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Kommentar

CDU-Chef und seine AfD-Aussagen
Friedrich Merz – kann der Kanzler?

Ein Kommentar von
Lesezeit 6 Minuten
Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz in einem blassroten Lichtkegel

CDU-Chef Friedrich Merz

Was die Interview-Äußerungen von CDU-Chef Friedrich Merz über das Verhältnis seiner Partei zur AfD lehren.

... über Friedrich Merz selbst

Friedrich Merz wollte nach den Merkel-Jahren mit ihrem Wabern in der Mitte wieder eine CDU mit klarer Kante. Nicht zuletzt sollte das die AfD „halbieren“. Beides hat Merz nicht erreicht. Ihm selbst und seiner Partei fehlt der Kurs, der Parteivorsitzende sorgt für Verunsicherung und Verwirrung. Obwohl die Abgrenzung zur AfD gerade auch im Osten vor den Landtagswahlen 2024 in Brandenburg, Thüringen und Sachsen höchste Priorität hat, droht das Thema Merz komplett zu entgleiten.

Aus seinem ZDF-Sommerinterview zu folgern, er wolle sich der AfD andienen, wäre boshaft. Es ist wohl eher so, dass Merz ausloten wollte, wie weit er die „Brandmauer“ verschieben kann, ohne sie zum Einsturz zu bringen. Dabei stellte er sich aber zum wiederholten Male ungeschickt an. Statt zunächst einen Gefolgsmann die Debatte eröffnen zu lassen und dann selbst weitsichtig-strategisch als Mittler zu fungieren – so hätte es übrigens Angela Merkel gemacht –, geht Merz selbst ungeschützt und ohne Not ins Feuer. Aus markig gedachten Äußerungen (Die CDU als „Alternative für Deutschland mit Substanz“) wird ein Muster. Merz kommt gereizt und unsouverän rüber. Im Hinblick auf seine Führungskompetenz ist das pures Gift. Selbst die eigenen Leute beschleicht der Zweifel: Kann der Kanzler?

... über den Zustand der Union

Die CDU ist in der Frage, wie nahe sie der AfD kommen darf, zutiefst verunsichert. Den internen Reaktionen auf Merz zufolge erwartet die überwiegende Mehrheit in der Partei eine möglichst große Abgrenzung nach Rechtsaußen. Das wurde vor allem im größten CDU-Landesverband Nordrhein-Westfalen deutlich, in dem Merz selbst zu Hause ist. Auffällig die Reaktion von NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst auf die Merz-Äußerungen zur AfD: Der schärfste Rivale des Vorsitzenden urlaubt – und schweigt beredt.

Viele in der Union sehen Merz‘ Autorität des Parteivorsitzenden schwer angekratzt. Hinter seinem AfD-Manöver verberge sich große Ratlosigkeit. Bemerkenswert war die Heftigkeit, mit der Merz aus den eigenen Reihen kritisiert wurde. Ein Hinweis auf Ratlosigkeit auch dort. Nachdem Merz seinen Gefolgsmann Carsten Linnemann zum Generalsekretär gemacht hat, befürchten manche umso mehr eine Achsenverschiebung nach rechts anstelle einer Politik der Mitte. Für die Merz-Kritiker in der Union war das Sommerinterview eine gute Gelegenheit, dem ungeliebten Parteichef einen mitzugeben.

Merz steht nun vor der schwierigsten Phase seiner Amtszeit: Er muss aufpassen, dass ihm die Partei nicht entgleitet. Es muss ihm schnellstens gelingen, dass das CDU-Führungspersonal in Bund und Ländern zum Thema AfD eine gemeinsame Linie und Sprache findet. Das dürfte nicht nur für die Wahlen entscheidend sein, sondern auch für die Karriere des Parteichefs.

... über das Führungspersonal der Ampel

Falsch und gefährlich realitätsblind wäre es, das Lavieren der CDU im Umgang mit der AfD als wesentlichen oder gar einzigen Grund für das Erstarken der Rechtsaußenpartei zu sehen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und seine Ampel-Koalitionäre haben sich, so scheint es, mit letzter Kraft in die Sommerpause gerettet. Das schlechte Regierungshandwerk beim Heizungsgesetz, der offene Streit über den Haushalt, Durchstechereien, permanentes Gezänk zwischen Robert Habeck (Grüne) und Christian Lindner (FDP) haben in der Bevölkerung zu Verdruss über das Regierungspersonal geführt - und zu einem Ohnmachtsgefühl: Wenn die da oben so miteinander umgehen, was wird derweil aus uns?

Die miserable Qualität des Regierungshandelns der Ampel hat nicht nur einen großen Anteil, sondern ist die Hauptursache dafür, dass sich die AfD mit billigem Populismus als Partei der „Kümmerer in unsicheren Zeiten“ aufspielen kann. SPD, Grüne und FDP haben also keinen Anlass, mit dem Finger auf Merz und die CDU zu zeigen. Nach der Sommerpause müssen sie dringend zu einer Politik finden, die den drängendsten Sorgen der Menschen gerecht wird. Den Beweis für diese Ausrichtung – so hart muss man es sagen - ist das gesamte Führungspersonal der Ampel bisher schuldig geblieben.

Fast könnte man auf die Idee kommen, die erwartete Partei-Neugründung durch Sahra Wagenknecht sei eine Art Reißzwecke, die ein weiteres Fläzen in den Sesseln der Macht verhindern soll. Die Unzufriedenen, die sich dann bei Wagenknecht am linken Rand sammeln oder von Rechtsaußen zu ihr hinüberwechseln, dürfen die Regierenden nicht gleichgültig lassen. Völlig falsch wäre es deswegen auch, die AfD nur als Auffangbecken für Protest- und Wutbürger zu begreifen, an die man angeblich gar nicht mehr herankommt.

… über die Stimmung in der Gesellschaft

Gesellschaftlicher Wandel, Reformen, Fortschritt – das sind, anders als in früheren Zeiten, keine positiv besetzten Begriffe mehr. Im Gegenteil. Durch plötzlich auftretende Krisen wie die Corona-Pandemie und den Krieg gegen die Ukraine oder durch „Dauerbrenner“ wie die Klimakrise erzwungene Veränderungen wirken bedrohlich, nicht befreiend. Sie machen Angst statt Hoffnung. Deswegen hat Reformverweigerung Konjunktur. Rückwärtsgewandtheit als politische Perspektive gaukelt den Menschen vor, es könnte alles so bleiben, wie es ist, oder gar, es würde wieder werden „wie früher“.

Doch reaktionäre Parteien wie die AfD beschwören eine Vergangenheit, die es in Wahrheit nie gab. Und die meisten Menschen wollen am Ende auch gar nicht dahin zurück. Das unerwartet schwache Abschneiden der spanischen Konservativen in der Parlamentswahl vom Sonntag erklärt sich auch dadurch, dass eine Mehrheit der Spanier vor den Parolen der rechtspopulistischen „Vox“-Partei zurückgeschreckt ist, einen einmal erreichten sozialen Wandel – etwa in Fragen von Gleichberechtigung und Geschlechtergerechtigkeit – kurzerhand rückabzuwickeln.

Wer der AfD erfolgreich entgegentreten will, braucht deshalb eine leitende Idee, warum Veränderungen – trotz aller Zumutungen – gut sind, und zwar nicht nur für einige wenige Reformgewinnler.

… über den richtigen Umgang mit der AfD

Aber wie denn nun umgehen damit, dass es auf kommunaler Ebene sehr leicht politische Überschneidungen mit der AfD geben kann? Etwa wenn die CDU im Rat den Ausbau einer Schule oder einen neuen Zebrastreifen will, die AfD-Fraktion aber auch? Hierzu macht NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) einen sinnvollen Vorschlag: Stellt die AfD im Stadt- oder Gemeinderat einen solchen Antrag, lehnen die anderen Fraktionen ihn ab und beschließen stattdessen gemeinsam einen eigenen, inhaltlich gleichen.

So wird der Anschein vermieden, mit den Populisten gemeinsame Sache zu machen. Und: Die AfD kann die anderen Parteien nicht damit einwickeln, dass sie deren Ziele übernimmt. Genau darum aber geht es den Rechtspopulisten strategisch: um Gewöhnung, Normalisierung und zunehmende Akzeptanz, angefangen in den Kommunen, später dann womöglich auch in den Landtagen und im Bundestag.

Alle demokratischen Parteien, vor allem aber die CDU, müssen ihre Regeln im Umgang mit der AfD auf sämtlichen föderalen Ebenen prüfen und schärfen, angefangen in der Kommunalpolitik. Wenn der AfD-Landrat in Thüringen den CDU-Bürgermeister anruft, soll der den Hörer abnehmen können. Sprechen muss man miteinander, gerade auf der lokalen Ebene. Das auszuschließen, wäre in der Tat weltfremd. Aber wer mit einem politischen Gegner spricht, ist immer noch weit entfernt von einem „gemeinsamen Gestalten“ (Merz), von politischen Kooperationen also oder gar von Koalitionen.

Programmatisch und bei den konkreten Inhalten muss es weiterhin das Ziel aller Parteien sein, die AfD zu stellen und ihre angeblichen Konzepte - raus aus der EU, raus mit Ausländern, raus aus dem Klimaschutz – als das bloßzulegen, was sie sind: demokratieverachtend, unmenschlich, zukunftsfeindlich.