Der SPD-Politiker Matthias Ecke wurde in Dresden attackiert und schwer verletzt. Im Interview schildert er erstmals den Angriff auf sich.
Attacke auf SPD-Politiker„Ihr Schwuchteln“ – Matthias Ecke berichtet über Angriff
Die Tat sorgte deutschlandweit für einen regelrechten Aufschrei: Am vergangenen Freitag wurde der SPD-Europapolitiker Matthias Ecke beim Plakatieren in Dresden aus einer Gruppe von vier Jugendlichen heraus attackiert – und schwer verletzt. Die Anteilnahme war groß, rund 3000 Menschen kamen zu einer Solidaritätsdemonstration in Dresden.
Der 41-Jährige redet nun zum ersten Mal über den Vorfall. Am Freitagvormittag gibt er der Freien Presse, der Sächsischen Zeitung und der Leipziger Volkszeitung, die Partner im RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) ist, ein gemeinsames Interview. Dabei geht es nicht nur um den Angriff an sich. Ecke treibt auch um, welches gesellschaftliche Klima die Tat erst möglich gemacht hat.
Herr Ecke, wie geht es Ihnen?
Ich bin getroffen, aber nicht eingeschüchtert. Ich werde mich von dem Angriff nicht mundtot machen lassen. Ich habe Knochenbrüche im Gesicht, die am Sonntag operiert worden sind. Die Operation ist gut verlaufen, dem Ärzteteam bin ich sehr dankbar. Mir geht es von Tag zu Tag besser. Aber ich habe noch Schmerzen.
Sie wollen zurück in den Wahlkampf. Ab wann?
Ich werde mich noch etwas schonen, aber einzelne Termine werde ich ab nächster Woche wahrnehmen, sofern es der Heilungsverlauf zulässt.
Viele Menschen, die so einen Angriff erleben, brauchen Zeit, um das Gefühl der Verletzlichkeit zu überwinden.
Ich habe enorm viel Solidarität und Anteilnahme erfahren. Das hat mich gestärkt – und es hat mich ein Stück weit abgelenkt. Ich habe im Moment kein Gefühl von eingeschränkter Sicherheit. Dennoch muss ich schauen, wie ich mittelfristig mit der Erfahrung klarkomme.
Welche Erinnerungen haben Sie an den Angriff?
Ich war mit einem Mitstreiter gemeinsam gegen 22.30 Uhr unterwegs. Wir haben Plakate im Dresdner Stadtteil Striesen gehängt. Wir hatten uns aufgeteilt, der eine hat die linke, der andere die rechte Straßenseite übernommen. Wir haben das schon oft so gemacht. Dann bin ich vollkommen unvermittelt angegriffen worden. Es gab kein Wortgefecht oder eine Provokation im Vorfeld. Der Angriff war eine Sache von wenigen Sekunden: Aus einer Gruppe von vier jungen Männern heraus wurde ich zuerst angesprochen und dann sofort niedergeschlagen. Dann waren sie weg.
Das heißt, die Situation hat sich nicht hochgeschaukelt?
Ich konnte vielleicht eine Sekunde vorher realisieren, dass jetzt ein Angriff droht.
Wie sind Sie angesprochen worden?
Ich wurde provokant und kritisch gefragt, warum ich ein SPD-Plakat aufhänge. So etwas wie: „Was machst Du denn hier für einen Scheiß?“ Aber es gab dann kein Wortgefecht, es kam einfach der Schlag. Den Schlag selbst hat meiner Erinnerung nach nur eine Person ausgeführt.
Haben die Angreifer Sie erkannt?
Ich glaube nicht, dass sie mich erkannt haben.
Was geht einem bei so einer Attacke durch den Kopf?
Ich taumelte. Ich war geschockt. Im konkreten Moment wollte ich nur aus der Situation raus und bin in die andere Richtung gelaufen. Der erste Gedanke war, sich in Sicherheit zu bringen.
War Ihnen die Gruppe vorher aufgefallen?
Ich hatte sie kurz gesehen. Die waren gemeinsam unterwegs in einem Hinterhof. Die haben ein bisschen rumgeprollt, waren ein bisschen laut. Es war nichts Unübliches für einen Freitagabend. Darum habe ich denen nicht so viel Beachtung geschenkt. Erst viel später kamen sie dann auf mich zu.
War die Gruppe vermummt?
Ich habe Schwierigkeiten, mich daran genau zu erinnern. Meiner Erinnerung nach hatten zumindest einige von denen Basecaps auf und trugen Streetwear.
Gab es Anzeichen, dass die Täter speziell auf linke Wahlhelfer Jagd gemacht haben?
Sie haben mich angesprochen, weil ich für die SPD ein Plakat angebracht habe. Nachdem ich niedergeschlagen wurde, hat mich eine Person noch beleidigt: „Ihr Schwuchteln!“ Da war dann klar, dass es nicht zufällig passierte, dass man mit der Tat eine politische Aussage tätigen will.
Wie ging es dann weiter?
Die Verletzung tat weh. Ich habe aus der Nase und aus der Wunde am Auge geblutet. Ich bin zum Auto zurück, um mich wieder mit der Person, mit der ich gemeinsam unterwegs war, zu treffen. Dann sind wir in das Büro zurück, was der Ausgangspunkt an diesem Abend war. Von dort haben wir Polizei und Notarzt verständigt.
Das heißt, Ihr Mitstreiter hat gar nicht mitbekommen, dass Sie angegriffen wurden?
Nein.
Wie sagt man seiner Familie, was passiert ist?
Nachdem ich den Rettungswagen angerufen hatte, habe ich mich bei meiner Frau gemeldet. Sie war natürlich schockiert. Das kann sicher jeder nachempfinden.
Wie ging es Ihnen in der Situation?
Ich wusste nicht, wie schwer meine Verletzungen waren. Und gleichzeitig war ich wegen der anderen Plakatierteams in Sorge, die für die SPD unterwegs waren. Auch unter Schock war für mich erkenntlich, dass da gezielt Leute gejagt werden sollten. Wir haben deswegen die anderen Teams informiert. Die Aktionen in Striesen haben wir abgebrochen.
Hatten Sie – trotz Ihrer schweren Verletzungen – vielleicht auch ein wenig Glück, dass Sie nicht schwerer verletzt wurden?
Ich hoffe, dass alles wieder verheilt. Nach Aussagen der Ärzte stehen die Chancen gut, dass außer ein paar Narben nichts bleibt. Ich bin froh, dass nichts Schlimmeres passiert ist.
Gab es einen Moment nach dem Angriff, in dem Sie oder Ihre Frau gesagt haben, mit der Politik müsse nun Schluss sein?
Nein.
Wie erklären Sie sich die Tat?
Nach allem, was man bisher weiß, sind zumindest Teile der Gruppe im rechtsextremen Milieu unterwegs.
Wie werten Sie das?
Da haben Leute das gesellschaftliche Klima, das immer rauer wird, zum Anlass für Selbstjustiz genommen. Ich fühle mich stark an meine Jugendzeit in den Neunzigerjahren erinnert: Auch damals gab es Angsträume, die von Neonazis geschaffen wurden. Auch alte Bekannte von damals und Parteifreunde haben das ähnlich empfunden. Selbst beim Personal in der Notaufnahme am Freitag war das gleich Thema.
Was haben Sie in den Neunzigerjahren in Sachsen erlebt?
Ich selbst bin damals nicht angegriffen worden, aber viele Freunde sind es. Es gab heftige Übergriffe. Diese Erinnerungen kommen nun wieder.
Ihre Partei hat schnell eine Verbindung von der Tat zur AfD gezogen. War das zu vorschnell?
Die AfD hat das gesellschaftliche Klima in den vergangenen Jahren vergiftet. Wir haben es mit einer produzierten Enthemmung und einer organisierten Verrohung zu tun, die die AfD zusammen mit anderen Strukturen der extremen Rechten erzeugt. Ich denke da beispielsweise an die Freien Sachsen und die Identitäre Bewegung.
Glauben Sie, dass die AfD Sie zum Ziel solcher Angriffe erklärt hat?
Dafür habe ich bisher keine Anzeichen. Die Kampagne der AfD zielt darauf ab, Mitglieder demokratischer Parteien verächtlich zu machen. Das betraf mich bis jetzt nicht unbedingt persönlich. Aber andere sind schon öffentlich verbal attackiert worden.
Weil es auch Attacken gegen AfD-Wahlkämpfer gibt: Haben Sie Sorge, dass sich das aufschaukelt?
Wir müssen aufpassen, dass es keine Nachahmer gibt. Für mich ist vollkommen klar: Keine Gewalt gegen Wahlkämpfer – egal welcher Partei!
Sie machen seit 2004 für Ihre Partei Wahlkampf. Ist der aktuelle Wahlkampf aggressiver?
Ich erlebe ihn intensiver und bedrohlicher. Es gab auch vorher schon Angriffe, Beleidigungen und Provokationen. Das ist – zumal in Sachsen - nicht neu. Dieses Ausmaß an Verrohung hat es dennoch nicht gegeben. Ganze Straßenzüge von Plakaten werden innerhalb von Minuten abgerissen. Wahlkämpfende werden routinemäßig beleidigt und eingeschüchtert. 90 Prozent der Politik in diesem Land werden ehrenamtlich gemacht – also von Leuten in ihrer Freizeit. Dass für diese Leute Angsträume geschaffen werden sollen, ist in der Dimension schon ein neues Phänomen.
Wie groß ist denn die Angst in Ihrem Team und in Ihrer Partei?
Ich erlebe eine erhöhte Wachsamkeit. Die Partei hat die Ehrenamtlichen informiert, was geschehen ist und worauf sie im Wahlkampf achten sollten. Aber ich erlebe meine Partei nicht ängstlich, sondern eher diese Haltung: Jetzt erst recht.
Ihr Fall war tagelang bundesweit das Spitzenthema. Welche Konsequenzen wünschen Sie sich jetzt zum Schutz von Wahlkämpfern?
Nicht an jedem Wahlstand wird ein Streifenwagen stehen können, das ist auch nicht wünschenswert. Der Fokus muss sein, ehrenamtliche, politisch aktive Menschen zu schützen. Wer Wahlkämpfende angreift, greift nicht nur Partei und Person, sondern auch das System der freien Wahlen an. Aber das Problem beginnt ja schon viel eher. Ich erwarte, dass sich alle ihrer Verantwortung für das politische Klima bewusst sind. Niemand sollte den politischen Gegner verächtlich machen. Das hat mir schon den vergangenen Jahren wirklich sehr missfallen – offen gestanden gerade in Sachsen.
Sie meinen auch Ihren großen Koalitionspartner in Sachsen?
Ich bin sehr froh über die Anteilnahme, die ich aus der Union erfahren habe. Wir sind uns alle sicher, dass der Kampf gegen Rechtsextremismus nur gemeinsam mit der CDU zu gewinnen ist. Aber mit der CDU nach Angela Merkel ist teilweise ein schneidiger Tonfall auch gegenüber der politischen Konkurrenz eingekehrt. Da sprechen manche davon, dass diese Bundesregierung die Demokratie gefährde. Diesen Ton finde ich überhaupt nicht angemessen.
Sie reden von Ministerpräsident Michael Kretschmer?
Die CDU muss sowohl im Bund als auch im Land überlegen, wie sie mit dem Thema umgeht.
Hat sich denn auch jemand von der AfD bei Ihnen gemeldet?
Nein, das ist nicht passiert. Ich habe sehr viel Anteilnahme nicht nur aus Sachsen und Deutschland, sondern auch aus Europa bekommen. Das hat Kolleginnen und Kollegen auch aus anderen Ländern aufgewühlt.
Wie lässt sich denn das gesellschaftliche Klima wieder befrieden?
Ein Patentrezept habe ich dafür auch nicht. Aber Politik sollte nicht die Sprache und die Themen der extremen Rechten übernehmen und damit salonfähig machen. Das ist die Verantwortung in der politischen Mitte. Auch wenn der politische Streit natürlich geführt werden muss.
Zum Abschluss: Was würden Sie Wahlhelfern empfehlen, wenn sie in diesen Tagen wieder plakatieren gehen?
Sich möglichst in der Gruppe und möglichst tagsüber zu treffen.
Das Gespräch führten Kai Kollenberg, Annette Binninger und Tino Moritz