Im Iran könnten weitere Hinrichtungen schnell folgen. Teheran bestellt unterdessen den deutschen Botschafter erneut ein. Das Regime sieht eine „Einmischung“ Deutschlands.
Nach Protesten Iran will offenbar mindestens 24 weitere Menschen hinrichten – Botschafter einbestellt
Mindestens 24 Demonstranten droht im Iran einem Bericht zufolge die Hinrichtung wegen ihrer Beteiligung an den systemkritischen Protesten. Beobachter befürchten, dass es bereits kurzfristig zu weiteren Hinrichtungen kommen könnte. So berichtete der persischsprachige Dienst 1500tasvir, der seit Beginn der Proteste im Iran auf Twitter mit großer Reichweite über die Demonstrationen informiert, dass die Hinrichtung eines Mannes kurz bevorstehen könnte.
Demnach wurde der Inhaftierte am Samstag in das Gefängnis verlegt, in dem der Iran üblicherweise die Todesstrafe vollsteckt. Auch die iranische Journalistin Masih Alinejad berichtete, die Hinrichtung des 23-jährigen Mahan Sadrat könnte unmittelbar bevorstehen. „Die internationale Gemeinschaft muss handeln, bevor es zu spät für Mahan ist“, forderte Alinejad.
Zuvor hatte die iranische Tageszeitung „Etemad“ am Samstag eine von der Justizbehörde zusammengestellten Liste veröffentlicht, auf der 25 Demonstranten „Kriegsführung gegen Gott“ vorgeworfen wird. Gemäß islamischer Rechtsauffassung steht auf diese Anklage das Todesurteil. Der auch auf der Liste aufgeführte Rap-Musiker Mohsen Shekari war bereits am Donnerstag hingerichtet worden.
Iran: Inhaftierte offenbar schwerer Folter ausgesetzt
Er soll ein Mitglied der paramilitärischen Basidsch-Miliz mit einer Waffe angegriffen, Schrecken verbreitet und eine Straße blockiert haben. Shekari wurde am Donnerstag hingerichtet, ohne dass seine Familie zuvor darüber in Kenntnis gesetzt wurde. Experten gehen zudem davon aus, dass der Mann vor seinem „Geständnis“ erheblicher Folter ausgesetzt war. Die iranischen Behörden hatten ein entsprechendes Video veröffentlicht.
1500tasvir berichtete am Samstag auch über die Haftbedingungen der Inhaftierten. So habe ein anderer inhaftierter Mann seiner Familie von körperlicher, sexueller und psychischer Folter berichtet. Bei seiner Festnahme sei er von den Sicherheitskräften geschlagen worden, bis er ohnmächtig geworden sei. Zudem würde das Gefängnispersonal nahezu täglich damit drohen, ihn zu vergewaltigen, heißt es bei 1500tasvir.
Die Hinrichtung von Mohsen Shekaris wurde unterdessen im In- und Ausland scharf verurteilt. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) bezeichnete das Vorgehen Teherans als „menschenverachtend“. Die iranische Politführung, unter anderem auch Präsident Ebrahim Raisi, bezeichnete die Hinrichtung jedoch als eine legitime Antwort auf die Ausschreitungen im Land.
Der Iran reagierte auf die Worte Baerbocks am Samstag und bestellte erneut den deutschen Botschafter in Teheran ein. Das Regime wolle so gegen die „anhaltende Einmischung“ Deutschlands in die inneren Angelegenheiten des Iran und seine „inakzeptable Intervention“ protestieren, teilte die staatliche Nachrichtenagentur Irna mit. Auch der britische Botschafter wurde am Samstag einbestellt.
Iran: Demonstranten drohen nach Hinrichtung mit Vergeltung
Die Demonstranten selbst drohten dem System mit Vergeltung. In den sozialen Medien kursierte die Botschaft „Wartet auf unsere Rache“. Am Wochenende planen Iraner im Ausland mehrere Protestversammlungen. Am Samstag kursierten in sozialen Netzwerken erneut Videos von Protestaktionen.
Neben den internationalen Sanktionen im Zusammenhang mit dem Atomstreit wurden gegen Teheran nun auch weitere wegen Menschenrechtsverletzungen verhängt. Der Iran steckt seit mehr als vier Jahren in einer akuten Wirtschaftskrise. Der einzige verbliebene Hoffnungsschimmer war eine Einigung im Atomstreit mit dem Westen. Laut Beobachtern ist eine solche Einigung jedoch nach der gewaltsamen Unterdrückung der Proteste – und insbesondere der ersten Hinrichtung eines Demonstranten – alles andere als realistisch.
„Frau, Leben, Freiheit“: Bundesinnenministerin Nancy Faeser solidarisiert sich mit Menschen im Iran
Die iranische Führung macht die „Feinde“ des Irans – unter anderem auch Deutschland – sowie deren „Söldner“ im Inland für die Proteste verantwortlich. Laut Teheran stehe die Mehrheit der Iraner weiterhin hinter dem islamischen System und werde die „Feinde“ auch letztendlich besiegen und die Proteste beenden. Auf den Straßen jedoch sieht es ganz anders aus. „Tod dem Diktator“ und „Islamische Republik wollen wir nicht (mehr)“ waren die täglichen Standard-Slogans in den letzten zweieinhalb Monaten.
Die deutsche Innenministerin, Nancy Faeser (SPD), hat sich am Samstag mit der Protestbewegung im Iran solidarisiert. Am internationalen Tag der Menschenrechte seien ihre Gedanken bei den Menschen im Iran, die „mit unglaublichem Mut ihr Leben riskieren, um für die Menschenrechte in ihrem Land einzutreten“.
Nancy Faeser: „Lassen Sie uns die Stimme der Menschen im Iran werden“
Worte allein reichten nicht, erklärte Faeser. „Alles, was wir hierzulande zum Schutz der mutigen iranischen Zivilgesellschaft tun können, müssen wir tun.“ Die Täter müssten zur Rechenschaft gezogen werden, erklärte Faeser. „Lassen Sie uns die Stimme der Menschen im Iran werden – für die Freiheit, für Menschenrechte“, fügte die Innenministerin an.
Die Proteste im Iran dauern bereits seit Mitte September an. Damals war die 22-jährige Kurdin Jina Mahsa Amini von der iranischen Sittenpolizei festgenommen worden, weil sie ihr Kopftuch nicht ordnungsgemäß getragen haben soll, und drei Tage später gestorben. Ihr Tod löste die größte anhaltende Protestwelle im Iran seit Jahrzehnten aus. Nach Einschätzungen von Menschenrechtlern wurden seither mindestens 470 Demonstranten getötet und rund 18.000 Menschen verhaftet. (mit dpa)