Der Deutsche Jamshid Sharmahd sitzt seit zwei Jahren im Iran in Haft. Jetzt droht ihm die Todesstrafe. Das Regime nutzt Gefangene als Druckmittel gegen den Westen.
„Jetzt ermorden sie ihn“Deutsche in iranischer Haft – Angehörige fürchten Todesstrafe
Das letzte Lebenszeichen, das Gazelle Sharmahd von ihrem Vater erhielt, war eine Sprachnachricht, verschickt über WhatsApp. Ein paar kurze Sätze nur, gesprochen mit brüchiger Stimme. „Es geht mir gut“, sagt er da, und Gazelle Sharmahd weiß, dass das eine Lüge war.
Niemandem geht es gut, der seit zwei Jahren und vier Monaten in Isolationshaft sitzt, der an Parkinson leidet, Diabetes, Herzproblemen, Atemnot und der keine Zähne mehr hat. Ausgeschlagen oder ausgefallen, man kann es nur erahnen.
Jamshid Sharmahd ist wahrscheinlich im Evin-Gefängnis
„Aber immerhin wussten wir somit, dass er noch am Leben ist“, sagt Gazelle Sharmahd. Das war bis dahin alles andere als sicher gewesen – vier Wochen nach dem Brand im Evin-Gefängnis in Teheran, jener Haftanstalt, in dem sich sehr wahrscheinlich auch die Zelle ihres Vaters befindet.
Und wiederum vier Wochen vor dem Prozesstag, dem 14. Dezember, an dem die Islamische Republik Iran wahrscheinlich das Urteil über ihren Vater sprechen wird. Das, so will es das Regime, ein Todesurteil sein soll.
Benutzt vom Regime, um Druck auf den Westen auszuüben
Jamshid Sharmahd, Gazelles Vater, ist 67 Jahre alt und einer von vermutlich fünf Deutschen oder Deutschiranern, die als politische Gefangene im Iran inhaftiert sind. Das Auswärtige Amt spricht von einer „mittleren einstelligen Zahl“, genauer wolle man aus Sicherheitsgründen nicht werden.
Bekannt ist hingegen, welche Funktion sie für das Regime in Teheran haben: Sie dienen als Druckmittel, um vom Westen Zurückhaltung oder den Austausch von Häftlingen zu erzwingen. „Menschliche Pokerchips“, so sagt es Gazelle Sharmahd, „mehr sind mein Vater und die anderen für das Regime nicht.“ Spielmasse also, um den Einsatz für alle zu erhöhen – und einen möglichst großen Gewinn zu erzielen.
Jamshid Sharmahd kehrte 1979 dem Iran den Rücken
Jamshid Sharmahd, von Beruf Elektroingenieur, wurde in Teheran geboren, aber schon als Junge, mit sieben, kam er Anfang der Sechzigerjahre mit seiner Familie nach Deutschland, zunächst nach Peine. Als Jugendlicher zog er nach Hannover, machte eine Ausbildung, studierte. In den Siebzigerjahren kehrte er in den Iran zurück, um dem Land – nach der islamischen Revolution von 1979 – Anfang der Achtzigerjahre endgültig den Rücken zu kehren.
In Hannover machte er sein Diplom, gründete ein kleines Softwareunternehmen, lebte mit seiner Familie in der Nordstadt, bevor er 2002 seiner Mutter in die USA folgte, nach Kalifornien. Dort lebt Gazelle Sharmahd, Intensivkrankenschwester von Beruf, heute. „Gearbeitet hat er weiter für deutsche Firmen“, sagt seine Tochter am Telefon, „die Verbindung blieb sehr eng.“
Gazelle Sharmahd: „Mit so etwas hat ja niemand gerechnet“
Seine Festnahme Ende Juli 2020 war eher eine Entführung. Jamshid Sharmahd musste geschäftlich nach Indien, mit Umstieg in Dubai, vom Iran nur durch den Persischen Golf getrennt. „Meine Mutter war deswegen gleich in Sorge“, sagt Gazelle Sharmahd, „aber mit so etwas hat ja niemand gerechnet.“ Infolge der Pandemie fällt ein Flug aus, der Vater muss einige Tage in Dubai übernachten. Iranische Agenten nutzen das offenbar – und verschleppen ihn aus dem Hotel. Was mit ihm geschehen ist, erfährt seine Familie aus dem iranischen Fernsehen, wo ihn das Regime stolz präsentiert.
„Er hatte eine Augenbinde und musste seinen Namen sagen“, erzählt seine Tochter. „Es war ein Video, wie es der IS sonst mit seinen Opfern kurz vor der Hinrichtung dreht.“ Sie selbst ist da 38 Jahre alt und im fünften Monat schwanger, wegen der Aufregung fürchtet sie um ihr Baby. „Das war ein Tag so voller Horror, dass ich ihn nie vergessen werde.“
Vater engagierte sich aktiv gegen das iranische Regime
Zum Feind hatte sich Jamshid Sharmahd die Mullahs gemacht, als er nach 2002 eine Website für einen regimekritischen TV-Sender betreute. Immer schon, sagt Gazelle Sharmahd, war ihr Vater politisch interessiert, ein Gegner der alten Machtmänner im Iran – aber in den USA wird er auch selbst aktiv.
Als ihm die iranischen Behörden drohen, knickt er nicht etwa ein, sondern stellt sich immer offener gegen das Regime: Aus der Website, die zunächst nur ein Archiv war, macht er eine Plattform für Dissidenten – und gründet dann, als Stimme der Gegner, auch einen Radiosender.
Tochter Sharmahd: "Vorwürfe sind konstruiert und absurd"
Sich einschüchtern zu lassen, das widerspricht seinem Wesen. Einschüchterungsversuche bestärken ihn eher. „Er hat immer mit ‚Jetzt erst recht!‘ reagiert“, sagt seine Tochter. „Das machte ihn für das Regime zum Staatsfeind Nummer eins.“ Nach der Entführung werfen ihm die Ankläger aber noch weit schwereres vor. Bei einem Prozess in diesem Jahr beschuldigen sie ihn, am Anschlag auf eine iranische Moschee im Jahr 2008 beteiligt gewesen zu sein – und außerdem für den israelischen Geheimdienst Mossad und die CIA spioniert zu haben.
„Die Vorwürfe sind konstruiert und absurd“, sagt seine Tochter, das Geständnis, das das iranische TV zeigt, sei erpresst. Einen „politischen Schauprozess“ nennt die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte das Verfahren, geführt von einem als Todesrichter bekannten Vorsitzenden Richter. Zu befürchten sei „ein geplanter Staatsmord am Deutschen Jamshid Sharmahd“.
Kölnerin Nahid Taghavi ebenfalls im Gefängnis in Teheran
Wie eng das Schicksal von Deutschen im Iran auch mit aktueller Politik verknüpft ist und wie sehr sich die Verhaftungen auch gegen den Westen insgesamt richten, zeigt auch das Beispiel der Kölnerin Nahid Taghavi. Auch die 68-Jährige ist seit 2020 im Evin-Gefängnis in Teheran. Unter anderem wegen mehrerer Bandscheibenvorfälle durfte die Architektin im Sommer das Gefängnis für einen Hafturlaub verlassen – der nach den ersten deutlichen Worten von Bundeskanzler Olaf Scholz über die Proteste im Iran sofort gestrichen wurde.
„Was sind Sie für eine Regierung, die auf die eigenen Bürgerinnen und Bürger schießt?“, hatte Scholz in einer Videobotschaft am 12. November gezürnt. „Eine Stunde später erhielt meine Mutter den Anruf, dass der Hafturlaub gestrichen ist“, schildert es ihre Tochter, die ebenfalls in Köln lebende Mariam Claren. Der zeitliche Zusammenhang sei offensichtlich. „Es ist absolut beschämend“, sagt sie, „wie die Islamische Republik eine schwer kranke 68-Jährige für ihre Interessen benutzt.“
Bei Protesten im Iran werden Gefangene hingerichtet
Auch Nahid Taghavi hat sich für Menschenrechte im Iran eingesetzt, besonders für Frauenrechte, sie hat zeitweise mit Amnesty International zusammengearbeitet. Für das Regime reichte das, sie zu zehn Jahren Haft zu verurteilen. Anders als bei Jamshid Sharmahd hat das Regime die folterähnlichen Haftbedingungen zumindest etwas gelockert: Nach ersten Monaten in Isolationshaft ist sie im einzigen Frauentrakt des Evin-Gefängnisses untergebracht, sie kann sich täglich, wenn auch überwacht, bei ihrer Tochter melden und mit ihren Mitgefangenen sprechen.
Doch es gibt bei beiden, über die Gegnerschaft zum Regime und die politischen Ziele hinaus, noch mindestens eine weitere Gemeinsamkeit: Das ist der Zwiespalt, in den die Proteste im Iran die Familien der beiden stürzen. „Mein erster Gedanke, als die Revolution im Iran begann“, erzählt Gazelle Sharmahd, „das war: Jetzt ermorden sie ihn.“ Weil es das sei, was das Regime schon häufiger bei Protesten getan hat: die Gefangenen hinzurichten.
Ein Dissident wird erhängt - Mohsen Shekari ist erstes Hinrichtungsopfer
Am Donnerstag hat es wieder damit angefangen. Mohsen Shekari, 23-jähriger Musiker, Rapper und Freiheitskämpfer, ist nach einem Schauprozess erhängt worden. Shekari ist das erste Hinrichtungsopfer der aktuellen Bewegung. Es sitzen noch Tausende Unschuldige in den Gefängnissen, denen dasselbe droht. Am Samstag hat das Mullah-Regime eine Liste mit den Namen von 24 weiteren Demonstranten veröffentlicht, die wegen „Kriegsführung gegen Gott“ mit der Todesstrafe bedroht sind.
Für die Töchter von Jamshid Sharmahd und Nahid Taghavi jedenfalls ist es eine beängstigende Situation. Die Proteste, die nach dem Tod der jungen Kurdin Jina Mahsa Amini im September im Iran aufbrachen und die sie beide eine „Revolution“ nennen, sind letztlich das, wofür sich ihre Eltern selbst eingesetzt haben. Die Demonstrationen sind das, was auch sie aus der Ferne geradezu euphorisch verfolgen. „Meine größte Hoffnung“, sagt die Kölnerin Mariam Claren, „sind all die jungen Menschen, die sich den bewaffneten Sicherheitskräften jetzt so mutig entgegenstellen.“ Und zugleich lassen diese Proteste noch ungewisser erscheinen, was aus ihren Eltern wird.
Ist das ein Widerspruch? Sollte diese Situation jedenfalls eine Entscheidung verlangen, dann ist es klar, wie sie bei ihnen ausfällt. „Uns ist die Gefahr bewusst, wir zahlen den Preis“, sagt Mariam Claren in Köln. Ihre größte Sorge sei, was aus den 18 000 Menschen wird, die im Iran in den vergangenen Wochen festgenommen wurden.
Sie sorge sich um ihren Vater, habe Angst vor seinem Tod, sagt Gazelle Sharmahd in Los Angeles. „Aber wie egoistisch wäre es, jetzt nur an ihn zu denken? Es geht ums Prinzip, es geht nicht nur um eine Person.“
Forderung an die Bundesregierung "lauter" zu sein
Und so halten zumindest auch sie die beiden Gründe, aus denen sich die Bundesregierung gegenüber dem Iran in den vergangenen Wochen oft zurückhaltend geäußert hat, für falsch: Die Sorge um die Deutschen im Iran – und die Hoffnung auf ein neues Atomabkommen. Die Vorsicht gegenüber dem Iran sei gescheitert, ein Atomabkommen, so glaubt sie, sei nie realistisch gewesen. Die Situation jetzt sei auch das Ergebnis „von 43 Jahren des Schweigens“ gegenüber dem Iran. „Ich bitte die Bundesregierung, lauter zu sein“, sagt Gazelle Sharmahd.
Klingt das hart? Rücksichtslos gegenüber dem eigenen Vater? Das, sagt sie, wäre ein Missverständnis. Weil es ja keine Gewähr gibt, dass ihm Untertänigkeit gegenüber dem Regime helfen würde. Dass sie sein Leben retten würde.
Öffentlichkeit einzige Möglichkeit zu helfen
Die Entführung ihres Vaters, die Proteste im Iran, beides hat auch das Leben von Gazelle Sharmahd auf den Kopf gestellt. Ihre Arbeit hat sie vorerst aufgegeben. Von früh am Morgen bis zum Abend versucht sie zu verfolgen, was im Iran geschieht, hält Kontakt zu anderen Aktivistinnen, gibt Interviews. Auch sie selbst könnte in Gefahr sein, das weiß sie. Anders als andere Angehörige deutscher politischer Gefangener im Iran aber und entgegen dem Rat deutscher Behörden will sie nicht schweigen. Schweigen sei das, was das Regime gestärkt habe. „Ich glaube, dass Öffentlichkeit das Einzige ist, was meinem Vater helfen kann.“
Was in dieser Woche genau geschieht, weiß sie nicht. Dass dann das Urteil gegen ihn fallen soll, hat sie aus seinen Andeutungen schließen müssen, die er in den, nun ja: Gesprächen gemacht hat, bei denen ein Dutzend Sicherheitskräfte mit im Raum sitzen und ihn sofort stoppen, wenn er zu deutlich wird. Daraus, dass er sagte, es werde dann etwas sehr Wichtiges geschehen. „Wir sind“, sagt sie, „in großer Ungewissheit.“
Was sie genau weiß, ist hingegen, was das Regime will: die Todesstrafe für ihren Vater. „Das hat uns der Regimeanwalt deutlich gemacht.“ Jener staatstreue Jurist, der ihrem Vater beistehen soll – und offenbar am langen Arm der Machthaber agiert.
Sie selbst macht sich jedenfalls kaum Illusionen über das, was im Iran geschehen wird: „Es wird weitere Tote geben, und mein Vater könnte einer davon sein.“ Wichtig sei, dass all das am Ende einen Sinn habe: „Es geht darum, eine Welt zu schaffen, die wenigstens ein bisschen besser ist als zuvor.“