr. Wenn es schlecht läuft, hält das aber nur noch neun Monate. Da ist Trump dann wieder bedrohlich nah. Und was Europa und der Welt im Falle seines Wahlsiegs blühen könnte, macht der später, am Samstag, klar, bei einem Wahlkampfauftritt in South Carolina. Er werde Nato-Partnerländer, die selbst nicht genug in ihre Verteidigung investierten, nicht beschützen, drohte Trump da. Und als sei das nicht bedrohlich genug, fügte er hinzu, er würde Russland „sogar dazu ermutigen zu tun, was auch immer zur Hölle sie wollen“.
Wie fatal der Einfluss des großen Zerstörers der amerikanischen Sicherheitspolitik schon jetzt ist, führt gerade der amerikanische Kongress überdeutlich vor. Dort ist auf Druck von Trump ein mühsam ausgehandeltes Kompromisspaket gescheitert, das weitere amerikanische Ukraine-Hilfen mit einer drastischen Verschärfung der US-Einwanderungspolitik verbunden hätte. Die dramatische Abstimmung liegt gerade einmal 24 Stunden zurück, als Scholz am Donnerstagabend acht Senatoren zum Abendessen in der auf einer Anhöhe gelegenen deutschen Residenz mit einem beeindruckenden Blick über die amerikanische Hauptstadt begrüßt.
Interessante Gästegruppe
Die Gästegruppe ist spannend besetzt: vier Demokraten – darunter Chris Murphy, einer der drei Unterhändler des gescheiterten Gesetzespakets – und vier Republikaner, zu denen auch der Trump-Loyalist Lindsey Graham gehört, der trotz seiner regelmäßigen transatlantischen Fensterreden gleich zweimal gegen die Ukraine-Hilfen stimmte. Kurz nach seiner Landung befindet sich der Kanzler also im Epizentrum der erbitterten amerikanischen Hilfsdebatte
Dass der Kanzler die Republikaner innerhalb weniger Stunden umstimmen kann, hat er wahrscheinlich selbst nicht erwartet. Aber bemerkenswert ist doch das Lob, das er von den Teilnehmern für den deutschen Beitrag zur Ukraine-Unterstützung erhält. Bei früheren Besuchen hatte sich Scholz massive Kritik an der Nordstream-Pipeline und der deutschen Zurückhaltung bei Panzerlieferungen anhören müssen. Nun sagt ein republikanischer Senator anerkennend: „Deutschland hat sich unter Ihrer Führung der Situation gewachsen gezeigt.“
Vom Sorgenkind zum Musterknaben
Die Rollen haben sich vertauscht. Vor gar nicht so langer Zeit noch war in den USA viel über die mangelnde Verlässlichkeit der Europäer und insbesondere der Deutschen geklagt worden. Nun hat die EU ein 50-Milliarden-Euro-Hilfspaket für die Ukraine verabschiedet, doch in Washington droht den geplanten neuen Militärhilfen von 60 Milliarden Dollar das Aus. Plötzlich ist Deutschland als mit Abstand größter europäischer Ukraine-Unterstützer vom Sorgenkind zum Musterknaben mutiert.
„Über 50 Länder in der ganzen Welt, darunter auch Deutschland, haben der Ukraine Millionen in Form von Munition, Luftverteidigung, Logistik und Unterstützung für die durch Putins Aggression vertriebenen Ukrainer zur Verfügung gestellt“, sagt der Demokrat Chris Coons, in Deutschland bekannt wegen seiner Doppelgängerfotos mit Scholz, nach dem Abendessen dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Der Besuch von Bundeskanzler Scholz in Washington unterstreicht, wie wichtig es für die USA ist, dem Engagement unserer Partner und Verbündeten auf der ganzen Welt nachzukommen, und sollte den Kongress anspornen, die Gesetzgebung zur Unterstützung der Ukrainer schnell zu verabschieden.“
Nachsitzen trotz Super Bowl
Derweil startet im Kongress die mutmaßlich allerletzte Rettungsaktion für die amerikanischen Milliardenhilfen. Der demokratische Mehrheitsführer Chuck Schumer hat ein abgespecktes Paket vorgelegt, das im Wesentlichen Mittel für die Ukraine und Israel enthält, nicht aber für die Sicherung der US-Grenze, wie es die Republikaner erst ausdrücklich verlangt und dann bekämpft hatten. Angesichts des von Trump verursachten Chaos vermag niemand die Chancen dieses Vorstoßes abzuschätzen. Schumer jedenfalls lässt die Senatoren über das Super-Bowl-Wochenende nachsitzen, was für einiges Gemurre sorgt.
Doch selbst wenn das Gesetzespaket diese Hürde nehmen sollte, liegt die größte Schwierigkeit noch vor ihm: Im republikanisch dominierten Repräsentantenhaus ist bislang nämlich kein Weg für eine erfolgreiche Beschlussfassung absehbar. Dort hat Trump die Abgeordneten noch schärfer im Griff als im Senat. Der schwache House-Speaker Mike Johnson müsste mit seiner sofortigen Abwahl rechnen, wenn er die Ukraine-Hilfen auch nur zur Debatte stellt.
Putin will den „Tiergartenmörder“
Putin dürfte das Wanken der westlichen Führungsmacht USA mit Vergnügen verfolgen. In seinem Interview mit Tucker Carlson gibt es übrigens noch einen sensiblen Punkt. Just zum Besuch von Scholz bei Biden zieht er eine besonders fiese Karte. Er schlägt vor, den in Russland – allem Anschein nach grundlos – inhaftierten US-Journalisten Evan Gershkovich gegen einen in Deutschland inhaftierten russischen Agenten auszutauschen.
Putin nennt keinen Namen, aber es ist davon auszugehen, dass er den „Tiergartenmörder“ meint, der 2019 einen tschetschenischstämmigen Georgier erschossen hat. Ein Auftragsmord. Scholz wird darauf bei dem Statement angesprochen. Und dann sagt er einen Satz, der nichts sagen soll, aber doch tief blicken lässt. Solche „delikaten“ Fragen würden vertraulich behandelt. Was bedeutet: Sie werden behandelt.
Ein Wiedersehen in München
Könnte Biden den Journalisten nach Hause holen, hätte er nicht nur die von Trump attackierte Pressefreiheit verteidigt, sondern auch die amerikanische Seele berührt. Und Scholz auch. Es würde ihr Verhältnis und damit die deutsch-amerikanische Partnerschaft noch mehr festigen.
Schon Ende der Woche wird Scholz einige seiner Gesprächspartner von Washington wiedertreffen. Eine große US-Delegation reist zur Münchner Sicherheitskonferenz an. Der Kanzler auch. Auf amerikanischer Seite werden auch Trump-Fans wie Graham vertreten sein. In den Hinterzimmern des Luxushotels Bayerischer Hof werden sie Gespräche über die Zukunft führen. Nach der jüngsten Drohung des Ex-Präsidenten, „säumige Beitragszahler“ in Europa im Falle eines russischen Überfalls nicht zu verteidigen, ist für ausreichend Zündstoff gesorgt.