Cordula Stratmann eröffnete im WDR-Funkhaus im Gespräch mit Michel Abdollahi die lit.Cologne Spezial.
Auftakt der lit.Cologne SpezialWer Humor hat, ist in der Bringschuld
Cordula Stratmann ist eine Rampensau, davon ist wohl jeder überzeugt, der sie schon mal auf einer Bühne gesehen hat: Locker, schlagfertig und lustig, wie sie ist, hat sie jedes Publikum sofort auf ihrer Seite. Das war auch am Montagabend bei der Eröffnung der lit.Cologne Spezial im ausverkauften Klaus-von-Bismarck-Saal im WDR-Funkhaus so. Und gerade deshalb tat es wohl vielen im Publikum gut zu hören, dass die Komikerin und Autorin sehr nervös vor diesem Auftritt war, wie Moderator Michel Abdollahi verriet.
Denn bei aller Liebe zu Komik und auch Klamauk gibt es Themen, die Stratmann sehr umtreiben. Wie entwickelt sich unsere Gesellschaft? Wie kommen wir wieder miteinander ins Gespräch? Es sind Fragen wie diese, über die die Familientherapeutin nun ein Buch mit nachdenklichen und oft auch lustigen Alltagsbeobachtungen und Überlegungen geschrieben hat: „Wo war ich stehen geblieben?“
Die Tücken des Alltags
Lange hätten sie im Vorfeld darüber diskutiert, wie sie an diesem 7. Oktober, in einen Abend starten sollten, der ganz im Zeichen an die Erinnerung an das Hamas-Massaker vor einem Jahr steht, sagte Abdollahi. Stratmann entschied sich, Auszüge eines Textes zu lesen, der es nicht ins Buch geschafft hatte, weil es nur eine Momentaufnahme war und in dem sie ihre „Verstörtheit“ darüber zum Ausdruck brachte, „wie selbstverständlich mit Vergeltung umgangen wird“. Sie wollte das Prinzip Hass ergründen, stellte dann aber fest, dass sie vollends überfordert sei bei diesem Thema - aber nicht auf menschlicher Ebene. Und so schrieb sie darüber, was Menschen anderen Menschen anzutun in der Lage sind. „Spreche ich jemandem sein Recht auf Leben ab, so ist meines in derselben Weise nichts wert.“ Die Antwort auf Hass dürfe niemals Hass sein, zitierte sie Margot Friedländer.
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Nach diesem, wie sie selbst sagte, etwas hilflosen Versuch, auf dieses katastrophale Thema einzugehen, widmeten sich Michel Abdollahi und Stratmann den Tücken des Alltags und den Lehren, die wir daraus ziehen. Das konnte eine heitere Auseinandersetzung mit der Herausforderung sein, wie man damit umgeht, wenn man von seinen Eltern nicht mit einem wohlklingenden Namen beschenkt wurde. An „Cordula“ ließ sie da kein gutes Haar, räumte aber ein, dass auch der Umgang mit den Reaktionen auf ihren Namen dazu geführt habe, dass Humor von Anfang ihr Lebensbegleiter gewesen sei.
Interessant war auch ihre Reaktion auf die Frage, wie man reagiert, wenn etwa, wie Abdollahi berichtete, im Fitnessstudio plötzlich jemand das eigene Handtuch auf den Boden wirft und das Gerät belegt, das man nur kurz verlassen hatte. Eskalation sei da der falsche Weg, Stratmanns Rat: „Der Klügere gibt nach.“ Das habe ihr schon ihre Mutter eingebläut. Und überhaupt sei sie überzeugt, in solchen Momenten seien Menschen, die sich ihren Humor bewahrt haben, in der Bringschuld.
Ein Mangel an Selbstreflexion
Überhaupt ist das Thema Kommunikation eines, das die Therapeutin sehr umtreibt. Während der Corona-Pandemie habe es einen kurzen Moment des „Wir“ gegeben - danach habe man sich darauf verständigt, einander nicht mehr zu verstehen. „Es wäre gut, wenn wir in Verbindung gingen, komplett allein sterben wir. Wir brauchen einander“, so Stratmann. Sie schaue mit Sorge auf die gesellschaftliche Entwicklung und konstatierte, Verhärtung, Unerbittlichkeit, Unversöhnlichkeit und ein Mangel an Selbstreflexion seien die großen Probleme unseres Zusammenlebens. Selbstverteidigung als Reflex sei schwierig. So ließ sie dann auch einfach stehen, als Abdhollahi schilderte, wie sie auf der gemeinsamen Fahrt ins WDR-Funkhaus ihre Ungeduld über ihre Verspätung nicht so recht im Griff hatte. Eines sei immer entscheidend: „Man muss sich von außen anschauen können. Sonst hätte ich im Bio-Supermarkt schon Backpfeifen verteilt.“
Zornig sei sie, wenn sie an den Umgang mit Kindern und Jugendlichen denke. Sie könne diesen „Die wollen ja nichts leisten“-Mist nicht mehr hören. „Die haben sich nicht ausgesucht, keine Orientierung zu haben. Wir lassen sie so viel allein, weil uns so viel zu viel ist“, sagte die 60-Jährige. Sie wolle daran beteiligt sein, dass Menschen wieder miteinander in Kontakt kommen. „Das hat mich in die Praxis zurückgetrieben.“ Und deshalb habe sie auch das Buch geschrieben.
Es war ein sehr vergnüglicher, aber nie oberflächlicher Abend zum Auftakt des Literaturfestivals. Und am Ende gab es sogar noch ein Rätsel, bei dem das Publikum auf Herbert Grönemeyer tippte - und Sie? In einer ihrer Geschichten berichtet Stratmann von einem sehr berühmten deutschen Musiker, dem sie bei Interviews nie aufmerksam folgen könne, weil auf seiner winzig kleinen Nase eine sehr große Brille sitze, die ständig weiter Richtung Abgrund rutsche.
Cordula Stratmann: „Wo war ich stehen geblieben?“, dtv, 240 Seiten, 22 Euro.