AboAbonnieren

Diplomatische Eskalation nach EM-Eklat„Ausländerfeindlich“ – Türkei bestellt nach „Wolfsgruß“ deutschen Botschafter ein

Lesezeit 4 Minuten
Merih Demiral jubelt nach seinem zweiten Treffer mit dem „Wolfsgruß“ der faschistischen „Grauen Wölfe“.

Merih Demiral jubelt nach seinem zweiten Treffer mit dem „Wolfsgruß“ der faschistischen „Grauen Wölfe“.

Die Türkei reagiert mit drastischen Maßnahmen auf Faesers Kritik am „Wolfsgruß“ von Merih Demiral. Die Empörung ebbt derweil nicht ab.

Der türkische Fußball-Nationalspieler Merih Demiral bekommt für das Zeigen des „Wolfsgrußes“ im EM-Viertelfinale Rückendeckung aus seinem Heimatland. Das türkische Außenministerium verurteilte Kritik an Demirals Geste mit scharfen Worten – und attackierte, nachdem sich Bundesinnenministerin Nancy Faeser zu dem Fall geäußert hatte, auch die deutschen Behörden. Nicht jede Person, die das Zeichen der „Grauen Wölfe“ zeige, könne als rechtsextremistisch bezeichnet werden, teilte Ankara mit.

Der „Wolfsgruß“ sei in Deutschland nicht verboten, die Reaktionen der deutschen Behörden seien „ausländerfeindlich“, hieß es weiter. Übereinstimmenden Berichten der Nachrichtenagentur AFP und der türkischen Zeitung „Hürriyet“ zufolge ist zudem der deutsche Botschafter einbestellt worden.

Türkei spricht von „ausländerfeindlicher“ Kritik an Demirals „Wolfsgruß“

„Wir verurteilen die politisch motivierten Reaktionen auf die Verwendung eines historischen und kulturellen Symbols beim Feiern von Freude bei einer Sportveranstaltung in einer Art und Weise, die sich nicht gegen jemanden richtet“, hieß es weiter vom türkischen Außenministerium.

Der Chef der ultranationalistischen MHP bezeichnete die Einleitung eines Verfahrens der UEFA gegen den Spieler unterdessen als „Provokation“. Der Schritt sei „äußerst voreingenommen und falsch“, erklärte Devlet Bahceli. Die UEFA springe auf „den Zug des Übels“ derer auf, „die den Türken und der Türkei offensichtlich feindlich gesinnt sind“.

Türkische Medien reagieren mit schrillen Worten

Auch türkische Medien reagierten mit schrillen Worten auf die Kritik und die UEFA-Ermittlungen. Bei der Zeitung „Sabah“ war von einem „großen Skandal in Deutschland“ und einer „schmutzigen Operation gegen die Türkei, die Nationalmannschaft und Demiral“ in der deutschen Presse die Rede.

Demiral hatte beim 2:1 im Achtelfinale gegen Österreich nach seinem zweiten Treffer in Leipzig mit beiden Händen das Handzeichen und Symbol der „Grauen Wölfe“ geformt. Die Europäische Fußball-Union UEFA leitete ein Untersuchungsverfahren gegen Demiral ein. Bundesinnenministerin Faeser hatte sich empört gezeigt und unter anderem gesagt: „Die Symbole türkischer Rechtsextremisten haben in unseren Stadien nichts zu suchen.“

Kurdische Gemeinde in Deutschland fordert Verbot der „Grauen Wölfe“

Als „Graue Wölfe“ werden die Anhänger der rechtsextremistischen „Ülkücü-Bewegung“ bezeichnet, die in Deutschland vom Verfassungsschutz beobachtet wird. In der Türkei ist die ultranationalistische MHP ihre politische Vertretung und Bündnispartnerin der islamisch-konservativen AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan.

Die Türkische Gemeinde in Deutschland reagierte mit Bedauern auf Demirals Geste. „Es hat leider keine fünf Minuten gedauert, bis ein türkischer Spieler die Freude über den hart erkämpften 2:1-Sieg mit dem rechtsextremen Wolfsgruß komplett zerstört hat“, hieß es in einem Beitrag im sozialen Netzwerk X.

Die Kurdische Gemeinde in Deutschland forderte Bundesinnenministerin Faeser unterdessen am Mittwoch dazu auf, ein Verbot der Organisation und ihres Erkennungszeichens, dem „Wolfsgruß“, zu erlassen. „Wir sind als Kurdische Gemeinde Deutschland wie alle vom türkischen Rechtsextremismus in der Türkei betroffen und über das Zelebrieren von Faschismus und Rassismus bei der EM mehr als entsetzt“, hieß es in einer Erklärung.

Empörung über „Wolfsgruß“ am Jahrestag des „Sivas-Massakers“

Das Verhalten Demirals und der Anhänger der türkischen Mannschaft sei eine Verhöhnung der Opfer von Faschismus und Rassismus in der Türkei. Auch bei den Feierlichkeiten nach Spielen der Türkei war von Türkei-Fans zuvor der „Wolfsgruß“ gezeigt worden. Der Bundesvorsitzende der Kurdischen Gemeinde, Ali Ertan Toprak, forderte unterdessen eine sportliche Strafe, Demiral müsse „sofort“ von der EM ausgeschlossen werden.

Besondere Empörung gab es auch wegen des Datums des Vorfalls. „Am Jahrestag des Sivas-Massakers so prominent den Wolfsgruß zu zeigen, ist ein absoluter Skandal“ zitierte die ARD Kamal Sido, den Nahostreferent der Gesellschaft für bedrohte Völker. Sido forderte Demiral auf, sich „bei den Millionen Aleviten, für die der Wolfsgruß ein Symbol der Unterdrückung und Verfolgung ist“, zu entschuldigen.

„Die Blutspur ist hier, sie verläuft auch durch dieses Stadion“

In der zentralanatolischen Stadt Sivas wurden im Juli 1993 Teilnehmer eines alevitischen Festivals von einer religiös aufgepeitschten Menge angegriffen, 35 Menschen, zumeist alevitischen Glaubens, kamen ums Leben. Auch die Berliner Autorin Özge Inan erinnerte am Mittwoch bei Instagram an das „Massaker von Sivas“.

Demiral habe an einem der Jahrestage, „die sich wie eine Blutspur durch die Geschichte der türkischen Nation ziehen“ einen Gruß in die Welt geschickt: „Wir sind hier, die Blutspur ist hier, sie verläuft auch durch dieses Stadion, tropft auf diesen Rasen, verklebt und verschmutzt diesen Sport“, schrieb Inan. (mit dpa/kna/sid)