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Falscher Verdacht auf KlimaaktivistenHunderte Autos beschädigt – steckt Russland dahinter?

Lesezeit 5 Minuten
ARCHIV - 28.10.2022, Nordrhein-Westfalen, Bonn: Ein Pkw mit doppeltem Auspuff steht auf einem Parkplatz. (zu dpa: «Behörden vermuten Russland hinter Auto-Sabotageserie») Foto: Oliver Berg/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Die Polizei verdächtigte zunächst Klimaaktivisten. Nun stellt sich heraus: Es war alles wohl ganz anders.

Hunderte Autos wurden mit Bauschaum beschädigt. Erst gerieten Klimaaktivisten ins Visier. Aber es steckt wohl Moskau hinter den Aktionen.

Der Auftrag war eindeutig: Über einen Messengerdienst soll ein russischer Drahtzieher drei junge Männer vom Balkan dazu angestiftet haben, pro Woche 500 Autos in Deutschland mit Baustoffschaum im Auspuff lahm zu legen. Das erfuhr der „Kölner Stadt-Anzeiger“ aus Sicherheitskreisen. Je beschädigtem Wagen sollten die Saboteure 100 Euro kassieren. Die Aktionen in mehreren Bundesländern sollten die Handlanger militanten Klimaaktivisten in die Schuhe schieben. Dazu sollten Sticker des Grünen-Wirtschaftsministers Robert Habeck mit der Aufschrift „sei ein grüner“ eine falsche Spur legen. Der Plan schien aufzugehen. „Klima-Radikale attackieren Autos mit Bauschaum“ titelte beispielsweise die Bild-Zeitung.

Fast zwei Monate später stellt sich nun heraus: Es war wohl alles ganz anders. Vor dem Hintergrund der anstehenden Bundestagswahlen versucht der Kreml offenbar massiv Einfluss auf die Meinungsbildung zu Gunsten der russlandfreundlichen AfD und der BSW zu nehmen. Ohne sich zu den Rechts- und Linkspopulisten äußern zu wollen, warnt Jürgen Kayser, Chef des NRW-Verfassungsschutzes, im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vor einem alarmierenden Trend: „In NRW erleben wir ähnliche Fake-Modelle. Die sogenannte Doppelgänger-Kampagne beispielsweise.“ Da loben russische Stellen über falsche Identitäten via Social Media oder auf nachgebauten Nachrichtenseiten das Regime des Autokraten Wladimir Putin in den höchsten Tönen.

Sabotage mit Bauschaum: Russland manipuliert mit Fake News

„Gezielt bauen die Russen über Twitter fingierte Profile auf, die dann etwa den Slogan kolportieren, dass die Unterstützung der Ukraine Deutschland ins Elend führe. Auch hetzen falsche Influencer gegen hiesige Parteien, die nicht genehm sind. Insbesondere gegen die Grünen“, berichtet Kayser. „Das war schon bei der letzten Bundestagswahl so. Durch Fake-News versucht man gerade diese Partei zu diskreditieren und auf diese Weise die Meinungsbildung in der Bevölkerung zu beeinflussen.“

Laut Kayser geschehe dies etwa über sogenannte „Low-Level-Agenten“, auch als Proxys bezeichnet, die für ein überschaubares Honorar angeworben werden, um Sabotageakte zu begehen. Anschließend versuche man die Taten über soziale Kanäle missliebigen Parteien zuzuordnen.

Geheimdienst gehe deutlich robuster vor

Die Geheimdienst-Operationen mit Hilfe von Kleinkriminelle haben nach Erkenntnissen des Landesverfassungsschutzchefs seit dem Beginn des Angriffskriegs auf die Ukraine vor allem einen Grund: „Viele russische Diplomaten aus Deutschland wurden ausgewiesen, das heißt man verfügt hier nicht mehr über ein entsprechendes Netzwerk professioneller Agenten.“

Zugleich stünden die russischen Nachrichtendienste unter hohem Erfolgsdruck, neue Informationen zu generieren oder Aktionen im Sinne des Kreml-Regimes durchzuziehen. „Und deswegen geht man deutlich robuster vor. Eine dieser Operationsmöglichkeiten ist eben diese Low-Level-Agents anzuwerben, die keine professionellen Nachrichtendienstler sind, sie mit finanziellen Prämien zu ködern und zu Sabotageakten anzustiften“, so Kayser.

Bauschaum-Attacke in Berlin

Es ist der 11. Dezember 2024, als das mutmaßliche russische Auto-Boykott auffällt. In der Nacht geraten die drei angeheuerten Saboteure in Berlin-Schönefeld in eine Routinekontrolle der Polizei. Die Männer lenken einen Transporter aus Ulm mit Bauschaum im Laderaum. Am folgenden Morgen gehen zahlreiche Anzeigen wegen Bauschaum im Auspuff von Fahrzeugen in Alt-Schönefeld ein. 43 Fahrzeuge sind betroffen. Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ hatte zuerst darüber berichtet.

Die drei Tatverdächtigen wanderten wegen Fluchtgefahr in Untersuchungshaft. Wie sich herausstellte, sollen sie in Baden-Württemberg, Berlin und Bayern 277 Fahrzeuge mit Bauschaum mit dem Hinweis auf Klima-Protestler geschädigt haben. Bei den Tatverdächtigen handelt es sich um einen 20 Jahre alten Serben, einen 17-jährigen Staatsangehörigen aus Bosnien-Herzegowina sowie einen 18 Jahre alten Deutschen, der ebenfalls aus dem ehemaligen Jugoslawien stammt.

Auftrag zur Attacke soll aus Russland gekommen sein

Nach Informationen dieser Zeitung hatte Letzerer den entscheidenden Link zur Russen-Connection gegeben. In seiner Vernehmung gab der Beschuldigte an, dass man über Messenger in Kontakt mit einem Russen gestanden habe, der den Auftrag zu den Auto-Attacken gegeben habe. Die drei Tatverdächtigen tauchten bisher nicht in den Akten der Spionage-Abwehr oder der Staatsschützer auf.

Der russischen Regierung geht es bei derlei Aktionen um Einflussnahme und Desinformation. So sollen zum Beispiel Fake News den Willensbildungsprozess beeinflussen. Zugleich aber sabotieren Russlands Schattenmänner kritische Infrastrukturen mittels Cyberangriffen. Das Ziel: In der Bevölkerung das Gefühl zu erzeugen, die Deutschen würden in einem unsicheren Land leben. Zudem soll das Vertrauen in die Regierungsinstitutionen geschwächt werden. „Um dann in einem zweiten Schritt Personen und Parteien zu stärken, die dem Autokraten in Moskau nahestehen“, sagt der Verfassungsschutzchef. „Inzwischen setzen die Russen viel mehr darauf, ihre Fake-News so zu verkaufen, dass man diese Infos für bare Münze nimmt. Wenn Social Media-Accounts keine russischen Fahnen aufweisen und die Propaganda nicht auf den ersten Blick direkt auf Putins Influencer schließen lässt, ist der Erfolg natürlich viel größer.

Drohnen-Überflüge haben zugenommen

„Zum vielfältigen Werkzeugkasten ausländischer Nachrichtendienste in Deutschland und in NRW gehört natürlich auch das Thema Aufklärung und Sabotage kritischer Infrastrukturen. Das können Krankenhäuser sein, das können Bundeswehrstandorte, Energieversorgungsunternehmen, Chemieparks oder Eisenbahnlinien sein“, sagt Kayser.

Oftmals gehe es nicht nur darum, einen Schaden anzurichten, sondern die Resilienz solcher Unternehmen und Infrastrukturen zu testen, erläuterte Kayser. „Und zwar für den Fall, dass es irgendwann zu einer weiteren Eskalation kommt. Heißt kurzum: Wie sind die Zielobjekte gesichert, welche Maßnahmen ergreifen Sicherheitsbehörden oder die Betreiber, um die Infrastruktur zu schützen?“ Kayser zufolge haben Fälle mit „möglichen Ausspäh- und Sabotagebezug auch in NRW deutlich zugenommen“. Zuweilen werde eingebrochen, ohne dass sichtbar etwas entwendet werde. Betroffen seien „wichtige Betriebe bis hin zur Wasserversorgung.“

Auch die Zahl der Überflüge durch Drohnen an neuralgischen Standorten habe stark zugenommen haben. „Möglicherweise hat man einfach versucht, die Sicherheitsvorkehrungen dieser Objekte zu testen. In dem Kontext gab es verschiedene Drohnenüberflüge an Bundeswehrkasernen in NRW sowie über den Chemiepark in Marl.“

In dem Kontext macht Kayser nochmals auf die die Bedrohungslage für den Chef des Konzerns Rheinmetall aufmerksam. Wie die Nato kürzlich berichtete, soll Moskau einen Mordanschlag auf Armin Pappberger in Auftrag gegeben haben. Seit Anfang 2024 gilt der Manager, der mit seiner Firmen-Gruppe das ukrainische Militär mit Rüstungsgütern und dem dortigen Aufbau von Fabriken unterstützt, als eines der Hauptziele des Putin-Regimes.

„Insgesamt muss man konstatieren, dass russische Dienste alles versuchen, insbesondere die militärischen Hilfsmaßnahmen für die Ukraine aufzuklären und zu sabotieren“, so Kayser. „Dazu gehört beispielsweise auch die Ausbildung ukrainischer Soldaten in Bundeswehrkasernen. Das Hauptziel ist, jegliche Unterstützung für Kiew zu bekämpfen. Folglich steigt auch die Anschlagsgefahr im Rüstungsbereich.“