Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier beendet die Weihnachtsruhe abrupt: Die Berufspolitiker sollen sich gefälligst auf ihre Kernaufgabe konzentrieren.
NeuwahlenEin neues Erfolgsrezept für Deutschland
Deutschland hat eine verstörende Weihnachtszeit hinter sich. Anfangs war die Adventszeit durchzogen von alarmistischer Rhetorik. Die Wirtschaft, wichtigste Quelle der nationalen Selbstvergewisserung, – erschüttert, wachstumsschwach und zunehmend verzweifelt am eigenen Land. Das Topmanagement der Volkswagen Gruppe etwa erweckte den Eindruck, der wichtigste industrielle Arbeitgeber der Republik sei ein Sanierungsfall, und stellte Unerbittliches in Aussicht. Im Bundestag knallte Nochkanzler Olaf Scholz seinen Widersachern in seiner Nochregierung den Entzug der „sittlichen Reife“ auf das Parlamentspult und beleidigte Oppositionsführer Friedrich Merz als verwirrt („Fritze Merz erzählt gern Tünkram“). Der tat es ihm gleich: „Sie blamieren Deutschland.“
Kurz vor dem Heiligen Abend dann folgten die Vollbremsung und der Schwenk auf die jahreszeitübliche Sedierung. Bei Volkswagen einigte man sich darauf, dass erst einmal fast alles so bleibt wie bisher: Zwar werden Stellen abgebaut, aber ganz ruhig, ganz gemächlich. Die Parteien stellten ihre Programme für die Bundestagswahl vor, transportierten dabei aber im Wesentlichen bekannte, weitgehend schmerzfreie Rezepte, einbalsamiert, grosso modo, in das Versprechen, der Staat und dessen große Verteilorganisationen, sie werden es richten.
Sie werden es nicht richten, zumindest nicht allein und vor allem nicht derart schmerzfrei, wie es nach der Finanzkrise ab 2007 und nach der Corona-Pandemie ab 2019 der Fall schien: mit milliardenschweren Sonderfinanzierungen in die alte, deutsche politische Systemarchitektur.
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Die Regierungen von Angela Merkel und Olaf Scholz haben natürlich nicht alles falsch gemacht, aber doch sehr viel. Wirklich allerspätestens nach dem ersten Sieg Donald Trumps bei den US-Präsidentschaftswahlen 2016 war klar: Die Welt wird künftig geprägt sein von Volatilität, Komplexität, Unsicherheit – der rheinische Kapitalismus braucht dafür neue Lösungen und keine Sedierung.
„Schmerzhafte Wahrheiten“
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat dazu endlich am 27. Dezember den Auftrag erteilt. Er war in den bisherigen sieben Jahren seiner Amtszeit oft zu breiig, eher ein Darsteller denn ein eigener Charakter im Schloss Bellevue. Nun hat er nicht nur den Bundestag aufgelöst und für den 23. Februar Neuwahlen angesetzt. Dieses Mal hat der Bundespräsident in einer kurzen, klaren Rede die richtige Richtung vorgegeben: Die Bewerberinnen und Bewerber um Regierungsämter müssen „schmerzhafte Wahrheiten“ formulieren und dann „beste Lösungen“ dafür anbieten. Zusammen mit „Gemeinsinn und Tatkraft, Ideenreichtum und Fleiß, Mut und Ehrgeiz“, die Steinmeier zwei Tage zuvor in seiner Weihnachtsansprache gefordert hatte, könnte daraus wirklich etwas werden. Es muss allerdings auch.
Dafür ist in den nächsten Wochen zweierlei entscheidend. Die Parteien müssen die gleiche Fantasie und Vehemenz, die sie zuletzt in ihrer Rhetorik gezeigt haben, ihrem Ideenwettbewerb zuteilwerden lassen, also aus den schmerzhaften Wahrheiten Lösungen ableiten, die möglicherweise auch nicht schmerzfrei bleiben. Ein Beispiel: Wenn unsere Bevölkerung altert und wir unsere Mitmenschen würdig altern lassen und gleichzeitig unseren Lebensstandard halten wollen, wird das bei stagnierender Produktivität kurzfristig nicht ohne Mehrarbeit gehen. Besser wäre noch: Wir steigern unsere Produktivität.
Dazu braucht es Innovationen, dazu braucht es die Langmut, jetzt in Bildung zu investieren, auch wenn sich das vielleicht bis zum nächsten Wahltag noch nicht ausgezahlt haben wird. Es braucht die zielgerichtete Integration von Flüchtlingen und Einwanderern, offene Scheunentore für frische Ideen und viel mehr Skepsis gegenüber dem Rausch der Regulierung.
Die zweite Voraussetzung: Die Bürgerinnen und Bürger, also wir, dürfen ob eines solchen neuen Angebots dann bitte nicht in zittrige Schockstarre verfallen, sondern es auch wirklich annehmen. Eine Alternative ist nicht in Sicht.