Lehrerin im Interview„Wenn ein Corona-Fall auffällt, sind wir auf uns gestellt“
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Bahar Aslan ist Lehrerin an einer Hauptschule in NRW.
Im Interview spricht sie über den Schulalltag mit dem Coronavirus, Maskenpflicht im Unterricht und die Lage an ihrer Hauptschule.
Außerdem erklärt sie, wo noch immer Konzepte für den Umgang mit der Pandemie fehlen und was die Landesregierung aus ihrer Sicht dringend nachholen muss.
Frau Aslan, wie hat sich die anfängliche Maskenpflicht im Unterricht auf ihren Schulalltag ausgewirkt?Aslan: Für mich war von vorne herein klar, dass das nicht funktionieren wird. Die ersten eineinhalb Wochen waren unerträglich. Es gab Probleme mit der Kommunikation, weil die Verständigung über Mimik und Gestik weggefallen ist. Die Schüler konnten wegen der Maske nicht atmen, beklagten sich, dass es zu warm ist, sie nicht richtig sprechen können und trinken möchten. Das Tragen hat ihre Konzentration beeinträchtigt. Teilweise haben sie mich nicht verstanden, wenn ich die Maske trug.
Was hätte im Vorfeld anders laufen müssen?
Es war seit März bekannt, dass dieses Virus gekommen ist, um zu bleiben. Entsprechend hätte ich mir eine bessere Planung gewünscht. Ich und Kollegen an anderen Schulen hatte immer das Gefühl, dass die Entscheidungen kurzfristig fallen. Eine Alternative zur Maskenpflicht im Unterricht wäre beispielsweise gewesen, die Präsenzzeit in der Schule auf zwei Tage zu beschränken. Und die Digitalisierung der Schulen schnell auszubauen, sodass der restliche Schulstoff zu Hause vermittelt werden kann. Ich glaube das wäre erträglicher gewesen, als diese Wochen mit der Maskenpflicht im Unterricht.
Zum 1. September hat die Maskenpflicht im Unterricht in NRW geendet.
Ob es eine gute Alternative ist, die Maske jetzt komplett wegzulassen, weiß ich nicht. Ohne die Maske steigt das Risiko, dass Schüler und Lehrer sich untereinander infizieren. Ich hätte mir gewünscht, dass die Pflicht noch länger geblieben wäre. Auch weil ich die Panik in der Klasse mitbekommen habe, als einer meiner Schüler unter Corona-Verdacht stand. Da gab es zumindest die Gewissheit, dass man seine Maske im Unterricht aufhatte. Jetzt stellen sie sich die gleiche Situation ohne Maskenpflicht vor. Sie können sich ausmalen, was dann in der Klasse los ist. Gleichzeitig wurde der Handlungsspielraum der Schulen eingeengt. Schulleiter dürfen keine Alleingänge machen und eine Maskenpflicht für ihre Schule verhängen. Die einzige Möglichkeit ist: An die Solidarität der Schüler zu appellieren und darauf zu hoffen, dass die Masken auch im Unterricht getragen werden.
An wen konnten sie sich wenden, als der Verdachtsfall in ihrer Klasse bekannt wurde?Ich habe ein relativ großes Netzwerk an Lehrern in NRW und wir sind im ständigen Austausch, gerade auch deswegen weil wir uns in dieser schwierigen Zeit gegenseitig stärken. Einiges was ich von dort mitbekommen habe, hat mich verunsichert. Ich war erstaunt, wie lange es gedauert hat, bis die bürokratischen Wege geklärt waren, bis getestet wurde. Die Frage war, wer diesen Corona-Test durchführt. Es gab Kollegen die beim Gesundheitsamt nachfragen mussten, wer zuständig ist. Bis dort jemand erreicht wurde, zurückgerufen wurde und endlich jemand am Apparat war, der helfen konnte, hat es viel zu lange gedauert. Es gab Schulen wo nicht klar war, wo der Test stattfindet. Wenn ich so etwas aus meinem Umfeld mitbekomme verstehe ich nicht, wieso solche Wege seit März nicht optimiert wurden.
Lehrerinnen und Erzieher können sich alle zwei Wochen kostenlos testen lassen.Und das ist gut. Aber mir ist es negativ aufgestoßen, dass es das nicht auch für Schüler gibt. Warum die Behörden nicht in jedem Bezirk ein Testzentrum eingerichtet haben, wo Verdachtsfälle direkt hingeschickt werden. Was ist mit der Sicherheit der Schüler? Ich frage mich, warum die Strukturen so verknöchert sind. Die Landesregierung hat die Möglichkeit die Strukturen umzuändern. Weil wir in einer Pandemie sind und es darum geht, schnell zu reagieren. Wenn ein begründeter Verdachtsfall bei Schülern vorliegt, besteht die Gefahr, dass Lehrer und Schüler angesteckt werden können.
Die Kommunikation zwischen den Behörden und den Verantwortlichen vor Ort in den Schulen ist also nicht gegeben?
Die Lehrer mit denen ich gesprochen hatte, hatten keinen Kontakt zur Gesundheitsbehörde oder einer Bezirksvertretung. Bei einem Verdachtsfall hatten sie das Gefühl, man schiebt sich die Verantwortung hin und her. Jeder sagt, der andere sei zuständig. Wie kann es sein, dass bei einem Verdachtsfall noch diskutiert wird. Wo es doch um Schnelligkeit geht. Es müsste klar sein, wer die Ansprechpartner sind und wo Schüler sich testen lassen können.
Ab dem Punkt, an dem es einen konkreten Verdachtsfall gibt, fehlt das Konzept?
Ja. Die Landesregierung hat Maßnahmen ergriffen, um Verdachtsfälle zu verhindern. Trotzdem ist das Gefühl unter Lehrern: Wenn der Fall doch eintritt, sind wir auf uns gestellt. Erst wenn der Test positiv ist, beginnt die Gesundheitsbehörde den Entscheidungsprozess, wer in Quarantäne geht. Bis dahin gehen alle zur Schule und theoretisch kann jeder jeden anstecken. Das kann doch nicht sein. Und ich frage mich, warum das so ist. Weil Schüler einem nicht so wichtig sind? Und was sagt das über unser Land aus?
Wie gehen die Eltern mit der Gefahr um, dass es in der Klasse zu Verdachtsfällen kommt?
Es gab schon Eltern, die gesagt haben: „Ich möchte mein Kind ungern in die Schule schicken. Sie sind verunsichert, haben Angst und ich kann es ihnen nicht übelnehmen. Ich gehe davon aus, dass die Proteste noch lauter werden, wenn sich ab Beginn der zweiten Welle die Fallzahlen erhöhen. Gleichzeitig haben die Kinder eine Präsenzpflicht. Da gerate ich als Lehrerin in einen Konflikt. Ich möchte nicht dafür die Schuld haben, dass sich in meiner Klasse jemand ansteckt und das in der Familie weitergibt. Die Eltern denken, dass die Kinder in der Schule relativ sicher sind, weil es dort Aufsichtspersonen gibt die wissen, was zu tun ist. Wir Lehrer sind aber unsicher, ob wir dem gerecht werden können.
In welchen Situationen befinden sich ihre Schüler?
Ich glaube, ich kann in diesem Fall für viele Hauptschulen in NRW sprechen, die sich in sogenannten Problembezirken befinden oder als Brennpunktschulen tituliert werden: Oft können die Eltern meiner Schüler nicht für ihre Kinder eintreten. Das hat verschiedenste Gründe. Ein großer Teil der Schüler kommen aus Familien, die keinen akademischen Hintergrund haben und wo die Familien soziökonomisch schwach aufgestellt sind. Manchmal fehlt es an grundlegendem Wissen über das deutsche Bildungssystem, da es Barrieren zum Zugang von Wissen gibt, wie z.B. Sprachbarrieren. Das sind die Schieflagen, mit denen wir zu tun haben. Während des ersten Lockdowns hatten wir große Probleme an diese Schüler heranzukommen. Teilweise haben sie kein Internet, keinen Zugang zu Endgeräten oder leben in beengten Wohnverhältnissen.
Nehmen sie wahr, dass der Status als „Hauptschüler“ sie zusätzlich belastet?
Für mich sind meine Schüler kreative, witzige und sehr herzliche junge Menschen. Sie werden aber, weil die Hauptschule einen so schlechten Ruf hat, als die Absteiger dieser Gesellschaft gesehen. Meine Schüler spüren diese Diskriminierung. Dazu kommt, dass viele einen Migrationshintergrund haben und auch im Alltag mit Rassismus konfrontiert werden, da sie von bestimmten Teilen dieser Gesellschaft als fremd gelesen oder markiert werden. Ein Beispiel: Die rassistische Gewalt in Hanau hat meine Schüler getroffen. Das sind alles Themen, über die niemand redet. Ich wüsste nicht, dass diese Probleme auf der Ebene der Landespolitik mal aufgegriffen wurden. Oder die Frage, wie man die Situation an den Hauptschulen ins Positive pushen kann.
Was ist in den letzten Wochen an Unterricht verloren gegangen?
Die Beachtung der Corona-Regeln kostet Zeit, die sie eigentlich für ihre Schüler gebraucht hätten. Ich muss gerade mit dem Lernstoff wieder von vorne anfangen. Weil über den Lockdown und die Sommerferien alles verloren gegangen ist. Wir haben es aufgrund der mangelnden Digitalisierung nicht hinbekommen, den Schülern während des Lockdowns den Stoff zu vermitteln. Ein konkretes Beispiel: Ich hatte im vergangenen Jahr zwei fünfte Klassen in Englisch. Ich habe vom elementaren Lehrstoff überhaupt nichts vermitteln können. In einer sechsten Klasse arbeite ich jetzt mit dem Buch der fünften Klasse weiter. Und das sind ohnehin Schüler, die meist lernschwach sind oder Deutsch als Zweitsprache haben. Schüler mit einem besonderen Förderbedarf, der jetzt komplett ausgefallen ist. Das muss ich jetzt aufholen.
Was fordern sie von der Landesregierung? Was muss im Umgang mit den Schulen besser werden?
Es braucht ein ausgearbeitetes Sicherheits- und Hygienekonzept für die Schulen. Die Testungen müssen schnell und unkompliziert ablaufen und sollten für Schüler kostenlos sein. Unser Bildungssystem ist nach oben wenig durchlässig, das zeigt uns die Krise nochmal auf. Es kann nicht sein, dass der Bildungsverlauf der Kinder vom Elternhaus abhängt. Dass die Aufteilung in Hauptschule, Realschule und Gymnasium die Bildungskarrieren der Kinder festlegt. Die Erfahrung zeigt, wer einmal auf einer Hauptschule landet, für den ist die Wahrscheinlichkeit, dass er aufsteigt, eher gering. Viel wahrscheinlicher ist, dass er runtergedrückt wird. Ich wünsche mir, dass die Landesregierung sich darum mehr Gedanken macht und sogenannte Problemschulen stärker in den Blick nimmt. Damit Schüler die Möglichkeit bekommen aufzusteigen und das Image der Hauptschulen ins Positive gekehrt wird.