AboAbonnieren

„Wollte mich nicht in Talkshow-Zirkus begeben“Christian Drosten blickt kritisch auf die Pandemie zurück

Lesezeit 4 Minuten
Christian Drosten und Georg Mascolo, lit.Cologne Spezial 2024

Georg Mascolo, Christian Drosten und Sarah Zerback im Gespräch bei der lit.Cologne Spezial 2024 im WDR-Funkhaus

Virologe Christian Drosten und Journalist Georg Mascolo fordern in ihrem neuen Buch eine Aufarbeitung der Corona-Pandemie.

Am 27. Januar 2020 wurde der erste Covid-19-Fall in Deutschland gemeldet. Im Februar 2023 verschwanden mit dem Ende der Maskenpflicht im öffentlichen Fernverkehr die letzten sichtbaren Corona-Schutzmaßnahmen aus dem Alltag. Die Pandemie ist vorbei – was bleibt, sind eine Menge offener Fragen über drei lange und komplizierte Jahre dazwischen. Haben wir etwas daraus gelernt? Und was passiert, wenn die nächste Pandemie kommen sollte?

„Wäre das morgen, dann wären wir exakt so unvorbereitet in der Frage, wo eigentlich zentrale Entscheidungen diskutiert und getroffen werden sollen, wie wir es beim letzten Mal waren“, sagt der Investigativjournalist und frühere Chefredakteur des „Spiegel“, Georg Mascolo. Ihm gegenüber sitzt Virologe Christian Drosten – seine Stimme hat die meisten Menschen in Deutschland fast täglich durch die Pandemie begleitet. Gemeinsam haben Drosten und Mascolo ein Buch über die Corona-Pandemie geschrieben, das sie nun im Rahmen der lit.Cologne Spezial vorstellten. Sie plädieren darin für eine Aufarbeitung der Corona-Jahre, vor allem seitens der Politik.

Wäre das morgen, dann wären wir exakt so unvorbereitet in der Frage, wo eigentlich zentrale Entscheidungen diskutiert und getroffen werden sollen, wie wir es beim letzten Mal waren
Georg Mascolo

„Wir werden es bereuen, wenn wir uns nicht einen klugen Weg der Aufarbeitung suchen“, betont Mascolo. Man könne dieses Themenfeld weder denjenigen überlassen, die es zu unbequem finden, über eigene Fehler nachzudenken, noch denjenigen, die die Geschichte dieser Pandemie überschreiben wollen. Wichtige Diskussionen über das, was in dieser Gesellschaft passiert, sollten wir nicht den jeweils schärfsten Positionen und den Rändern überlassen, so Mascolo, sie gehörten in die Mitte der Gesellschaft – auch an den Stellen, wo es schwierig wird. Wir schuldeten uns diesen Blick zurück, um für das nächste Mal besser gerüstet zu sein.

Alles zum Thema Christian Drosten

Diskussion über Pandemie gehört in die Mitte der Gesellschaft

Bei ihrem persönlichen Rückblick am Abend der Veranstaltung rücken Mascolo und Drosten immer wieder den Sommer und Herbst 2020 als besonders dramatische Zeit in den Fokus. Beide Autoren blicken dabei kritisch auf die Schulschließungen zurück, auch wenn diese, wie Drosten später erklärte, neben Kontaktbeschränkungen zu den wirksamsten Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Pandemie zählen.

Eine Aufarbeitung in der Wissenschaft habe längst begonnen, wenn auch, wie Drosten bemerkt, „leider auf Englisch und kleingedruckt.“ Laut der neuesten Untersuchungen waren auch Maßnahmen wie Homeoffice stark wirksam. Das wirft die Frage auf, ob eine Homeoffice-Pflicht anstelle von Schulschließungen nicht besser gewesen wäre – und, weiter gefasst, wer eigentlich in einer Pandemie welche Lasten tragen muss. Es sind Entscheidungen wie diese, die es nun aufzuarbeiten gilt.

Hatte die MPK zu viel Macht?

Entscheidungen, die zu einem großen Teil die sogenannte MPK, die Ministerpräsidentenkonferenz, getroffen hat – ein Gremium, von dem die meisten Menschen vorher nicht einmal wussten, dass es existiert und das man in keinem Pandemie- oder Katastrophenschutzplan finde, wie Mascolo sagt. Es sei ein großer Fehler gewesen, nicht einmal im Verlauf der Pandemie zu fragen, ob die MPK der richtige Entscheidungsträger war. Er kenne inzwischen unzählige Äußerungen aus der Politik, die dieses Vorgehen nicht noch einmal unterstützen würden. Doch einen Alternativplan für das nächste Mal gibt es bislang nicht.

Drosten äußert unterdessen scharfe Kritik am Umgang der Medien mit der Pandemie. Während man sich zu Beginn noch nach den Fakten gerichtet habe, sei die Diskussion nach der ersten Welle aus einer kontrollierten, wissenschaftsbasierten Sphäre hinaus und in die Talkshows hinein gegangen. Dort hätten nun Leute gesessen, die ohne Begründung bezweifelten, ob es beispielsweise überhaupt eine Winterwelle gibt. Das wiederum habe dazu geführt, dass während im Sommer und Herbst 2020 in verschiedenen wissenschaftlichen Organisationen einheitlich zur Vorsicht aufgerufen wurde, plötzlich der Berufsverband von Fachärzten ohne Nachweise das Gegenteil behauptet habe.

Ich bin hier nicht der Held der Nation.
Christian Drosten

Auf die Frage der Moderatorin des Abends, Deutschlandfunk-Redakteurin Sarah Zerback, warum Drosten in jenem Winter so leise geworden sei, entgegnete dieser: „In meiner Auffassung war ich gar nicht so leise, ich hab mich nur einfach nicht in diesen Talkshow-Zirkus begeben, weil das zu nichts führte.“ Das ständige Streiten und Kontrastieren einzelner Expertenmeinungen habe die Auffassung der Wissenschaft zerstört. Zu dieser Zeit wurde er selbst zur Zielscheibe medialer Angriffe. Er wollte seine Expertise und Informationen zur Verfügung stellen, so Drosten, sich aber auch nicht den Medien aufopfern: „Ich habe mir dann auch gedacht, ich bin hier nicht der Held der Nation.“


Alles überstanden? Ein überfälliges Gespräch zu einer Pandemie, die nicht die letzte gewesen sein wird“, Christian Drosten, Georg Mascolo, Ullstein-Verlag, 272 Seiten, 24,99€