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Russlands KriegTrump und Selenskyj machen Putin mit Attacken aufs Öl nervös

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Die Raffinerie im russischen Rjasan steht in Flammen –  nach drei aufeinander­folgenden Nächten mit Luftangriffen durch ukrainische Langstrecken­drohnen.

Die Raffinerie im russischen Rjasan steht in Flammen – nach drei aufeinander­folgenden Nächten mit Luftangriffen durch ukrainische Langstrecken­drohnen.

Donald Trump und Wolodymyr Selensykyj wollen, jeder auf seine Art, Russland Grenzen setzen – durch Preissenkungen oder militärische Attacken.

Eigentlich ist es in Rjasan, einer 500.000-Einwohner-Stadt 200 Kilometer südöstlich von Moskau, lange dunkel in diesen Winternächten. Doch in den letzten drei Tagen blieb in Rjasan der Himmel hell, und es krachte immer wieder wie bei einem nicht enden wollenden Feuerwerk: Die Raffinerie im Süden der Stadt wurde von ukrainischen Langstrecken­drohnen angegriffen.

Die russischen Behörden vor Ort versuchten, die Bevölkerung zu beruhigen. Der Schaden sei begrenzt, man habe die Lage im Griff, hieß es nach den ersten Attacken in der Nacht zum 24. Januar. Bald aber zeigte sich: Immer neue ukrainische Drohnen kamen durch, die russische Flugabwehr schien nicht zu funktionieren. Anwohner zählten 50 Explosionen. Und das Feuer gewann solche Kraft, dass auch am Morgen des 26. Januar noch nicht an eine rasche Löschaktion zu denken war.

Die Raffinerie scheint lahmgelegt zu sein. Beschädigt wurden neben gigantischen Tanks auch Verlade­einrichtungen und chemische Anlagen. Laut Reuters verarbeitete Russland in Rjasan im Jahr 2024 mehr als 13 Millionen Tonnen Öl pro Tag, immerhin 5 Prozent des gesamten Raffinerie­durchsatzes des Riesenreichs.

Die Attacke auf Rjasan markiert eine Neuausrichtung der Kiewer Kriegsstrategie: Präsident Wolodymyr Selenskyj bringt seine – in den vergangenen Monaten technologisch stark verbesserte – Drohnen­streitmacht gezielt gegen die Achillesferse des Kriegsherrn Wladimir Putin in Stellung: Russlands Ölindustrie.

Drohnen, Tanker, Preise: Druck aus drei Richtungen auf Russland

Öl ist und bleibt Russlands mit Abstand wichtigstes Exportprodukt. Im vorigen Jahr kassierte Russland von Ölabnehmern in aller Welt mehr als 100 Milliarden US-Dollar.

Auch nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine im Februar 2022 hatten sich die Einnahmen aus Öl als die wichtigste finanzielle Stütze Moskaus erwiesen. Anfangs schien Putin dem Westen sogar eine Nase drehen zu können: Die Unsicherheiten auf dem Energie­sektor, die er eigenhändig durch seinen Krieg hervorgerufen hatte, beschwerten ihm einen zunächst wachsenden Profit.

Inzwischen aber trübt sich das Bild ein. Laut Reuters ging der Export russischen Öls über die Weltmeere im Jahr 2024 um fast 10 Prozent zurück. Dazu trugen militärische Attacken der Ukraine ebenso bei wie die Technologie-Sanktionen des Westens, die die Reparaturen von Förderanlagen zunehmend erschweren und die Ölproduktion in Russland immer teurer machen.

Mittlerweile steht die russische Ölindustrie unter Druck wie noch nie – aus gleich drei Richtungen:

1. Ukrainische Luftangriffe: Raffinerie­standorte sind unverrückbar. Und die Ukraine ist inzwischen in der Lage, mit eigenen Drohnen auch weit entfernte Ziele präzise anzugreifen. Kiews Langstrecken­drohnen verfügen mittlerweile über eine Steuerung, die denen moderner amerikanischer Marsch­flug­körper ähnelt. Damit können die Drohnen niedrig fliegen und ihren Kurs laufend korrigieren, ohne der anderen Seite durch digitale Signale nach außen hin ihren Standort bekannt zu geben. Zudem scheint es der Ukraine in den vergangenen Wochen mehrfach gelungen zu sein, die russische Luftabwehr durch eine erste Welle von Drohnen abzulenken, bevor der mit Sprengstoff beladene Schwarm eintraf.

2. Sanktionen gegen Tricks mit Tankern: Die USA haben Mitte Januar neuartige Sanktionen gegen den russischen Energie­sektor verkündet. Erstmals werden seither Sanktionen auch an einzelne Schiffe geknüpft, die auf Weisung Russlands unter fremden Flaggen unterwegs sind. Moskau ist seit Langem geübt darin, sanktioniertes russisches Öl auf umgeflaggten Tankern über die Weltmeere zu bringen. Die USA und Großbritannien indessen haben jetzt mehr als 200 Schiffe aufgelistet, die wegen derartiger Praktiken in Zukunft keine amerikanischen oder britischen Häfen mehr anlaufen dürfen. Dieses strikte Vorgehen ist neu und führte zum Beispiel in Panama und Barbados zur massenhaften sogenannten Ausflaggung solcher Schiffe – und zu einer Distanzierung der Reedereien vom bisherigen Zusammenspiel mit Russland.

3. Trumps Zusammenspiel mit Saudi-Arabien: Der alte und neue US-Präsident Trump hat sich bei seinem virtuellen Auftritt beim Welt­wirtschafts­forum in Davos für niedrigere Ölpreise ausgesprochen und einen Bezug zum Ukraine-Krieg hergestellt. Trump sagte, er setzte auf ein Zusammenspiel mit Saudi-Arabien und der Opec. „Wenn der Preis sinken würde, wäre der russisch-ukrainische Krieg sofort beendet“, sagte Trump, „im Moment ist der Preis so hoch, dass dieser Krieg weitergehen wird. Man muss den Ölpreis senken. Dann könnte man diesen Krieg beenden.“ Trump sagte, er werde mit der saudischen Führung über das Thema reden.

Unter 50 Dollar wird es für Putin kritisch

Trumps Strategie ist nicht aus der Luft gegriffen. Anfang November 2024, noch kurz vor der US-Präsidentschafts­wahl, hatten der damals noch wenig bekannte republikanische Kongress­abgeordnete Michael Waltz und der Georgetown-Professor Matthew Kroenig in einem gemeinsamen Aufsatz im „Economist“ dafür geworben, „ökonomische Hebel anzusetzen“, um Putin zu Verhandlungen zu zwingen. Waltz sitzt inzwischen im Weißen Haus, als nationaler Sicherheits­­berater des Präsidenten.

Weltweit wird inzwischen spekuliert, ob Trump es tatsächlich fertigbringt, die Welt gleich doppelt positiv zu überraschen: indem er erstens zu niedrigeren Ölpreisen beiträgt und zweitens den widerspenstigen russischen Staatschef in Richtung Verhandlungen bugsiert.

Über die Saudis immerhin weiß man, dass ihre Ölvorräte derart groß und leicht zu fördern sind, dass sie auch mit niedrigeren Preisen Profite erzielen können. Derzeit werden am Weltmarkt für Öl um die 70 Dollar pro Barrel aufgerufen. Für Putin könnten Preise unter 50 Dollar kritisch werden. Bei 40 Dollar würde nach herrschender Ansicht in Fachkreisen der unabwendbare Marsch Russlands in den Ruin beginnen.

Das Problem für Putin ist: Das russische Öl macht ihn zwar, bis auf Weiteres, zu einer weltweit starken Figur, doch sollte die Superkraft des Öls verglimmen, wäre damit – politisch wie ökonomisch – auch sein eigenes Aus verbunden.

Wird der Kremlherr, der Energie- und Machtpolitik stets verknüpfte, am Ende noch zum Verlierer des von ihm selbst begonnenen Spiels? Die neue Kühle jedenfalls, mit der der Westen jetzt Russlands Öl ins Visier nimmt, scheint Putin zu beunruhigen.

Eine neue Nervosität im Kreml

Nach Ansicht von Beobachtern wirkte Putin gereizt, als er im russischen Staats­fernsehen auf Trumps jüngste Äußerungen zum Thema Ölpreis reagierte. Vertraute sagen, dem russischen Staatschef passe die ganze Richtung nicht, in die die Debatte in letzter Zeit laufe. Geärgert habe sich Putin bereits über Trumps Drohung auf Truth Social, man könne alles „auch auf die harte Tour“ machen, dann werde er Russland notfalls durch Zölle an den Verhandlungs­tisch zwingen.

Putin packt seinen Partner in Washington weiterhin in Watte. Schmalzig formulierte Putin: „Trump ist nicht nur ein kluger Mensch, er ist auch ein pragmatischer Mensch.“ Man vertraue einander.

Schon im nächsten Moment allerdings ließ Putin einen verkappten kleinen Warnhinweis aus Moskau folgen und sagte mit gespielt sorgenvollem Gesicht: „Ich kann mir kaum vorstellen, dass in Washington Entscheidungen getroffen werden, die der amerikanischen Wirtschaft selbst schaden würden.“ Zum Abschluss sprach er über Trump wie über jemanden, der sich einfach ein bisschen vergaloppiert hat: „Wahrscheinlich ist es besser, wenn wir uns treffen und angesichts der heutigen Realitäten in Ruhe über alle Bereiche sprechen, die sowohl für die USA als auch für Russland von Interesse sind.“

Nach Ansicht von Russland-Experten am renommierten Institute for the Study of War (ISW) deuten die Zeichen auf eine neue Nervosität im Kreml. Indem Putin so eifrig einer Ölpreis­senkung entgegenzuwirken versuche, zeige er auch, „in welchem Ausmaß er es für notwendig hält, der Elite seines inneren Zirkels entgegenzukommen, die persönliche Interessen im Energiesektor hat“. Sinkende Ölpreise, heißt es in der jüngsten ISW-Analyse, würden nicht nur Putins Staats­einnahmen verringern und seine Kriegs­maschinerie behindern, sondern auch „die Stabilität des russischen Regimes gefährden“.