Klare Worte statt Beschwichtigung: Für ihre konfrontative Rhetorik wurde die Außenministerin lange gefeiert. Doch die Unterstützung für Baerbock bröckelt.
AußenministerinWie Annalena Baerbocks konfrontativer Stil polarisiert
Der Satz ist zwar schon fast ein Jahr alt, aber er steht immer noch sinnbildlich für die programmatische Ausrichtung von Annalena Baerbocks Außenpolitik: „Diplomatie“, sagte die grüne Ministerin bei einer Pressekonferenz mit ihrem türkischen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu in Istanbul, „bedeutet nicht, nur Plattitüden auszutauschen.“
Das tat Baerbock dann auch nicht. Stattdessen holte sie zum Rundumschlag aus, kritisierte etwa den Umgang der türkischen Regierung mit dem oppositionellen Kulturförderer Osman Kavala und schlug sich im Streit um die Inseln in der Ostägäis auf die Seite Griechenlands. Es entwickelte sich ein Schlagabtausch auf offener Bühne, an dessen Ende Cavusoglu sogar CDU-Kanzlerin Angela Merkel hinterhertrauerte: „Um die Wahrheit zu sagen, war Deutschland in dieser Zeit ein ehrlicher Vermittler. Es war ausgewogen. Deutschlands Politik war ausgewogen.“
Nein, höfliche Phrasen, die zum Kern diplomatischer Gepflogenheiten gehören, sind nicht Baerbocks Sache. Daran hat sich nicht nur Cavusoglu gewöhnen müssen. Spätestens seit dem Ausbruch des Ukraine-Krieges ist auch im Auswärtigen Amt ein neuer Stil eingezogen: Konfrontation statt Beschwichtigung, Anklage statt Ausgleich, Klartext statt Floskeln lautet die Devise.
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Selbst Kretschmer dankte Baerbock für ihre klaren Worte
Das gilt vor allem in Richtung Russland: Schon kurz nach Kriegsausbruch schlug Baerbock den scharfen Ton an, der seither die Auseinandersetzung mit Moskau prägt: Bei der UN-Vollversammlung am 1. März letzten Jahres sagte die Außenministerin an den russischen Außenminister Sergej Lawrow gewandt: „Ihre Panzer bringen kein Wasser. Ihre Panzer bringen keine Nahrung für Babys. Ihre Panzer bringen keinen Frieden. Ihre Panzer bringen Tod und Zerstörung.“ Und in Richtung der internationalen Staatengemeinschaft: „In einer Frage von Krieg und Frieden kann niemand neutral sein.“
Ein Jahr später spiegelte sich die zuspitzende Konfrontation auch räumlich wider: „Herr Lawrow, stoppen Sie diesen Krieg. Stoppen Sie die Verletzung unserer internationalen Ordnung. Stoppen Sie die Bombardierung ukrainischer Städte und Zivilisten“, sagte Baerbock dem russischen Außenminister beim G20-Gipfel ins Gesicht. Lawrow saß ihr am riesigen Tisch beim G20-Gipfel genau gegenüber.
Für diese konfrontative Rhetorik haben ihr selbst Oppositionspolitiker Respekt gezollt. Im März 2022 dankte etwa der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) der Außenministerin „für die Klarheit, in der Sie in dieser schwierigen Phase Deutschland vertreten“.
Nach China-Reise: Kritik an Baerbock kommt nicht nur von Richard David Precht
Appeasement, wofür ihre sozialdemokratischen Vorgänger Heiko Maaß und vor allem Frank-Walter Steinmeier standen, galt als naiv und überholt. Und noch immer zählt Baerbock zu den beliebtesten Politikerinnen in Deutschland. In einer Umfrage von Infratest Dimap landet sie mit 47 Prozent Zustimmung auf Platz zwei hinter Verteidigungsminister Boris Pistorius. Doch die breite Unterstützung bröckelt.
Nicht nur wegen ihres Ausrutschers im Januar, als Baerbock im Europarat sagte: „Wir kämpfen einen Krieg gegen Russland“, und damit unfreiwillig Deutschland beziehungsweise Europa zur Kriegspartei erklärte. Jüngstes Beispiel für das Unbehagen über Baerbocks Rhetorik sind Reaktionen auf ihren Besuch in China. Auch dort kam es zum Schlagabtausch, als Baerbock die Menschenrechtslage kritisierte und eine klarere Positionierung Chinas zum russischen Angriffskrieg forderte. Die Antwort ihres Amtskollegen Qin Gang: „Was China am wenigsten braucht, ist ein Lehrmeister aus dem Westen.“
Für Aufregung sorgte weniger Baerbocks Auftritt selbst als vielmehr die abfällige Polemik, mit der der Philosoph Richard David Precht in seinem Podcast „Lanz & Precht“ die deutsche Außenministerin im Nachgang kritisierte. „Ein Unfall“, sei es, dass „diese Frau“ Außenministerin geworden sei. Wie eine „Klassensprecherin“ verhalte sich Baerbock. Statt einer „wertegeleiteten Politik“ betreibe Baerbock eine „konfrontationsgeleitete Politik“, kritisierte Precht.
Klare Worte auf Grundlage klarer Überzeugungen
„Die Art und Weise, wie diese beiden Herren über die Außenministerin geredet haben, finde ich anmaßend und überheblich. Aber die Kritik kann ich zum Teil nachvollziehen“, sagt Ursula Münch. Sie ist Professorin für Politikwissenschaft an der Universität der Bundeswehr München sowie Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing.
Aus Baerbocks konfrontativem Stil spräche zunächst eine inhaltliche Überzeugung. „Nämlich das Verständnis einer wertegeleiteten und feministischen Außenpolitik.“ Klare Worte, die auf Grundlage solcher Überzeugungen folgen, seien zwar „grundsätzlich gut“. Doch sie könnten auch zu Problemen führen: „Es ist ein sehr binäres, polarisierendes Denken, das bei Baerbock zum Ausdruck kommt: Wir wissen, was richtig ist, und ihr verhaltet euch dementsprechend. Das kann belehrend und besserwisserisch wirken“, sagt Münch.
Annalena Baerbocks Rhetorik polarisiert auch nach innen
Die konfrontative Rhetorik der Außenministerin polarisiert mittlerweile nicht nur nach außen, sondern auch nach innen, wie Politikwissenschaftlerin Münch einschätzt: „Die Auffassung, dass man stärker unterscheiden muss, mit wem man Außenhandelsbeziehungen führt, je nachdem, mit welchem Regime man es zu tun hat, ist sicherlich weit verbreitet.“ Auf der anderen Seite gäbe es gerade in Unternehmerkreisen und Wirtschaftsverbänden eine andere Auffassung: „Nämlich, dass die Bundesaußenministerin mit ihrer Art der Rhetorik massiv den Wirtschaftsinteressen Deutschlands zuwiderläuft und dabei bevormundend auftritt.“ Das seien vielleicht nicht die lautesten Stimmen, „aber sehr gewichtige. Denn dahinter stehen ganz massive Wirtschaftsinteressen.“
Kritik kommt auch vom rechten Flügel der SPD. Deutschland müsse eine „Wirtschaftspolitik auf Augenhöhe“ mit China anstreben, heißt es in einem Thesenpapier des Seeheimer Kreises, das öffentlich wurde, als Baerbock noch in China weilte. Die laut eigenen Angaben 93 Bundestagsabgeordneten forderten das Auswärtige Amt dazu auf, von einer zu stark konfrontativen Haltung Abstand zu nehmen.
Ihren einflussreichsten Kritiker dürfte Baerbock allerdings in Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) haben, der für einen ganz anderen Kommunikations- und Politikstil steht. Spannungen zwischen Kanzler und Auswärtigem Amt soll es schon länger geben.
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