Vor einem Jahr warnte NRW-Ministerpräsident Armin Laschet, im Kampf gegen das Virus gehe es „um Leben und Tod“.
Wie hat sich sein Kabinett in der Krise bewährt?
Die wichtigsten Entscheider und Managerinnen der Corona-Krise in NRW in der Analyse.
Köln/Düsseldorf – Die Pressekonferenz in der Düsseldorfer Staatskanzlei rüttelte viele Menschen auf. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet trat vor die Kameras, um über die Corona-Lage in seinem Bundesland zu berichten. Die Lage sei nicht nur „dynamisch, sondern dramatisch“, erklärte der CDU-Politiker. „Es geht um Leben und Tod, so einfach ist das und auch so schlimm“, sagte Laschet. „Es sind schwere Zeiten. Mögen wir uns gegenseitig beistehen.“
Das war vor einem Jahr, am 17. März 2020. Damals gab es in NRW 3060 Infizierte und zwölf Todesfälle. Das Land stand am Anfang eines exponentiellen Ausbruchsgeschehens. Eine harte Herausforderung für die Menschen – und für die Landesregierung. Laschet musste unter Beweis stellen, wie es um seine Qualität als Krisenmanager bestellt ist.
Die Kennzahlen von NRW können sich im Bundesvergleich sehen lassen. Vor allem im direkten Vergleich zu Bayern kann das bevölkerungsreichste Bundesland punkten. Als härteste Währung in der Pandemiebekämpfung gilt die Zahl der Todesfälle. Laut RKI hat NRW aktuell 76,5 Todesfälle pro 100.000 Einwohner zu beklagen, in Bayern liegt der Wert bei 98 Toten, der Bundesschnitt bei 88,6. In der wirtschaftlichen Entwicklung steht NRW ebenfalls besser da.
Die Arbeitslosigkeit ist an Rhein und Ruhr seit Februar 2020 „nur“ um 18 Prozent gestiegen, in Bayern kletterte der Wert um 30 Prozent. Wirtschaftsexperten rechnen 2021 in NRW mit einem Wachstum von 3,8 Prozent, Bayern rangiert bei 3,0 Prozent. Da der bayerische Ministerpräsident Markus Söder als schärfster Konkurrent um die Kanzlerkandidatur der Union gilt, dürften die Vergleichswerte Laschet besonders erfreuen.
Befürworter für Öffnungen und Lockerungen
In der Landesregierung werden die Kennzahlen als Erfolg der Politik von „Maß und Mitte“ verstanden, die Laschet propagiert. Seitdem der Ministerpräsident im April 2020 für die Rückkehr in eine „verantwortungsvolle Normalität“ geworben hatte, gilt er als Gesicht der Öffnungsbefürworter. Seine Strategie, „auf Sicht“ zu fahren, klingt pragmatisch. Oft hätte man sich von der Landesregierung aber mehr Weitsicht gewünscht: Zum Beispiel bei der Bestellung von Luftfiltern und Schnelltests, die an den Schulen dringend benötigt werden. Die Umsetzung der Impfstrategie läuft zu träge und wird durch eine Übermaß an Bürokratie ausgebremst.
Unverständlich bleibt, warum der Katastrophen-Krisenstab des Landes bis heute nicht einberufen wurde. Dort würden Experten der Hilfsorganisationen mit am Tisch sitzen, die den Kauf von unbrauchbarer Schutzkleidung oder von überteuerten FFP2-Masken vielleicht verhindert hätten. Laschet lässt seinen Fachministern viel Spielraum. Die Schlüsselressorts Schule, Familie und Wirtschaft werden aber von der FDP geführt, die zum Teil eine eigene Agenda verfolgt.
Die Opposition wirft ihm vor, das Amt des Ministerpräsidenten nach seiner Wahl zum CDU-Bundesvorsitzenden nur noch „in Teilzeit“ ausüben zu können. Laschet zeigt allerdings in Düsseldorf weiter Präsenz. Er weiß, dass schwere Fehler bei der Pandemiebekämpfung in NRW das Aus für seine bundespolitischen Ambitionen bedeuten würden. Im Kampf gegen Corona geht es weiter um Leben und Tod.
Der Erfahrene im Kabinett und Impfstoff-Probleme – Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann
Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann ist Laschets erfahrenster Mann auf der Brücke – der Politiker aus dem Münsterland war schon von 2005 bis 2010 Gesundheitsminister von NRW. Der gelernte Maschinenschlosser gilt als das „soziale Gewissen“ der CDU und besitzt durch seine direkte Art, Probleme anzusprechen, eine hohe Glaubwürdigkeit. Im Kampf gegen die Pandemie setzte Laumann allerdings zu stark auf Bordmittel.
Statt Organisationsprofis mit der Vergabe der Impftermine zu betrauen, übertrug er die Verantwortung auf die Kassenärztlichen Vereinigungen, die damit Neuland betrat. Das Ergebnis: Obwohl der Impfstoff knapp ist, blieben in NRW Impfdosen in großer Zahl in den Lagern liegen, weil angeblich die passenden Impfkandidaten fehlten. Stattdessen wurden überzählige Dosen an Menschen verabreicht, die nicht an der Reihe waren.
Ein Fehler war auch die Verteilung von Impftstoff auf die Städte gemäß ihrer Einwohnerzahl. Regionen wie das Ruhrgebiet, in denen überproportional viele vorerkrankte Menschen leben, erhielten so zu wenig Vakzin.
Probleme bei der Digitalisierung und Entscheidungen für klassischen Unterricht –Schulministerin Yvonne Gebauer
Schulministerin Yvonne Gebauer nährt mit ihrem Beharren auf dem Präsenzunterricht gerade jetzt wieder Zweifel, dass sie die Situation realistisch einschätzt. Grenzwerte scheint die FDP-Politikerin nach Gutdünken festzulegen – zunächst stellte sie den Beginn des Wechselunterrichts bei einer dauerhaften Inzidenz unter 50 in Aussicht, nun ignoriert sie die Bedenken von Städten und Gemeinden, deren Wert weit über 100 liegt.
Pädagogisch ist ihr Plädoyer für die Anwesenheit im Unterricht sicher nachvollziehbar, gesundheitspolitisch konfrontiert es Familien wie Schulen mit ebensolcher Unberechenbarkeit wie viele Schulmails, in denen am Ende einer Woche Beschlüsse verkündet wurden, die am Beginn der Folgewoche umgesetzt zu sein hatten.
Entscheidender Schwachpunkt des schulischen Corona-Managements ist die Digitalisierung. Viel zu spät waren alle mit Endgeräten ausgerüstet, und die Lernplattform Logineo, auf die das Ministerium setzt, ist zwar für die Schulen kostenlos, verfügt aber über Funktionen (noch) nicht, die unverzichtbar sind.
Kommunikations-Vorwürfe und Elternkritik – Familienminister Joachim Stamp
Familienminister Joachim Stamp sieht sich wie seine Kollegin aus dem Bildungsministerium dem Vorwurf ausgesetzt, auch seitens seines Ministeriums hapere es mit der Kommunikation. Kindertagesstätten fühlten sich überrumpelt von den Anforderungen des Vorsitzenden der Landes-FDP und stellvertretenden Ministerpräsidenten, dessen Ministerium zuletzt aber auch die Familien im Unklaren ließ, in welchem Umfang sie Kita-Gebühren erstattet bekommen und wie die Kinderkrankentage-Regelung genau gehandhabt werden soll. Das stiftete Chaos.
Andererseits lockt er mit Vorschlägen zu einer dezidiert liberaleren Politik wie einem Stufenplan zur Lockerung auch den eigenen, größeren Koalitionspartner CDU aus der Reserve. Die Runden zwischen Ministerpräsidenten und Kanzlerin kritisiert Stamp als Ritual, in dem er die Interessen der Betroffenen nicht immer ausreichend vertreten sieht. Besonders Mütter verurteilten seinen Kurs im ersten Lockdown, vor allem die Notbetreuung allein für Kinder systemrelevanter Eltern. Auch daraus hat er gelernt.
Millionen der Corona-Hilfe, aber späte Auszahlung – Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart
Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart hat vor allem zu Beginn der Pandemie großzügige Hilfen in Aussicht gestellt. Dann kam eine Reihe von Betrugsfällen, was nicht die Schuld des FDP-Politikers ist, aber dennoch an seinem Image kratzte. Denn dadurch kam es erstmals zu Verzögerungen bei den Auszahlungen. Als die Friseure kürzlich vor Pinkwarts Ministerium am Düsseldorfer Rheinufer für schnellere Hilfen demonstrierten, wirkte der Ex-Wirtschafts-Professor etwas ratlos – und gab den Schwarzen Peter flugs an seinen Amtskollegen in Berlin weiter.
Dennoch muss man Pinkwart auch Gutes zuschreiben. Bis Februar sind in NRW bereits rund 6,2 Milliarden Euro an Hilfsgeldern an Unternehmen, Freiberufler und Soloselbstständige ausgezahlt worden. Diese Hilfszahlungen und Konjunkturpakete haben dazu beigetragen, dass die NRW-Wirtschaft bislang etwas besser durch die Krise kam als der Bund. Seine persönliche Nähe zur Wirtschaft schätzen alle Verbände. Außerdem plädierte er stets für schnellere Öffnungen – die aber grade wohl wieder auf der Kippe stehen.