Bundeskanzler Scholz reist zur UN-Vollversammlung nach New York. Der ukrainische Präsident wird sprechen – womöglich in einem Raum mit Russlands Außenminister.
Bundeskanzler in New YorkScholz bei den UN – Drei Minuten zwanzig auf der Weltbühne
Für Deutschland ist diese 78. Generalvollversammlung der Vereinten Nationen ein besonderes Jubiläum: Vor 50 Jahren wurden die Bundesrepublik und die DDR im Doppelpack aufgenommen. Kanzler Olaf Scholz (SPD) wird in New York für einen ständigen Sitz Deutschlands im UN-Sicherheitsrat werben. Die Bundesregierung hält eine Reform des Gremiums für überfällig, weil die fünf Vetomächte USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich für die Zeit des vorigen Jahrhunderts stünden, aber nicht für die Gegenwart.
Wieder dürfte aber dieser Mann auch diese weltgrößte Zusammenkunft der Diplomatie mit mehr als 140 Staats-und Regierungschefs prägen: der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj. Womöglich wird es Fotos für die Geschichte geben, falls er an diesem Mittwoch während einer sogenannten offenen Sitzung auf den russischen Außenminister Sergej Lawrow treffen sollte, dessen Land die Ukraine vernichten will.
Scholz kommt bei dieser Vollversammlung besondere Bedeutung zu. Die Präsidenten Chinas und Russlands reisen gewohnheitsgemäß nicht an und in diesem Jahr kommen werden auch Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron und Großbritanniens Premier Rishi Sunak nicht erwartet. Auf Ebene der Vetomächte ist allein US-Präsident Joe Biden da, auf EU-Ebene ist mit Scholz der einflussreichste Regierungschef vor Ort.
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Russlands Krieg wie ein roter Faden
In deutschen Regierungskreisen heißt es, Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine werde sich wie ein roter Faden durch die UN-Woche ziehen. Deutschland will den Angaben zufolge „vor den Augen der Weltöffentlichkeit die ganze Schrecklichkeit dieses Kriegs und das Ausmaß des Völkerrechtsbruchs durch Russland deutlich machen“. Alle Folgen - Ernährungskrise, Energiekrise, Inflation - seien „einzig und allein auf das Agieren Russlands zurückzuführen“. Es wird erwartet, dass Selenskyj für die Einsetzung eines Kriegsverbrechertribunals gegen Russland und seine Vorstellungen für Friedensverhandlungen werben wird, auf die Staaten wie Brasilien und Südafrika dringen.
Waffenlieferungen
Am Rande dürfte es auch um Waffenlieferungen gehen - von Deutschland wird eine Klärung erwartet, ob es Kiew Taurus-Marschflugkörper schickt. Scholz zögert, weil diese Waffen eine Reichweite bis zu 500 Kilometern haben. Befürchtet wird in Berlin eine Eskalation des Krieges, wenn Raketen auf russischem Territorium einschlagen. Andere Staaten liefern solche Waffen bereits im Vertrauen darauf, dass die ukrainische Regierung die Marschflugkörper nur zur Verteidigung gegen Russland im eigenen Land einsetzt.
Ein deutscher Diplomat betont, Deutschland „zickt“ nicht rum. „Das sind vielmehr wirklich schwerwiegende Abwägungen, die man sehr genau miteinander vornehmen und auch international miteinander absprechen muss. Dafür gibt es auch keine Blaupause.“ Er verweist auf den deutschen „Dreiklang“ bei der Unterstützung für die Ukraine - „militärisch, wirtschaftlich und diplomatisch-politisch“.
Reform des Weltsicherheitsrates
Die Reform des Sicherheitsrates sei ein „Evergreen“ seit 20 Jahren, „aber heute akuter denn je“, sagt ein deutscher Diplomat. Auch weil der globale Süden nicht in dem Gremium vertreten ist. Deutschland beansprucht schon lange einen eigenen Sitz. „Wir halten an diesem Ziel fest“, sagt ein Diplomat. Begründung: Deutschland ist zweitgrößter Geldgeber und zeige herausragendes Engagement für Multilateralismus, für die Vereinten Nationen und die regelbasierte Ordnung. In Regierungskreisen wird betont: „Wir sind anerkanntermaßen sehr gute Multilateralisten in Wort und in Tat.“ Ein greifbareres Ziel ist aber, im Achtjahresrhythmus 2027/2028 wieder einen nichtständigen Sitz im Sicherheitsrat zu bekommen.
Die Klimakrise und der Schatten
Die Klimakrise und die Fragen globaler und nachhaltiger Entwicklung sowie die Ernährungssicherheit sind Dauerthemen der UN. Schwer betroffene Länder in Afrika, Asien und Lateinamerika befürchten, dass Russlands Krieg ihre Zukunftssorgen erneut in den Schatten stellen wird. Bei einem Entwicklungsgipfel am Montag - auch dort wird ein Auftritt Selenskyjs erwartet - geht es um eine Halbzeitbilanz der UN-Nachhaltigkeitsagenda, die 2015 vereinbart wurde und 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung bis 2030 festgelegt hat. Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) zweifelt am Erfolg: Wenn die Welt so weitermache wie bisher, werden nach ihrer Einschätzung 2030 immer noch mehr als eine halbe Milliarde Menschen in extremer Armut leben. Neben Schulze sind auch die Bundesministerinnen Annalena Baerbock und Umweltministerin Steffi Lemke (beide Grüne) in New York.
Auszeichnung für Scholz
Scholz nimmt zum zweiten Mal an einer UN-Vollversammlung teil, in der Nacht zum Mittwoch hält er eine Rede. Die Dauer steht schon fest: drei Minuten, 20 Sekunden. Scholz, der von seiner Frau Britta Ernst begleitet wird, spricht auch beim Entwicklungsgipfel am Montag und wohl auch bei der offenen Sitzung am Mittwoch. Am Mittwochabend wird ihm der „Global Citizen Award“ von der Denkfabrik Atlantic Council verliehen. Scholz wird geehrt als „einzigartige Persönlichkeit und Weltbürger“. (RND)