Der Höhenflug der AfD muss unbedingt als ein gesamtdeutsches Problem verstanden werden.
Umfrage-Rekord für AfDAmpel muss Ohnmachtsgefühle der Bevölkerung endlich ernst nehmen
Die AfD liegt einer Umfrage zufolge bundesweit nun bei 22 Prozent und nur noch vier Prozentpunkte hinter der Union. Das ist der höchste Wert, der bislang für die Rechtsaußen-Partei gemessen wurde. Die Erzählung, dass der Höhenflug der Rechtspopulisten vor allem ein ostdeutsches Phänomen sei, erweist sich aufgrund der aktuellen Daten als Trugschluss.
Sicher: Im Osten zeigt sich der Rechtsdrall deutlicher, und das auch nicht erst, seit es der AfD gelang, in Thüringen erstmals einen Landrat und in Sachsen-Anhalt einen Bürgermeister zu stellen. Dennoch muss die AfD, das zeigen die jüngsten Erhebungen, unbedingt als ein gesamtdeutsches Problem verstanden werden.
Wenn nun aber das in Westdeutschland gerne verwendete, weil bequeme Argument nicht mehr verfängt, dass vor allem die totalitarismusgeschädigten Bürgerinnen und Bürger der ehemaligen DDR für Rechtspopulismus und Versprechungen aus einer guten alten Zeit anfällig seien – was sind dann die Ursachen für den Erfolg der AfD?
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Darüber diskutiert die Politik schon seit Wochen: Mal wird das schlechte Regierungshandwerk der Ampel genannt, mal eine wahlweise zu lasche, zu schrille, in jedem Fall aber angeblich falsche Positionierung der Union unter Friedrich Merz.
Einer der angesehensten Soziologen in Deutschland, Klaus Hurrelmann, führt bei der Ursachensuche nun eine neue Ebene ein. Er attestiert der Gesellschaft eine „posttraumatische Belastungsstörung“, die sich letztlich auch im Höhenflug der AfD äußere.
Alle Bevölkerungsgruppen, schreibt Hurrelmann in einem Gastbeitrag für die „Süddeutsche Zeitung“, litten unter den Spätfolgen der Corona-Pandemie, unter der Belastung durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine sowie an den Ängsten, die Klimawandel und Migration auslösen. Millionen Menschen hätten während der Pandemie das Gefühl gehabt, das eigene Leben nicht gestalten zu können, was zu einer tief sitzenden, immer noch nachwirkenden Ohnmacht geführt habe. Kurz: Den Menschen sei die Lebensorientierung abhanden gekommen. Ein Aspekt, den die Bundesregierung sträflich vernachlässige – und der es der AfD einfach mache, sich mit billigem Populismus als „Kümmerer in unsicheren Zeiten“ aufzuspielen.
Vieles spricht dafür, dass Hurrelmanns Diagnose einer mentalen Dauerkrise der Gesellschaft stimmt und dass die Ampel in Berlin diesen Aspekt lange nicht ernst genommen oder gar ausgeblendet hat. Der lähmende Streit zwischen Grünen und FDP, das hochkomplexe wie untaugliche und bürgerferne Heizungsgesetz, das oft irritierende Abtauchen des Bundeskanzlers – all das dürfte in den vergangenen Monaten dazu beigetragen haben, das Ohnmachtsgefühl in weiten Teilen der Bevölkerung weiter zu steigern.
Für die Ampelregierung bedeutet das: Nach der Sommerpause muss ein politischer Neustart her. Olaf Scholz und sein Kabinett müssen endlich zu einem Politikstil finden, der die Bürgerinnen und Bürger auch emotional erreicht und ein Gefühl von „Machbarkeit, Verstehbarkeit und Sinnhaftigkeit“ (O-Ton Hurrelmann) vermittelt. Dann sollten auch die Chancen wachsen, den von uneinlösbaren Versprechen getragenen Höhenflug der AfD und den Prozess der Entfremdung zwischen Regierenden und dem Wahlvolk zu stoppen. Viel Zeit bleibt nicht, um weitere Erfolge der AfD in den Landtagswahlen 2023 und 2024 zu verhindern.