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Professor NikendeiSo hilft die Corona-Krise bei der Bewältigung des Klimawandels

Lesezeit 6 Minuten

Professor Nikendei denkt, dass die aktuelle Situation uns auch bei der Bewältigung der Klimakrise helfen könnte.

  1. Der Psychosomatiker Prof. Christoph Nikendei glaubt, dass die Menschen auch aus der Corona-Krise lernen können.
  2. So könnte die Corona-Krise am Ende sogar einen positiven Einfluss auf unseren Umgang mit dem Klimawandel haben.
  3. Aus diesem Grund ist der Klimawandel gerade für die junge Generation eine extreme Herausforderung.

Wenn die Welt wärmer wird, leidet nicht nur die Umwelt, sondern auch die Seele der Menschen. Das ist eine Erkenntnis der Arbeit von Prof. Christoph Nikendei. Der Mediziner denkt aber, dass die aktuelle Situation uns auch bei der Bewältigung der Klimakrise helfen könnte.

Herr Prof. Nikendei, was bedeutet die Corona-Krise für die Diskussion über den Klimawandel? Wird diese jetzt erstmal verdrängt werden?

Wir müssen aktuell erst einmal an die vielen Menschen denken, die gerade in einer sehr belastenden Situation sind, die krank sind, im Gesundheitswesen arbeiten oder ganz reale finanzielle Sorgen haben. Trotzdem ist der Klimawandel natürlich nach wie vor ein wichtiges Thema. Wir sehen auch, dass sich das Klima gerade etwas erholt. Die Luftverschmutzung und der CO₂-Ausstoß vermindern sich. Zudem gibt es zwischen der Corona-Pandemie und der Klimakrise auch sehr viele Analogien, aus denen wir lernen können.

Welche sind das?

Für die Eindämmung des Klimawandels ist es wichtig, dass wir zu einer neuen Art von Solidarität finden, wie wir sie auch in der aktuellen Situation brauchen. In beiden Fällen ist es unsere gesamtgesellschaftliche Aufgabe, nicht das Glück des Einzelnen in den Mittelpunkt zu stellen, sondern zu schauen, welches Verhalten für die Gesamtheit verträglich ist.

Prof Nikendei

Prof. Christoph Nikendei

Heute musste ich einem Freund meines Sohnes absagen, der uns besuchen wollte. Ich bin wahrscheinlich nicht gefährdet, meine Kinder auch nicht, aber wir machen das, um andere Menschen zu schützen, für die es womöglich nicht ausreichend Beatmungsgeräte gibt. Andererseits erleben wir gerade auch Menschen, die nur schauen: Was ist mir selbst am nächsten? Dies ist in der Klimakrise genauso und wird sich in dieser weiter zuspitzen.

Sie beschäftigen sich mit den psychischen Auswirkungen des Klimawandels. Welche sind das?

Bei vielen Menschen, die sich intensiv mit dem Thema Klimawandel auseinandersetzen, führt das zu einer großen Sorge und Trauer um unsere Erde. Die ungewisse Frage: „Wird die Welt um mich herum noch so bestehen, wie sie ist?“ kann starke Ängste auslösen. Und wenn Menschen dann noch generell sehr ängstlich sind, sich selbst nicht so gut inneren Halt geben können oder wenig sozialen Halt haben, und sich dieser Situation hilflos gegenüber sehen, können sie behandlungsbedürftige Angstsymptome entwickeln.

Wie verbreitet sind diese Ängste?

Es gibt noch keine epidemiologischen Studien, die zeigen, wie häufig dieses Phänomen der als „eco-anxiety“ bezeichneten Angststörung ist. Es gibt aber Untersuchungen, die berichten, dass vermehrt Menschen in die psychotherapeutischen Praxen kommen, die sich sehr mit diesen Sorgen beschäftigen. Es sind vor allem junge, weibliche Patientinnen mit hohem Bildungsgrad, die aufgrund dieser Sorgen psychotherapeutische Hilfe in Anspruch nehmen.

Diese Ängste äußern sich auch bei den „Fridays-for-Future“-Demonstrationen. Wie prägt es eine junge Generation, wenn sie in eine ungewisse Zukunft schaut?

Ich glaube, dass die Herausforderung für die junge Generation extrem ist. Einerseits bekommt sie vermittelt, dass ihr noch die Möglichkeiten dieser Welt offenstehen, andererseits wissen sie aber auch, dass ungebremstes Reisen und ungezügelter Konsum nicht mit einer Bewältigung der Klimakrise zu vereinbaren sind. Dies zu integrieren, ist eine große psychische Herausforderung. Es ist unsere Aufgabe, diese Frustration zu begleiten. Stattdessen werden die jungen Leute sogar oft kritisiert, wenn sie demonstrieren, sich aber dazu nicht stimmig verhalten – zum Beispiel fliegen, ein Handy haben, den Führerschein machen. Wir sollten ihnen das nicht vorwerfen, denn die Herausforderung der bevorstehenden Integrationsleistung ist hierfür zu groß.

Wie kann man sie psychisch unterstützen?

Entscheidend ist, wie widerstandsfähig jemand in einer Krise ist. Wie viel Ressourcen hat die Person, auf welche Bewältigungsmechanismen kann sie zurückgreifen? Als wichtigste Ressource ist die soziale Unterstützung in persönlichen Kontakten zu nennen. Wir müssen sprechen, wir müssen in die Handlung gehen – ein ganz entscheidender Bewältigungsmechanismus – um uns nicht als ausgeliefert zu erleben. Zudem bedeutet in der Psychotherapie die Hinwendung zu etwas Neuem auch die Betrauerung von etwas, was wir verlassen. Dies bedeutet anzuerkennen, dass Dinge nicht mehr so sind wie früher. Das ist der schmerzhafte Teil, den wir alle auch als Gesellschaft zu bewältigen haben. Aber auch dadurch können wir wieder zu neuer Handlungsfähigkeit finden.

Wie kann das aussehen?

Indem man dem Alten neue Werte entgegensetzt. Wenn wir zum Beispiel in der Corona-Krise erleben, dass es erfüllend sein kann, im kleinen Kreis zu Hause zusammen zu sein, ohne dabei groß konsumieren zu müssen, dann kann aus Maßhalten eine neue Wertigkeit erwachsen. Aus einer Krise kann man tatsächlich etwas lernen, das einen weiterbringt. Das scheint erst einmal irritierend, denn wir erleben in der Corona-Krise möglicherweise auch Spannungen in der Familie, die wir zunächst überwinden müssen, so dass dann Begegnung stattfinden kann, Raum für Kreativität geschaffen wird. Wir erleben uns als selbstwirksam, wenn wir Neues ausprobieren, etwa im Bereich des digitalen Unterrichts.

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Andere Teile der Welt werden viel stärker von den Klimaveränderungen betroffen sein als wir. Was bedeutet das für die Menschen dort?

Global gesehen werden zu den 70 Millionen Geflüchteten, die es aktuell auf der Welt gibt, bis zum Jahr 2050 laut den Zahlen der Weltbank noch 140 Millionen Klimaflüchtlinge hinzukommen. Untersuchungen – zum Beispiel nach dem Hurrikan Katrina in den USA – zeigen, dass etwa 30 Prozent der von einer Umweltkatastrophe betroffenen Menschen schwere Traumafolgestörungen entwickeln. Diese Erkrankungen bringen schweres Leid mit sich, und der Zugang zu einer adäquaten traumaspezifischen Versorgung und Therapie steht nur in Ländern mit einem funktionierenden Gesundheitssystem zur Verfügung. Das Gute ist: Wir haben noch die Möglichkeit, die CO₂-Emissionen in den nächsten Jahren unter Aufwendung aller Anstrengungen auf Null zu senken, um das im Pariser Klimaabkommen festgelegte 1,5 Grad-Ziel noch zu erreichen.

Dafür müsste es ein großes Umdenken bei allen geben. Wie kann man das fördern?

Das üben wir gerade in der Corona-Krise. Es wäre ein großer Gewinn, wenn wir diese Bewusstheit und Achtsamkeit, die wir jetzt praktizieren, auch weiterhin beibehalten könnten. Wenn ich gleich meinen Arbeitsplatz verlasse, desinfiziere ich meine Hände, wenn ich unterwegs Menschen begegne, halte ich Abstand. Das ist eine Bewusstheit, die aus einem Verantwortungsgefühl für alle erwächst, die auch für die Bewältigung der Klimakrise ganz entscheidend ist. Mit der gleichen Achtsamkeit werde ich mich auch fragen: Kann ich alternative Verkehrsmittel benutzen, wenn ich zu einem Termin fahre? Kann ich etwas gebraucht kaufen statt neu? Muss ich unbedingt jeden Tag Fleisch essen? Ich kann mir das genauso antrainieren, wie mich im Auto anzuschnallen. Das machen wir schließlich auch ganz automatisch.