Berlin – Der Corona-Sachverständigenrat der Bundesregierung hat am Freitag seinen Bericht zur Effektivität von Maßnahmen wie 2G, 3G oder der Maskenpflicht vorgestellt. Vorab hatten die „Welt am Sonntag“ und die „Süddeutsche Zeitung“ einen Entwurf der Evaluation veröffentlicht, in dem die Experten zu einem deutlichen Ergebnis kommen. Diese Maßnahmen empfiehlt der Corona-Sachverständigenrat für den Herbst.
Corona: Maskenpflicht, 2G und 3G
Über der gesamten Bewertung der bisher eingesetzten Maßnahmen schwebt ein Aspekt wie ein Damoklesschwert: „Während in anderen Ländern Möglichkeiten zur Einschätzung der Wirkung von nicht-pharmazeutischen Maßnahmen genutzt wurden, ist eine koordinierte Begleitforschung in Deutschland weitgehend unterblieben“, heißt es im Bericht.
Das heißt im Klartext: Um bei vielen Aspekten ein abschließendes und gültiges Urteil fällen zu können, braucht es Daten, die dem Sachverständigenrat nicht zur Verfügung gestellt werden. Daher gebe es keinerlei Forschungskonzept, „um [...] auf Grundlage besserer Daten und darauf aufbauender Analysen die anstehenden Entscheidungen in der Pandemie zu fällen.“
Die von vielen Bürgerinnen und Bürgern erwartete Kosten-Nutzen-Analyse vieler Maßnahmen ist also nicht möglich. Allerdings gibt das Gremium dennoch Empfehlungen ab. So sei das Maskentragen in Innenräumen positiv. Gleichzeitig schränkt es ein: „Eine generelle Empfehlung zum Tragen von FFP2-Masken ist aus den bisherigen Daten nicht ableitbar.“
Der Virologe Hendrik Streeck sagte auf der Pressekonferenz: „Wir haben eine schlechte Datenlage. Wenige der Publikationen haben den Evidenzgrad, den man sich wünschen würde.“ Christoph M. Schmidt, Leiter des Leibniz-Instituts, fordert den „Mut zur Stichprobe“, um eine bessere Datenlage zu schaffen.
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Ähnliches gilt für die 2G- oder 3G-Modelle aus dem vergangenen Sommer und Herbst: Der Sachverständigenrat legt aber nahe, das angesichts der sinkenden Schutzwirkung der Impfung auch Geimpfte von einer möglichen Testpflicht nicht befreit werden sollten.
„Der genaue Effekt [...] auf die Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus ist trotz biologischer Plausibilität und zahlreicher Studien weiterhin offen, auch weil die Effekte der Einzelmaßnahmen nicht evaluiert werden können.“ Auch hier fehlen schlichtweg Daten zur genaueren Auswertung.
Lockdown und Schulschließungen
Im Bezug auf Geschäftsschließungen und weitere Lockdown-Maßnahmen kommt das Gremium zu keinem abschließenden Urteil. Es sei angesichts der vorhandenen Datenlage nicht möglich zu erkennen, ob und welche Maßnahmenpakete wie stark und zuverlässig gewirkt hätten.
„Je länger ein Lockdown dauert und je weniger Menschen bereit sind, die Maßnahmen mitzutragen, desto geringer ist der Effekt und umso schwerer wiegen die nicht-intendierten Folgen“, heißt es im Abschlussbericht. Zu den Folgen zählen etwa verschobene Behandlungen in Krankenhäusern, die Zunahme von psychischen Erkrankungen oder eine steigende Armut.
Schulschließungen haben Kinder zudem besonders belastet: „Physische und psychische Belastungen der Kinder sind auch empirisch gut belegt, die Betroffenheit unterscheidet sich dabei deutlich nach dem sozioökonomischen Status der Familien.“ Diese Belastung soll von einer weiteren Expertenkommission untersucht werden.
Corona-Impfungen
Die Wirksamkeit von Corona-Impfungen wurde seitens der Kommission nicht gesondert bewertet, sie verweist in ihrem Abschlussbericht auf die Ständige Impfkommission und das Paul-Ehrlich-Institut. Impfungen bleiben aber eine der wenigen gesicherten Maßnahmen aus der Pandemie heraus.
Corona: Enorme Kritik an Gesetzgebung
Der Sachverständigenrat kritisierte zudem das Zustandekommen der Corona-Maßnahmen und deren Beschluss. Durch das stetige Verlängern der epidemischen Lage von nationaler Tragweite sei in der Bevölkerung der Eindruck erweckt worden, das „Sonderregime“ aus Bund und Ländern solle dauerhaft bestehen bleiben.
Zugleich habe die Aufhebung der Lage im November den Eindruck erweckt, dass die Pandemie vorbei sei. Auch an der Bund-Länder-Runde an sich wurde Kritik geübt. Sie habe „hinter verschlossenen Türen getagt“, bis heute fehle eine konkrete Antwort auf die Frage, welche Experten bei der Entscheidungsfindung gehört wurden.
Wie geht es nach dem Gutachten weiter?
Vor allem die FDP hatte als Teil der Ampel-Koalition immer wieder auf den Bericht des Sachverständigenrats gedrängt, um über neue Corona-Maßnahmen für den Herbst zu entscheiden. Da der Sachverständigenrat die Maßnahmen selbst als nur „teilweise wirksam“ einstuft, ist offen, welche Optionen für den Herbst und Winter überhaupt zurückkehren.
Der Virologe Christian Drosten hatte das 18-köpfige Gremium im Frühjahr nach Unstimmigkeiten verlassen und war durch Klaus Stöhr ersetzt worden. Stöhr soll sich mit den übrigen Mitgliedern des Gremiums, das auch aus Juristen und Naturwissenschaftlern besteht, nicht in allen Punkten einig gewesen sein. Daher ist an einigen Stellen auch vermerkt, dass er der Einordnung nicht zustimmt.
Gemeinsam mit Justizminister Marco Buschmann (FDP) wird Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) nun ein Maßnahmenpaket für den Herbst auf die Beine stellen.