Streit um Corona-GutachtenLauterbach reagiert auf Kritik von Streeck und Co.
Hamburg/Berlin – Der Streit über das Sachverständigen-Gutachten zu den Corona-Maßnahmen geht weiter. Drei Mitglieder der Kommission wehren sich in einem Beitrag für „Zeit Online“ gegen die Kritik an ihrer Arbeit. „Die Kommission wird eingesetzt, arbeitet, liefert pünktlich. Und muss am Tag der Abgabe von führenden Politikerinnen und Politikern lesen, dass man „eh schon alles wisse“ und das Gutachten kein „Bremsklotz“ sein dürfe“, schreiben die Sozialforscherin Jutta Allmendinger, der Volkswirt Christoph Schmidt und der Virologe Hendrik Streeck.
„Eine detaillierte Bewertung von einzelnen Maßnahmen der Corona-Pandemie ist schlichtweg nicht möglich“, erklärten Allmendinger, Schmidt und Streeck. „Wir haben angemeldet, dass wir weitere Expertise und mehr Zeit bräuchten“, führte Streeck am Dienstagabend bei „Markus Lanz“ schließlich aus. Dennoch erwarte man, „dass die Evaluation ernstgenommen wird“, sagte Streeck mit Bezug auf die Worte von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD).
Karl Lauterbach: „Ich weiß, wie undankbar das ist“
Der SPD-Politiker verteidigte seine eigenen Anmerkungen zur Arbeit der Kommission am Dienstagabend ebenfalls in der ZDF-Sendung. „Ich weiß, wie undankbar das ist“, sagte er mit Blick auf die ehrenamtliche Tätigkeit der Gutachter. Fehler bei der Besetzung der Kommission - etwa mit zu wenigen Virologen - seien in der vergangenen Legislaturperiode gemacht worden. „Ich hatte mit der Besetzung nichts zu tun.“ Das Gutachten sei einer von mehreren Bausteinen bei der Beurteilung der Corona-Vorbereitungen für den Herbst, die nun mit Tempo vorangebracht werden müssten, bekräftigte Lauterbach.
Seine „Bremsklotz“-Äußerung sei nicht auf das Gutachten an sich bezogen gewesen, sondern auf dessen mögliche politische Instrumentalisierung, um Maßnahmen für den Herbst aufzuhalten. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hatte zuvor Verhandlungen über Corona-Maßnahmen im Herbst an die Veröffentlichung des Gutachtens geknüpft.
Karl Lauterbach weist Kritik von Svenja Flaßpöhler zurück
Mit Blick auf drohenden Maßnahmen im Herbst erklärte Lauterbach, dass er nicht damit rechne, dass es noch einmal zu Schulschließungen in Deutschland komme – ausschließen wollte er die Maßnahmen jedoch nicht, da man das Auftreten einer neuen Corona-Variante nicht ausschließen könne. „Das gefährlichste Szenario wird wahrscheinlich nicht kommen, aber ich muss mich darauf vorbereiten“, erklärte Lauterbach.
Das wiederum sorgte für Kritik von der Philosophin Svenja Flaßpöhler, die ebenfalls in der Talkrunde dabei war, und Lauterbach vorwarf, „immer vom Worst-Case“ und einem „Killervirus“ auszugehen und damit heftigen Widerspruch des Gesundheitsministers auslöste. „Es ist ein Unterschied, ob ich etwas nicht ausschließen kann, oder ob ich immer vom schlechtesten Fall ausgehe“, erklärte Lauterbach, Letzteres tue er nicht. „Das ist einfach nicht seriös, wenn sie das sagen.“ Flaßpöhler ignorierte den Einwand jedoch und setzte ihre Kritik an der Corona-Politik der Bundesregierung fort – die Politik berufe sich auf die „empirische Ungewissheit“, um „keine Verantwortung übernehmen zu müssen“. Lauterbach widersprach erneut.
Expertenkommission zieht gemischte Bilanz
Die Expertenkommission hatte am Freitag festgestellt, dass die Wirkungen und Nebenwirkungen einzelner bisheriger Schutzmaßnahmen in der Corona-Krise kaum für sich genommen beurteilt werden könnten. Insgesamt zog das Gremium eine gemischte Bilanz. Mit am deutlichsten war die Aussage zur hilfreichen Wirkung von Masken - wenn sie richtig getragen werden.
Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) mahnte die verantwortlichen Politiker, das Land schon jetzt für den Herbst zu wappnen. „Alle, die Regierungsverantwortung tragen, müssen jetzt Vorsorge für den Herbst treffen. Ein Pandemie-Herbst des Chaos muss verhindert werden. Dafür braucht es vorsorgende Entscheidungen“, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. Dabei gehe es nicht um neue Maßnahmen, sondern bereits bewährte Vorkehrungen: „Maskenpflicht in Innenräumen, Kontaktbeschränkungen für bestimmte Bereiche, besonderer Schutz für empfindliche Gruppen, um gerade auch Kindern den Schulbesuch zu sichern.“
Das könnte Sie auch interessieren:
Unternehmen sollten wieder mehr Arbeit im Homeoffice ermöglichen. Im vergangenen Herbst und Winter hätten Personalausfälle schätzungsweise mehr als sieben Milliarden Euro Kosten verursacht, sagte Göring-Eckardt. „Ein solcher Schaden darf sich gerade jetzt nicht wiederholen.“
Das neue schwarz-grüne Landeskabinett in Nordrhein-Westfalen hatte am Dienstag einen Fahrplan für den „dritten Corona-Herbst“ vorgelegt. Der Schwerpunkt liegt dabei auf mehr Vorsicht statt Lockerungsdruck - vor allem zugunsten besonders schutzbedürftiger Gruppen wie älterer und kranker Menschen. (das/dpa)