Warum stürzen die Grünen in Köln ab? Warum ist die Linke so stark? Im Interview analysiert Politikwissenschaftler Stefan Marschall die Wahl.
Experte zum Wahlergebnis„Position der Grünen als stärkste Kraft in Köln ist gefährdet“

Wahlparty der Partei Bündnis 90/Die Grünen zur Bundestagswahl 2025 im Belgischen Viertel in Köln
Copyright: Herbert Bucco
Die Grünen sind erstmals seit 2019 nicht mehr stärkste Partei bei einer Wahl in Köln. War es das mit der grünen Erfolgswelle?
Naja, die grüne Erfolgswelle war ja in Köln auf einem hohen Niveau. So ganz verschwunden ist sie nicht, aber sie ist gedämpft worden. Aber bei den Erststimmen sehen die Grünen in Köln noch ganz gut aus im Vergleich zu anderen Gebieten in Deutschland. Von daher ist Köln so etwas wie eine grüne Insel, aber die Position der Grünen als stärkste Kraft in Köln ist gefährdet.
Warum verlieren die Grünen so deutlich?
Bei der Bundestagswahl 2021 war das Klima-Thema sehr dominant, das ist heute nicht mehr der Fall, die Themenkonjunktur hat sich zuungunsten der Grünen entwickelt, es geht mehr um die Migration und Wirtschaft. Die Grünen sind die Leidtragenden dieser Debattenverschiebung. Aber nochmal: Das passiert auf hohem Niveau. Man kann nicht sagen: Köln ist entgrünt worden.

Politikwissenschaftler Prof. Dr. Stefan Marschall.
Copyright: Marschall
Was folgern Sie daraus für die Partei? Soll sie abwarten, bis ihre Themen wieder en vogue sind? In sieben Monaten sind Kommunalwahlen.
In Großstädten werden die Grünen nicht nur mit dem Klima verbunden, sondern auch mit dem Thema Verkehrspolitik. Das ist ein ganz klassisches lokales Thema, das die Menschen beschäftigt. Zu diesen lokalen Themen gehören aber auch Schule oder Infrastruktur. Wollen Parteien eine Chance bei den Wählern haben, müssen sie sich um diese Themen kümmern. Aber da ist die Konkurrenz mittlerweile stark, beispielsweise die Linken, die in Köln markant gewonnen haben.
Den Grünen wird nachgesagt, sie würden Politik für ihre Besserverdiener-Blase machen und nicht für den sogenannten kleinen Mann. Sollte die Partei das ändern?
Ich glaube, das funktioniert bei den Grünen nicht so gut. Sie sind eine urbane Partei der Akademiker und Akademikerinnen. Das ist ihr Milieu und ihre Zielgruppe. Ihre Wählerinnen und Wähler sind üblicherweise nicht sozial schwach aufgestellt und wohnen nicht in Brennpunkten. In diesen Gebieten hätten die Grünen auch keine Chance.
In Köln werden die Ränder stärker, Afd und Linke sind vor allem in Brennpunkten stark. Warum?
Weil die Linke gezielt die Themen aufgegriffen hat, die die Menschen vor Ort beschäftigen: Dazu zählen Miete oder Inflation. Also Fragen wie: Frisst die Miete das Einkommen auf? Das Thema Klima spielt dort keine Rolle, wenn es erstmal darum geht, wie kann ich mein Leben einigermaßen gestalten. Dann ist die Frage sekundär, ob ich Bio esse oder nicht.
Und die AfD?
Sie schafft es, Menschen in Brennpunkten wie Chorweiler zu mobilisieren, auch bei der Frage der Migration.
In Köln sind viele Menschen immer stolz, dass die AfD in der Stadt keine guten Ergebnisse einfährt. Jetzt wählt jeder zehnte Kölner AfD. Ist die Partei in Köln endgültig angekommen?
Der Erfolg der AfD ist in anderen Teilen Deutschlands noch viel stärker ausgeprägt. Aber ja, die AfD ist kein rein ostdeutsches Phänomen und mittlerweile in bestimmten Stadtteilen wie Chorweiler angekommen.
Wie kann man denn politikverdrossene Menschen zurückholen?
Es braucht eine gute Politik. Das ist leichter gesagt als getan. Man muss den Menschen klarmachen, dass man sich kümmert. Die Parteien müssen in Stadtteilen vor Ort sein, in denen es auch ein bisschen wehtut. Wir beobachten aber, dass Parteien sich aus Stadtteilen zurückziehen, wenn sie diese als problematisch wahrnehmen oder ohnehin keine Chance haben.
Köln gibt beispielsweise für die Bühnen-Sanierung 1,5 Milliarden Euro aus. Sind das Themen, die Wählerinnen und Wähler kritisch sehen? Oder spielt das keine Rolle?
Doch. In einer Stadt ist es immer ein Thema, wofür Geld ausgegeben wird. Und wenn das Prestigeprojekte sind, wirft das die Frage auf: Was hätte die Stadt sonst mit dem Geld machen können? Das sind politische Entscheidungen, die die Parteien treffen, über die man auch diskutieren kann. Diese Entscheidungen transportieren immer Aussagen: Uns ist das wichtiger als etwas anderes. Und wenn sie die Bühnen nehmen, ist das eine ganz bestimmte Zielgruppe, die davon profitiert. Ein Stadtrat kann schon deutlich machen, dass er bereit ist, auch in anderen Bereichen Geld zu investieren. Das wäre schon ein wichtiges Zeichen.
Fünf Parteien haben in Köln zweistellige Ergebnisse geholt, es gibt keinen Wahlsieger mit viel Abstand. Was heißt das für die Kommunalwahl? Alles wird noch komplizierter?
Ja, und es wird noch mehr auf das Ergebnis der Oberbürgermeisterwahl ankommen. Und es dürfte im Stadtrat schwieriger als bisher werden, Bündnisse zu bilden. Wahrscheinlich werden noch mehr Parteien involviert werden müssen, weil sonst keine Mehrheiten zustande kommen. Doch auf der kommunalen Ebene ist das einfacher, weil die Ideologie weniger eine Rolle spielen. Und ein neuer OB kann ein Bündnis stärker führen.